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Wer regiert demnächst das Netz?

Die US-Regierung will die Aufsicht über die Internet-Verwaltung ICANN abgeben. Doch was passiert dann? Einige Staaten wollen mehr Kontrolle auf nationaler Ebene, Aktivisten schlagen dagegen ein internationales Netzparlament vor.

Peter Welchering im Gespräch mit Manfred Kloiber | 22.03.2014
    "Wir haben ein globales Domain-Name-System. Und dieses globale Domain-Name-System muss auch weiterhin global verwaltet werden. Wenn dieses System zersplittern würde, dann würde das gesamte Internetsystem, an das wir heute gewohnt sind, dass wir zum Beispiel www.deutschlandfunk.de im Internet einfach eingeben können und uns 100 Prozent sicher sein können, dass dann auch die richtige Seite dabei herauskommt, das wäre dann unter Umständen nicht mehr gewährleistet, wenn in einer chaotischen Konstellation mehrere verschiedene DNS-Roots existieren würden zum Beispiel."
    Manfred Kloiber: Warnt Paul Fehlinger vom "Internet and Jurisdiction Project", einer zivilgesellschaftlichen Organisation, die für eine möglichst breite Beteiligung vieler Interessengruppen an der Internet-Verwaltung eintritt. Eine stärkere nationale Verwaltung des Internets fordern zum Beispiel China und Russland schon seit Längerem. Dem stand bisher die amerikanische Oberaufsicht über die Internetverwaltung ICANN entgegen. Doch am vergangenen Samstag hat die Regierung der Vereinigten Staaten nun angekündigt, diese Aufsicht über die ICANN und damit das Internet bis Ende 2015 abzugeben. Wer regiert denn dann ab 2015 das Internet, Peter Welchering?
    Peter Welchering: Das muss in einem Diskussionsprozess geklärt werden. Der wird lange dauern und der wird zäh sein. Der Starschuss dazu fällt Ende März 2014 auf der ICANN-Konferenz in Singapur. Für die künftige Verwaltung des Internet werden zur Zeit drei Modelle diskutiert. Erstens: eine stärkere Nationalisierung des Internet mit nationalen Internet-Knoten. Zweitens: Oberaufsicht der Internet-Verwaltung durch die Vereinten Nationen. Drittens: Ausbau des Internet Governance Forum zu einem internationalen Internet-Parlament. Vor allen Dingen China, Russland und die Europäische Union haben hier sehr unterschiedliche Vorstellungen, die noch einmal sehr stark von denen der Internet-Gremien, wie etwa der Internet Engineering Task Force, und von denen zahlreicher zivilgesellschaftlicher Gruppen abweichen."
    Streit über künftige Führung
    Kloiber: Wer regiert also das Internet? Darüber wird schon sehr lange diskutiert. Und diese Diskussion ist ein wenig unübersichtlich geworden, weil viele zwischenstaatliche Organisationen, zivilgesellschaftliche Gruppen, Vertreter einzelner Staaten und Wirtschaftsvertreter sich über so viele unterschiedliche Netzgremien, deren Besetzung und deren Verwaltung streiten. Und in zahlreichen Verpflichtungserklärungen, Verträgen und Memoranden wurden unterschiedliche Regelungen gefunden. Internetaktivist Paul Fehlinger:
    Welchering: Es geht um die Verträge zwischen dem US-Handelsministerium, genauer gesagt der nationalen Telekommunikations- und Informationsbehörde mit ICANN, um die sogenannte IANA-Funktion auszuüben. Das ist englisch für die Internet Assignes Numbers Authority, und das bedeutet so viel wie die Internet-Behörde für die Zuteilung von Nummern. Das muss sich so vorstellen: das ist eine Art notarische Funktion, die von dem US-Handelsministerium ausgeführt wird, um Domänen-Namen, wie zum Beispiel die Top-Level-Domains .de,.fr,.com, im Internet verschiedenen Adressen zuzuweisen. Das ist quasi die höchste hierarchische Instanz in unserem Namensystem des Internet.
