Dienstag, 19. März 2024

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Internet-Literatur
„Viele Leute sind plötzlich Schreibende“

Der norwegische Schriftsteller Audun Mortensen paraphrasiert in seinem neuesten Buch Internet-Kommentare. Für Parasitenpresse-Verleger Adrian Kasnitz ist das nichts Ungewöhnliches, schließlich spiele „das wirkliche Leben sich mehr im Internet ab als draußen vor der Tür“, sagte er im Dlf.

Adrian Kasnitz im Gespräch mit Juliane Reil | 16.10.2019
Der 1994 verstorbene Nirvana-Sänger Kurt Cobain.
Der norwegische Schriftsteller Audun Mortensen fragt sich, ob der Sänger Kurt Cobain eine E-Mail-Adresse hatte (imago / LFI)
"Ein Mann kommentiert bei Facebook , dass er Britney Spears’ Zusammenbruch im Jahr 2007 immer besser versteht, je älter er wird."
"Eine Frau twittert an das Weiße Haus, dass sie bei den Verhandlungen zum iranischen Atomprogramm Fleetwood Mac spielen sollten, weil jeder Fleetwood Mac liebt."
"Jemand postet ein Foto von einer Katze, die auf den Hinterbeinen in eine halboffene Kommodenschublade hineinschaut."
Beobachtungen aus den sozialen Medien
Das sind Beobachtungen und Kommentare aus den sozialen Medien, wie man sie jeden Tag im Netz lesen kann. Der norwegische Autor Audun Mortensen hat sie in seinem Buch "Hatte Kurt Cobain eine E-Mail-Adresse?" gesammelt.
Audun Mortensen suchte dafür "Facebook, Instagram oder Reddit ab", sagte Verleger Adrian Kasnitz. Er veröffentlicht Kommentare, die eigentlich niemals zur Veröffentlichung in einem literarischen Kontext gedacht waren. Eine literarische Eigenleistung sei das trotzdem, so Kasnitz, weil Mortensen ja mit eigenen Bildbeschreibungen arbeite.
In der Popmusik, insbesondere im Hip-Hop, ist die digitale Kultur schon längst angekommen. Man rappt über den Instagram-Account, das Smartphone oder nimmt selbst auch Internet-Sprache an. Für Kasnitz hängt die Literatur diesbezüglich noch hinterher. "Es gibt natürlich viele Spielarten, auch was so experimentellere Sachen angeht, aber die sind meistens gar nicht so marktfähig", sagte der Verleger. Und gerade hier in Deutschland sei der lange Roman, der schön erzählt, nach wie vor beliebt.
Internet-Sprache: Die Popliteratur des 21. Jahrhunderts
Darüber hinaus findet Kasnitz es nicht abwegig, Internet-Sprache und -Kommentare als Popliteratur des 21. Jahrhunderts zu betrachten. "Es gibt ja auch so andere Beispiele wie Stefanie Sargnagel, die ja auch eigentlich so Bücher schreibt, die aus Postings bestehen, wo sie halt regelmäßig etwas schreibt und vielleicht entspricht das ja auch unserer Lebenswirklichkeit, das man auch nur kurz Zeit hat zu schreiben, aber das ja auch viele tun."
Audun Mortensen: "Hatte Kurt Cobain eine E-Mail-Adresse?"
Aus dem Norwegischen übersetzt von Anna Pia Jordan-Bertinelli,
Parasitenpresse, Köln 2019. 82 Seiten, 12 Euro