Am Mikrofon begrüßt Sie Barbara Eckle. Die heutige Ausgabe der Neuen Platte widmet sich ganz dem Streichquartett. Dabei möchte ich Ihnen drei CDs mit Komponisten aus Ungarn, Polen und Finnland vorstellen: Sandor Veress, Krzysztof Meyer und Seppo Pohjola - alle sind sie unterschiedlichen musikalischen Traditionen verschrieben – und bei der so intimen Form des Streichquartetts lassen sich die maßgeblichen Einflüsse sehr deutlich heraushören. Doch spricht daraus mit ebenso großer Deutlichkeit die individuelle Sprache und Entwicklung der Komponisten, dass man zuweilen fast meinen möchte, darin eine Geschichte mit biografischen Zügen lesen zu können.
Als Schüler von Bartok und Kodaly und Lehrer von Ligeti und Kurtag stellt der 1907 geborene Ungare Sandor Veress in der Musikgeschichte seines Landes eine wichtige Verbindung zwischen zwei Generationen dar. Wie prägend seine Erfahrung als Assistent Bartoks bei dessen Sammlung von Volksmusik war, wird an der besonderen Rhythmik und folkloristischen Färbung seiner Musik immer wieder klar, besonders aber im Ersten Streichquartett aus dem Jahr 1931, das für ihn den Durchbruch bedeutete. In der Form bleibt er weitgehend der traditionellen drei-sätzigen Struktur treu. Den Raum innerhalb dieser Struktur versteht er allerdings als Tummelfeld für Experimente. In seinem Ersten Streichquartett, das gleich nach seinem Studienabschluss entstand, sind diese Experimente vor allem motivischer Natur. Elegische, gesangliche Linien geben sich die Hand mit folkloristisch-rhythmischen Motiven, in denen die unmittelbar vorausgegangene Forschungsreise nach Moldavien noch nachklingt.
Sandor Veress – Streichquartett Nr. 1 (1931)
I. Rubato, quasi recitativo
Ensembel Des Equilibres
"String Quartets Nos 1 & 2, String Trio"
Hungaroton Classic
Das 2006 gegründete französische Ensemble des Equilibres hat für diese CD kammermusikalische Werke des ungarischen Komponisten aufgenommen, die in der klugen Programmzusammenstellung Meilensteine in seiner Biografie darstellen. In seinem sechs Jahre später entstandenen zweiten Streichquartett sind volkstümliche Elemente und der Einfluss Bartoks zwar nach wie vor präsent, doch gilt hier sein besonderes Interesse polyphonen und kontrapunktischen Strukturen. Das auf dieser CD erstmals eingespielte Werk zeichnet sich vor allem durch einen spektakulären dritten Satz aus, der in einer raffiniert gebauten Fuge seinen virtuosen Höhepunkt findet.
Sandor Veress – Streichquartett Nr. 2 (1937)
III. Presto
Ensembel Des Equilibres
"String Quartets Nos 1 & 2, String Trio"
Hungaroton Classic
Ende der 30er-Jahre, zur Zeit der Uraufführung seines zweiten Streichquartetts, galt Veress als einer der viel versprechendsten Komponisten Ungarns. Doch wie so vielen machte auch ihm die Geschichte einen Strich durch die Rechnung. Politisch bedingt emigrierte er 1949 aus seiner ungarischen Heimat in die Schweiz, wo er fortan am Konservatorium Bern unterrichtete und seine Komponistenlaufbahn in diesem in vielerlei Hinsicht fremden Umfeld weiterverfolgte. So lässt sich sein Wirken klar in zwei Schaffensperioden aufteilen. Wenn er auch nicht zu den Pionieren der Nachkriegsavantgarde zu zählen ist, so verarbeitete er in dieser zweiten Schaffensperiode doch auch dodekaphone Techniken. Das Trio für Violine, Viola und Violoncello aus dem Jahr 1954 markiert einen eklatanten Unterschied zu früheren Werken auf dieser CD. Seine Zwölf-Ton-Reihen setzt Veress allerdings in einen Klangkontext, der von seiner heimatlichen Prägung nur wenig abweicht.
Sandor Veress – Trio für Violine, Viola und Cello (1954)
I. Andante
Ensemble Des Equilibres
"String Quartets Nos 1 & 2, String Trio"
Hungaroton Classic
Die schön konzipierte CD des Ensemble des Equilibres ist begleitet von einem aufschlussreichen Booklet von Melinda Berlasz, die darin knapp und prägnant den musikalischen und biografischen Kontext der einzelnen Werke herausarbeitet. Die CD ist 2011 beim Label Hungaroton Classic erschienen.