    Kloiber: Ohne dieses Namenssystem des Internets würde keine E-Mail ihren Empfänger finden, könnten wir nicht mehr auf Webseiten surfen. Und um die Domainnamen und ihre Zuordnung zu bestimmten Adressräumen des Internet wurde auch in der Vergangenheit heftig gekämpft. Stets wurde dabei die Oberaufsicht der amerikanischen Telekommunikations- und Informationsbehörde, abgekürzt NTIA infrage gestellt. Vor allem ihr Vetorecht, was neue Domainnamen betrifft, wollten viele Staaten nicht akzeptieren. Internetaktivist Paul Fehlinger erläutert, was es damit auf sich hat.
    Paul Fehlinger: Wenn ICANN zum Beispiel sagt, wir wollen einen neuen Domain-Namen im Internet haben, wird quasi dieser Request, diese Anforderung, zur NTIA geleitet, die dann grünes Licht gibt, woraufhin Versign dann das in die Root-Zone einträgt. Das muss man sich vorstellen so ein bisschen wie eine Excel-Tabelle. Auf der linken Spalte haben wir die Namen,.de, fr, com, und auf der rechten Seite haben wir die dazugehörigen Internetadressen, damit das ganze System auch funktioniert.
    Vorschlag für internationales Netzparlament
    Kloiber: Nicht nur Russland und China wollen diese Entscheidungen über Namenserweiterungen und über die Verwaltung des Adressraumes als hoheitliches Handeln der einzelnen Staaten verankern. Denn Internet-Sperren und Überwachungsmaßnahmen lassen sich so viel leichter durchführen. Dieser Gefahr wollen einige zivilgesellschaftliche Gruppen entgehen, indem sie ein internationales Netzparlament einrichten wollen. Und weil das Internet Governance Forum solche Regulierungsfragen bisher schon diskutiert hat, könnte es ausgebaut werden. Paul Fehlinger ist da skeptisch.
    Paul Fehlinger: Eine Sache, die man beim IGF in Betracht ziehen muss, ist, dass wir nicht wissen, wie nach 2015 und in welcher Form es den IGF weiterhin geben wird. 2015 wird es den sogenannten WIC + 10 Events geben. Das ist das Event zehn Jahre nach dem UN Gipfel für die Informationsgesellschaft, und dieser Gipfel wird erneut über das Mandat des IGF entscheiden.
    Kloiber: Ob es das Internet Governnace Forum nach 2015 überhaupt noch geben wird, ist fraglich. Nicht nur einzelne Staaten möchten es am liebsten abschaffen, um mehr einzelstaatliche Kontrolle über das Netz ausüben zu können. Auch die Internationale Fernmeldeunion, abgekürzt ITU, möchte das Internet Governance Forum am liebsten auflösen. Denn die ITU will selbst gern die Oberaufsicht über die ICANN übernehmen und begründet dies mit ihrem Status als Organisation der Vereinten Nationen. Und gegen eine UNO-Oberaufsicht kann doch niemand etwas haben, argumentieren die ITU-Vertreter. Auch hier ist Paul Fehlinger skeptisch.
    Welchering: Wird es eine UN-Lösung geben? Auch dort sind die Vereinigten Staaten sehr, sehr klar. Explizit sagen sie, dass die NTIA nicht akzeptieren wird, dass die jetzige Rolle, die sie in dieser Iana-Funktion hat von irgend einer Initiative oder von irgendeiner Struktur ersetzt wird, die entweder von einer Regierung geleitet ist oder eine zwischenstaatliche, also eine multilaterale Organisationen ist. Das schließt automatisch jegliche UN- oder ITU-Regulierung aus.
