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Wenn sich Hyperlinks auf das Denken auswirken

Die Art des Lesens und Denkens wird durch intensives Surfen beeinflusst. Professoren stellen bei ihren Studenten mittlerweile fest, dass viele ein breiteres, aber weniger tiefes Wissen besitzen. Sie picken sich bestimmte Informationen raus - wie bei Links.

Von Dana Sindermann | 24.03.2014
    Ein Graffiti auf einer Hauswand in Weimar: "Wir denken nicht! Wir googlen!"
    Ein Graffiti auf einer Hauswand in Weimar - wie eine Suchmaschine unsere Lebenswelt verändert. (picture alliance / dpa / Martin Schutt)
    Die Semesterferien sind die Zeit des Hausarbeiten-Schreibens. Da geht der Verfasser oder die Verfasserin einer Frage, einem Thema mal richtig auf den Grund – oder? In die Tiefe gehen, das, sagen viele Hochschullehrer, ist nicht so die Stärke der neuen Generation der Studierenden. Aber warum? Das hat was damit zu tun, dass diese Generation Digital Natives sind - sagt zumindest die Wissenschaftshistorikerin Lorraine Daston. Und viele ihrer Kollegen auch aus anderen Disziplinen, gehen mit ihr mit. Dana Sindermann ist dieser These für Campus und Karriere nachgegangen.
    "Wenn ich lese, suche ich nach Argumenten."
    Lorrain Daston, Wissenschaftshistorikerin am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, in einem Interview mit der Tagesszeitung "der Standard".
    "Und meine Studenten suchen eher nach Assoziationen. Mir kommt es so vor, als ob sie bei der Lektüre von Büchern bei bestimmten Wörtern Hyperlinks erwarten, um woanders weiterzulesen. Die Idee des "genauen Lesens" – also dass man kontextualisierend liest oder dass die Einheit eines Arguments nicht ein Satz ist, sondern ein ganzes Kapitel oder das ganze Buch – scheint für die Studenten von heute vielfach Schnee von gestern."
    Große Informationsfülle im Internet
    Und was sagen Studierende dazu?
    "Jaaa... wie wichtig sind Argumente? Hm..? Natürlich auch wichtig, aber ich versuch eher so meine eigenen Gedanken zu fassen und nicht unbedingt 'ne Argumentation zu befürworten oder zu widerlegen."
    "Wenn mir die Links versprechend erscheinen, dann klick ich drauf... "
    "Es ist relativ schwer auf dieser Seite halt zu bleiben, weils die Möglichkeit gibt, sich noch viel mehr durchzulesen, also die Fülle an Informationen ist doch recht groß im Internet."
    Viele Texte im Internet folgen einer Hyperlinkstruktur. Einzelne Wörter im Artikel sind unterstrichen. Ein Klick auf sie eröffnet einen neuen Text mit einem neuen Informationsangebot, das wiederum über Hyperlinks verfügt. Die verlinkten Wörter laden dazu ein, bald zum nächsten und zum wiedernächsten Text überzugehen. Inhaltlich bewegt sich dieses sprunghafte Lesen dann meist an der Oberfläche.
    Medienpsychologen untersuchen Entwicklungen
    Wenn man diese Art des Lesens häufig praktiziert, kann das Auswirkungen auf die Art zu Denken haben, sagen Medienpsychologen, wie Ludwig Issing von der FU-Berlin. Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk teilt auch er Lorrain Dastons Eindruck, dass die neuere Generation von Studierenden über ein breiteres aber weniger tiefes Wissen verfügt.
    "Es kommt mir so vor, dass diese jüngere Generation heute quasi die Google-Suchfunktion intuitiv verinnerlicht hat und gewissermaßen granularer liest und denkt. Texte werden ein wenig wie Ausstellungen wahrgenommen, wo man zwischen den Exponaten Bezüge herstellt."
    "Ich muss grad ne Hausarbeit schreiben, (…) und deswegen bin ich grad auf der Suche nach Literatur und lese auch Literatur, um selbst einen Gedankengang zu entwickeln und den dann mithilfe von dem, was ich gelesen hab zu untermauern..."
    "Die Bücher lassen sich meist ganz gut erschließen über die Einleitung, und die Einleitung les ich häufig und ich such mir halt irgendwie das oder die Kapitel raus, die wesentlich sind. (…) Natürlich ist es auch immer die Suche nach prägnanten Sätzen, die verwertbar sind."
    Die Tendenz, dass Studierende Texte mit dem Auge scannen statt durchlesen, dass sie sich ein eher breites und diffuses als tiefes und exaktes Wissen aneignen und sich Bedeutungen überwiegend im eigenen Assoziationsraum als im Lektürekontext erschließen – diese Veränderung gehe nicht nur zurück auf die neueren dynamischen Textsorten, sagt der Gerhard Banse. Der Technikphilosoph und Technikfolgenforscher sieht diese Entwicklungen vielmehr in einem größeren gesellschaftlichen Zusammenhang.
    Schnelllebige Zeiten
    Vielleicht ist es der Zeitdruck, den Studenten haben: Sie versuchen, ihr Studium maximal zu effektivieren. Also wenn ich den Studenten dann einen ganzen Artikel gebe, so mit 20 Seiten, dann kommt als ersten die Frage: Welche Seiten sollen wir denn lesen? (...) Es verbleibt vielfach an der Oberfläche, weil sich das schneller rezipieren lässt, als wenn ich jetzt einen langen Artikel mache, wo ich Pro und Kontra begründe und lange in die Tiefe gehe. "
    Banse beobachtet diese Veränderungen in der wissenschaftlichen Arbeitsweise nicht nur bei Studierenden, sondern auch bei seinen Kollegen.
    "In dieser schnelllebigen Zeit ist das wahrscheinlich so ein bisschen Zeitgeist (…): Bevor ich mich mit dem einen Thema tiefgründig auseinander gesetzt habe, ist das nächste Thema schon dran. Bei der Wissenschaft ist das ja ähnlich: Wenn ich mir angucke, was dort an Publikationen kommt, (…) ich kann das gar nicht alles tief lesen. Ich kann nur dort ja mal ein Blick ins Inhaltsverzeichnis werfen... "
    Der Technikphilosoph und auch die Wissenschaftshistorikerin sehen der Entwicklung hin zum breiteren Wissen und netzartigem nichtsdestotrotz optimistisch entgegen. Lorrain Daston:
    "Ich finde das sehr interessant, und jede neue Fähigkeit ist auch ein Gewinn."
    Gerhard Banse setzt allerdings darauf, dass die Studierenden ihr breites Wissen, wenn nötig, vertiefen können. Er sieht es als eine zentrale Aufgabe der Hochschule, den Studierenden diese Fähigkeit zu vermitteln.
    "Ich habe dann einfach die Chance, wenn ich so ein relativ breites Allgemeinwissen habe, dass ich dann an verschiedenen Stellen auch in die Tiefe gehen kann, und ich einfach dann Assoziationen zu dem herstellen kann, weil ich weiß, da gibt’s noch ein Artikel, da gibt’s ein Buch oder da gibt es eine Diskussionsrunde, die mir irgendwie beim Recherchieren im Internet bekannt geworden ist."