Nebst klassischem und zeitgenössischem Repertoire verschreibt sich das polnische Wienawski String Quartet vorwiegend der Musik polnischer Komponisten – darunter der 1943 in Krakau geborene Krzysztof Meyer. Nach ihrer 2003 erschienenen CD mit Meyers Streichquartetten 5, 6 und 8, hat das Quartett nun, wieder beim Label Naxos, Meyers bis dato letzten Streichquartette 9, 11 und 12 eingespielt. Bekannt ist Meyer vor allem auch als Autor musikwissenschaftlicher Bücher. Seine umfassende Monografie über Dmitri Schostakowitsch gehört bis heute mit zum Wichtigsten, was über den großen russischen Komponisten, mit dem Meyer eng befreundet war, publiziert wurde. Er hat sogar dessen unvollendete Oper "Der Spieler" vervollständigt. Diese Vertrautheit mit Schostakowitschs Klangsprache spricht aus Meyers Streichquartetten besonders deutlich. Auch, wenn er sich in seiner Laufbahn immer wieder verschiedener avantgardistischer Kompositionstechniken bediente, so ist er doch immer bei seiner traditionsverbundenen, aber authentische Kompositionssprache geblieben. Mit den aktuellen musikalischen Strömungen hat seine Musik nur wenig gemein, wie in den zwischen 1990 und 2006 entstandenen Werken dieser CD zu hören ist. Meyers Musik ist von einer existenziellen Expressivität und Intensität, dass sie stets das Gefühl von direkter Ansprache, ein Anvertrauen der innersten Gedanken suggeriert. Durch jedes Werk lässt sich eine klare Aussage verfolgen. So sind etwa die Sätze des neunten Streichquartetts bei allem Kontrast thematisch eng verbunden. Barsch, ohne jeden Schönklang, spielt das Wienawski String Quartet das Unisono zu Beginn des ersten Satzes und unterstützt dadurch die Insistenz, die von Meyers Klangsprache ausgeht.
Krzysztof Meyer – Streichquartett No. 9
I. Agitato
Wienawski String Quartett
Label Naxos
Meyers Werke zeichnen sich allesamt durch eine klare und stringente Dramaturgie aus. Dass er in der äußeren Form jedoch stark variiert, zeigen die Streichquartett auf dieser CD. So besteht das elfte Streichquartett aus einem einzigen, langen Satz, während sich das zwölfte, aus neun kurzen Einzelsätzen zusammensetzt – ein Phänomen, das natürlich wieder an die Streichquartette Schostakowitschs erinnert. Die meist mit gefühlskonzentrierten Bezeichnungen wie "dolente", "furioso", "appassionato" überschriebenen Sätze von Meyers zwölftem Streichquartett führen den Hörer zwar durch ein Wechselbad der Stimmungen, dennoch gehorchen sie immer einer zwingenden Gesamtdramatrugie. Nicht weniger kontrastreich ist das einsätzige elfte Streichquartett, doch verwebt Meyer hier die Gegensätze langsam in einem langen Bogen, der auf einen Höhepunkt von atemloser Dichte zuläuft.
Krzysztof Meyer – Streichquartett No. 11
Wienawski String Quartett
Label Naxos
Trotz seines arrivierten Klangs scheut das Wienawski String Quartet weder hochfragile Intimität noch kunstlos trockene Rohheit, die zum Klangvokabular von Kryzsztof Meyer gehören und trifft damit genau den Ton, der seine Musik so wirkungsvoll macht. Der deskriptive Booklettext von Richard Whitehouse seziert sehr detailiert die musikalischen Vorgänge innerhalb der Werke - leider ein wenig auf Kosten der größeren Zusammenhänge. Die CD des Wienawski String Quartet ist 2011 beim Label Naxos erschienen.
