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Internetmusik
Der Sound sozialer Netzwerke

Wir hinterlassen Spuren in sozialen Netzwerken, kommentieren und liken. Mittlerweile ist es kaum noch möglich, die digitale Identität eines Menschen von seiner Offline-Person zu trennen. Das hat auch Auswirkungen auf heutige Musikproduktionen, die sich dem Dasein der Netzwerke nicht mehr entziehen können.

Von Raphael Smarzoch | 01.07.2017
    Kanye West bei seinem Auftritt beim KIIS FM s Wango Tango 2015 im StubHub Center in Carson.
    Rapper Kanye West tritt nicht nur als Musiker in Erscheinung, sondern auch als ein Informationsmediator. (imago stock&people)
    Die Rapperin Rico Nasty erzählt im Song "Block List" von unbeliebten Verehrern und Hatern, die sie den ganzen Tag über ihre sozialen Medienkanäle zu kontaktieren versuchen.
    Myles Dunhill sagt: "Wenn Produzenten seriöser wirken wollen, fangen sie mit Facebook und Instagram an. Es ist schon seltsam, dass ein Musiker Fotos und soziale Medien braucht, um zu zeigen, was er so treibt."
    Myles Dunhill, Betreiber des Internet-Labels Pedicure Records, wundert sich über die Omnipräsenz in Online-Kanälen. Doch die ist heutzutage nichts Ungewöhnliches mehr. Produzenten integrieren ihre Arbeit in soziale Medien. Die Portale im Netz werden zu künstlerischen Vermittlungsinstanzen. Die Online-Persona eines Musikers ist mittlerweile zu einem festen Bestandteil seiner Musik geworden. Um die künstlerische Identität eines Musikers vollständig zu erfahren und zu verstehen, ist es unumgänglich, sich in den Netzwerken durch Daten zu klicken, die er oder sie im World Wide Web hinterlassen hat.
    "Kultur der Partizipation"
    Das wird besonders im Hip-Hop deutlich. Rapper Kanye West tritt nicht nur als Musiker in Erscheinung, sondern auch als ein Informationsmediator. Die sein jüngstes Album "The Life of Pablo" begleitenden Krisen, der Klatsch und Tratsch und die in den sozialen Medien dargestellte Dokumentation des Entstehungsprozesses sind genauso ein Teil des Werks wie die Musik. Fans begleiten diesen Entstehungsprozess und können ihn gleichzeitig in Echtzeit kommentieren.
    Michael Waugh sagt: "Es gibt schon seit langer Zeit eine Theorie in den Medienwissenschaften, die als 'Kultur der Partizipation' bezeichnet wird. Die besagt, dass Fans zunehmend an der Konstruktion und dem Konsum von Kultur teilhaben. Das liegt an der Fähigkeit, online Dinge zu erschaffen, die wir beispielsweise durch Hashtags diskutieren können. Es ist möglich, Blogs, Vlogs und YouTube-Videos zu produzieren. Aktuelle Ereignisse können auf Facebook und Twitter debattiert werden. Der wohl wichtigste Aspekt davon ist die Popularität der Memes, in denen kulturelle Artefakte durch digitale Medien verteilt werden."
    Der Soundtrack der Memes
    Das Potenzial eines Musikstücks, zum Soundtrack eines Memes zu werden, ist mittlerweile zu einem wichtigen Marketingtool avanciert. Der Internet-Agentur Pizzaslime gelang es, das Stück "Black Beatles" von Rae Sremmurd zum Soundtrack der 2016 bekannt gewordenen Mannequin-Challenge zu lancieren, in der Menschengruppen wie Schaufensterpuppen regungslos vor laufenden Videokameras posierten. Ein kommerzieller Erfolg. Der Song belegte den ersten Platz in den amerikanischen Billboard-Charts. Das gilt auch für den Track "Bad and Boujee" des Hip-Hop-Trios Migos. Die ersten zwei Textzeilen des Songs wurden von Fans in zahlreiche Internet-Memes übersetzt.
    Soziale Netzwerke verändern nicht nur die Rezeption und Vermarktung von Musik. Die in ihnen stattfindende sprachliche Kommunikation hat auch einen Einfluss auf den Sound heutiger Produktionen. Digital vermittelte Sprache wird immer schneller und muss sich unmittelbar erschließen. Das hat zur Folge, dass sie ihre verbalen Bausteine zunehmend verliert, da es einfach zu viel Zeit kostet, komplexe Inhalte in Worte zu fassen. Tatsächlich bestehen viele Refrains heutzutage nur noch aus einzelnen Silben, die zu einer Melodie zusammengefügt werden.
    "Emoticons haben unsere Kommunikation verändert"
    Der amerikanische Produzent Aaron David Ross beobachtet diese Entwicklung aufmerksam. Auf seinem aktuellen Album "Throat" arbeitet er ausschließlich mit Vokallauten. Seine Absicht: Die Komposition einer Musik, die den digitalen Jargon sozialer Netzwerke abbildet. Er erklärt:
    "Emoticons haben unsere Kommunikation so drastisch verändert, dass es nicht mehr notwendig ist, Dinge zu erklären, wenn man sie benutzt. Sie geben einem einfachen Statement genügend emotionale Identität, um die dahinterstehende Botschaft zu vermitteln. Musik folgt mittlerweile derselben Logik. Wir müssen nicht mehr diese langen Strukturen aus Wortsträngen kommunizieren, um das mitzuteilen, was wir mitzuteilen versuchen."
    Musik als Emoticon, die ganz ohne Worte die Schnelllebigkeit sprachlicher Prozesse im Internet einfängt. Gleichzeitig spiegelt sie die Verschmelzung von virtueller und analoger Welt, einer ununterbrochenen Vernetzung, der sich heutzutage kaum noch jemand zu entziehen vermag.