    USA wollen keine UN-Lösung
    Kloiber: Nächste Woche soll auf dem ICANN-Treffen in Singapur über die künftige Internetverwaltung diskutiert werden. Was können wir von Singapur erwarten, Peter Welchering?
    Welchering: Den Beginn der Diskussion, mehr auf gar keinen Fall. Und dann wird es vier Wochen später auf dem Net-Mondial-Treffen in Brasilien weitergehen. Die Fronten sind dabei klar: Die USA wollen keine UN-Lösung. Russland und China wollen eine weitgehende einzelstaatliche Verwaltung des Netzes. Und die Diskussion über das Schengen-Routing bei uns geht ja auch ein bisschen in diese Richtung der Renationalisierung des Netzes. Viele zivilgesellschaftliche Gruppen halten dagegen am sogenannten Multi-Stakeholder-Modell fest.
    Kloiber: Multi-Stakeholder-Modell, das müssen wir ein wenig erläutern. Wie sieht solch ein Modell für die Internet-Verwaltung denn aus?
    Welchering: Alle am Internet Beteiligten, Stakeholder genannt, also Staaten, UN, Wirtschaftsverbände, zivilgesellschaftliche Gruppen, Technik-Interessierte setzen sich zusammen, um eine neue Verwaltungsorganisation für das Internet zu gründen. Jeder dieser Stakeholder soll in dieser Organisation vertreten sein. Dafür gab es schon mehrere Anläufe in der Vergangenheit, zum Beispiel Weltinformationsgipfel 2003 in Genf und 2005 in Tunis. 2015 soll es einen neuen Weltinformationsgipfel geben, und der soll dann auch formell die neue Form der Internet-Verwaltung festlegen. Ein gutes Jahr also für eine Debatte, die uns während der vergangenen zehn bis zwölf Jahre auch nicht weitergeführt hat.
    Oberaufsicht könnte bei der USA bleiben
    Kloiber: Was passiert denn, wenn sich die Netzbeteiligten, die Stakeholder auf dem geplanten Weltinformationsgipfel 2015 nicht auf eine formelle Lösung zur Verwaltung des Internets einigen können?
    Welchering: Dann bleibt das Internet zunächst einmal unter der Oberaufsicht der amerikanischen Telekommunikations- und Informationsbehörde NTIA, also unter der Oberhoheit des US-Handelsministeriums. Das gibt die amerikanische Regierung zwar offiziell nicht zu, aber sie hat in ihren Beschluss, die Verträge zwischen der ICANN und der NTIA 2015 nicht mehr zu verlängern, im Kleingedruckten eingefügt, dass die amerikanische Telekommunikationsbehörde die künftige Verwaltungsform für das Internet, die die ICANN vorlegen muss, extra billigen muss, sonst bleibt es bei der Zuständigkeit des Handelsministeriums. Ob sich das allerdings 2015 noch politisch durchsetzen lässt, ist fraglich, denn nicht nur die zivilgesellschaftlichen Gruppen und die Wirtschaftsverbände machen mit ihren Modellen Druck, auch eine Staatengruppe unter Führung von Russland und China macht Druck und will die Renationalisierung des Internet. Da können die USA im September 2015 nicht einfach sagen: April, April, wir machen so weiter wie bisher.
    Kloiber: Welchen Einfluss hatte die NSA-Affäre, hatten die Enthüllungen von Edward Snowden auf den Entschluss der amerikanischen Regierung, die Oberhoheit über das Internet abzugeben?
    Welchering: Ausschlaggebend - Debatte läuft ja schon länger, bisher einige Erweiterungen der Internet-Verwaltung, aber letztlich blieb es bei der amerikanischen Oberaufsicht. Die massive Kritik im Rahmen der NSA-Affäre von der Wirtschaft, von Netznutzern, auch von Staaten hat diese Entscheidung maßgeblich beeinflusst. Und Brasilien wollte das ja ganz ausdrücklich mit der Net-Mondial die jetzt im April stattfinden wird, auch anstoßen.