Nach Finnland führt uns die dritte Platte der heutigen Sendung: Für seine jüngste CD hat das Kamus Quartet, das 2002 von Studenten der Sibelius Akademie Helsinki gegründet wurde, die Streichquartette 1 bis 4 von Seppo Pohjola beim Label ALBA erstmals eingespielt. Musikalischer Leitstern des heute 47-jährigen Finnen Pohjola ist weder Landsmann noch Zeitgenosse noch Lehrer. Es ist Maurice Ravel, worauf auch der Booklettext verweist – nicht dass das wirklich notwendig wäre, denn die gestische und rhythmische Verwandtschaft zum französischen Komponisten ist kaum zu überhören. Pohjolas 1995 entstandenes Streichquartett Nr. 2 ist gezeichnet von einer atmosphärisch-evokativen Klangqualität, in die sich immer wieder eine latente Unruhe schleicht.
Seppo Pohjola – Streichquartett Nr. 2
The Kamus Quartett – Seppo Pohjola String Quartets 1-4
Label ALBA
Bevor Pohjola diese musikalische Vorliebe der Welt kundtat, positionierte er sich jedoch auf der Landkarte der zeitgenössischen Musik mit avantgardistischer Radikalität. Davon zeugt sein 1990 entstandenes erstes Streichquartett, das der Komponist selber als sein "eigentliches Debut" bezeichnet. Im Gegensatz zum zweiten Streichquartett, zeichnet es sich durch die extreme Kürze seiner drei Sätze aus, in denen eine Idee wild die andere jagt und jäh ablöst. Zu aufregend ist diese spannungsgeladene Ideenflucht, dass man dabei einen Gedanken an Dramaturgie verschwenden könnte. Das Kamus Quartett schärft mit ihrem wachen Spiel diese schnell wechselnden Profile und hebt dadurch die an Xenakis und Lachenmann anklingende krasse Modernität umso stärker hervor. Hören Sie nun den dritten und letzten Satz aus Pohjolas erstem Streichquartett.
Seppo Pohjola – Streichquartett Nr. 1 -III.
The Kamus Quartett – Seppo Pohjola String Quartets 1-4
Label ALBA
Sehr differenziert verfolgt die Autorin des Booklets Jouni Kaipainen die interessante Entwicklung des Komponisten in Bezug auf die Werke dieser CD. So ist darin von einer "Krise" die Rede, die Kaipainen mit der markanten Veränderung Pohjolas Klangsprache in Zusammenhang bringt. Diese Phase, die der Komponist selber als Krise bezeichnet, scheint einem bei Komponisten nicht ungewöhnlichen Pflicht-Neigungs-Konflikt gleichzukommen, zwischen der Notwendigkeit, sich mit neuen Ideen in der Neuen Musik-Szene zu etablieren und den eigenen musikalischen Präferenzen Raum zu geben. Im vierten Streichquartett von 2006 erweist sich dieser Konflikt als ausgestanden, die gegenläufigen Kräfte als gebannt und freier in eine wesentlich größere Struktur integriert. Hören Sie nun zum Abschluss einen Ausschnitt aus Pohjolas viertem Streichquartett. Das war die Neue Platte mit Musik von Sandor Veress, Krzysztof Meyer und Seppo Pohjola. Am Mikrofon verabschiedet sich Barbara Eckle.
Seppo Pohjola – Streichquartett Nr. 2 - I.
The Kamus Quartett – Seppo Pohjola String Quartets 1-4
Label ALBA
Als Schüler von Bartok und Kodaly und Lehrer von Ligeti und Kurtag stellt der 1907 geborene Ungare Sandor Veress in der Musikgeschichte seines Landes eine wichtige Verbindung zwischen zwei Generationen dar. Wie prägend seine Erfahrung als Assistent Bartoks bei dessen Sammlung von Volksmusik war, wird an der besonderen Rhythmik und folkloristischen Färbung seiner Musik immer wieder klar, besonders aber im Ersten Streichquartett aus dem Jahr 1931, das für ihn den Durchbruch bedeutete. In der Form bleibt er weitgehend der traditionellen drei-sätzigen Struktur treu. Den Raum innerhalb dieser Struktur versteht er allerdings als Tummelfeld für Experimente. In seinem Ersten Streichquartett, das gleich nach seinem Studienabschluss entstand, sind diese Experimente vor allem motivischer Natur. Elegische, gesangliche Linien geben sich die Hand mit folkloristisch-rhythmischen Motiven, in denen die unmittelbar vorausgegangene Forschungsreise nach Moldavien noch nachklingt.
Sandor Veress – Streichquartett Nr. 1 (1931)
I. Rubato, quasi recitativo
Ensembel Des Equilibres
"String Quartets Nos 1 & 2, String Trio"
Hungaroton Classic
Das 2006 gegründete französische Ensemble des Equilibres hat für diese CD kammermusikalische Werke des ungarischen Komponisten aufgenommen, die in der klugen Programmzusammenstellung Meilensteine in seiner Biografie darstellen. In seinem sechs Jahre später entstandenen zweiten Streichquartett sind volkstümliche Elemente und der Einfluss Bartoks zwar nach wie vor präsent, doch gilt hier sein besonderes Interesse polyphonen und kontrapunktischen Strukturen. Das auf dieser CD erstmals eingespielte Werk zeichnet sich vor allem durch einen spektakulären dritten Satz aus, der in einer raffiniert gebauten Fuge seinen virtuosen Höhepunkt findet.
Sandor Veress – Streichquartett Nr. 2 (1937)
III. Presto
Ensembel Des Equilibres
"String Quartets Nos 1 & 2, String Trio"
Hungaroton Classic
Ende der 30er-Jahre, zur Zeit der Uraufführung seines zweiten Streichquartetts, galt Veress als einer der viel versprechendsten Komponisten Ungarns. Doch wie so vielen machte auch ihm die Geschichte einen Strich durch die Rechnung. Politisch bedingt emigrierte er 1949 aus seiner ungarischen Heimat in die Schweiz, wo er fortan am Konservatorium Bern unterrichtete und seine Komponistenlaufbahn in diesem in vielerlei Hinsicht fremden Umfeld weiterverfolgte. So lässt sich sein Wirken klar in zwei Schaffensperioden aufteilen. Wenn er auch nicht zu den Pionieren der Nachkriegsavantgarde zu zählen ist, so verarbeitete er in dieser zweiten Schaffensperiode doch auch dodekaphone Techniken. Das Trio für Violine, Viola und Violoncello aus dem Jahr 1954 markiert einen eklatanten Unterschied zu früheren Werken auf dieser CD. Seine Zwölf-Ton-Reihen setzt Veress allerdings in einen Klangkontext, der von seiner heimatlichen Prägung nur wenig abweicht.
Sandor Veress – Trio für Violine, Viola und Cello (1954)
I. Andante
Ensemble Des Equilibres
"String Quartets Nos 1 & 2, String Trio"
Hungaroton Classic
Die schön konzipierte CD des Ensemble des Equilibres ist begleitet von einem aufschlussreichen Booklet von Melinda Berlasz, die darin knapp und prägnant den musikalischen und biografischen Kontext der einzelnen Werke herausarbeitet. Die CD ist 2011 beim Label Hungaroton Classic erschienen.
Nebst klassischem und zeitgenössischem Repertoire verschreibt sich das polnische Wienawski String Quartet vorwiegend der Musik polnischer Komponisten – darunter der 1943 in Krakau geborene Krzysztof Meyer. Nach ihrer 2003 erschienenen CD mit Meyers Streichquartetten 5, 6 und 8, hat das Quartett nun, wieder beim Label Naxos, Meyers bis dato letzten Streichquartette 9, 11 und 12 eingespielt. Bekannt ist Meyer vor allem auch als Autor musikwissenschaftlicher Bücher. Seine umfassende Monografie über Dmitri Schostakowitsch gehört bis heute mit zum Wichtigsten, was über den großen russischen Komponisten, mit dem Meyer eng befreundet war, publiziert wurde. Er hat sogar dessen unvollendete Oper "Der Spieler" vervollständigt. Diese Vertrautheit mit Schostakowitschs Klangsprache spricht aus Meyers Streichquartetten besonders deutlich. Auch, wenn er sich in seiner Laufbahn immer wieder verschiedener avantgardistischer Kompositionstechniken bediente, so ist er doch immer bei seiner traditionsverbundenen, aber authentische Kompositionssprache geblieben. Mit den aktuellen musikalischen Strömungen hat seine Musik nur wenig gemein, wie in den zwischen 1990 und 2006 entstandenen Werken dieser CD zu hören ist. Meyers Musik ist von einer existenziellen Expressivität und Intensität, dass sie stets das Gefühl von direkter Ansprache, ein Anvertrauen der innersten Gedanken suggeriert. Durch jedes Werk lässt sich eine klare Aussage verfolgen. So sind etwa die Sätze des neunten Streichquartetts bei allem Kontrast thematisch eng verbunden. Barsch, ohne jeden Schönklang, spielt das Wienawski String Quartet das Unisono zu Beginn des ersten Satzes und unterstützt dadurch die Insistenz, die von Meyers Klangsprache ausgeht.
Krzysztof Meyer – Streichquartett No. 9
I. Agitato
Wienawski String Quartett
Label Naxos
Meyers Werke zeichnen sich allesamt durch eine klare und stringente Dramaturgie aus. Dass er in der äußeren Form jedoch stark variiert, zeigen die Streichquartett auf dieser CD. So besteht das elfte Streichquartett aus einem einzigen, langen Satz, während sich das zwölfte, aus neun kurzen Einzelsätzen zusammensetzt – ein Phänomen, das natürlich wieder an die Streichquartette Schostakowitschs erinnert. Die meist mit gefühlskonzentrierten Bezeichnungen wie "dolente", "furioso", "appassionato" überschriebenen Sätze von Meyers zwölftem Streichquartett führen den Hörer zwar durch ein Wechselbad der Stimmungen, dennoch gehorchen sie immer einer zwingenden Gesamtdramatrugie. Nicht weniger kontrastreich ist das einsätzige elfte Streichquartett, doch verwebt Meyer hier die Gegensätze langsam in einem langen Bogen, der auf einen Höhepunkt von atemloser Dichte zuläuft.
Krzysztof Meyer – Streichquartett No. 11
Wienawski String Quartett
Label Naxos
Trotz seines arrivierten Klangs scheut das Wienawski String Quartet weder hochfragile Intimität noch kunstlos trockene Rohheit, die zum Klangvokabular von Kryzsztof Meyer gehören und trifft damit genau den Ton, der seine Musik so wirkungsvoll macht. Der deskriptive Booklettext von Richard Whitehouse seziert sehr detailiert die musikalischen Vorgänge innerhalb der Werke - leider ein wenig auf Kosten der größeren Zusammenhänge. Die CD des Wienawski String Quartet ist 2011 beim Label Naxos erschienen.
Nach Finnland führt uns die dritte Platte der heutigen Sendung: Für seine jüngste CD hat das Kamus Quartet, das 2002 von Studenten der Sibelius Akademie Helsinki gegründet wurde, die Streichquartette 1 bis 4 von Seppo Pohjola beim Label ALBA erstmals eingespielt. Musikalischer Leitstern des heute 47-jährigen Finnen Pohjola ist weder Landsmann noch Zeitgenosse noch Lehrer. Es ist Maurice Ravel, worauf auch der Booklettext verweist – nicht dass das wirklich notwendig wäre, denn die gestische und rhythmische Verwandtschaft zum französischen Komponisten ist kaum zu überhören. Pohjolas 1995 entstandenes Streichquartett Nr. 2 ist gezeichnet von einer atmosphärisch-evokativen Klangqualität, in die sich immer wieder eine latente Unruhe schleicht.
Seppo Pohjola – Streichquartett Nr. 2
The Kamus Quartett – Seppo Pohjola String Quartets 1-4
Label ALBA
Bevor Pohjola diese musikalische Vorliebe der Welt kundtat, positionierte er sich jedoch auf der Landkarte der zeitgenössischen Musik mit avantgardistischer Radikalität. Davon zeugt sein 1990 entstandenes erstes Streichquartett, das der Komponist selber als sein "eigentliches Debut" bezeichnet. Im Gegensatz zum zweiten Streichquartett, zeichnet es sich durch die extreme Kürze seiner drei Sätze aus, in denen eine Idee wild die andere jagt und jäh ablöst. Zu aufregend ist diese spannungsgeladene Ideenflucht, dass man dabei einen Gedanken an Dramaturgie verschwenden könnte. Das Kamus Quartett schärft mit ihrem wachen Spiel diese schnell wechselnden Profile und hebt dadurch die an Xenakis und Lachenmann anklingende krasse Modernität umso stärker hervor. Hören Sie nun den dritten und letzten Satz aus Pohjolas erstem Streichquartett.
Seppo Pohjola – Streichquartett Nr. 1 -III.
The Kamus Quartett – Seppo Pohjola String Quartets 1-4
Label ALBA
Sehr differenziert verfolgt die Autorin des Booklets Jouni Kaipainen die interessante Entwicklung des Komponisten in Bezug auf die Werke dieser CD. So ist darin von einer "Krise" die Rede, die Kaipainen mit der markanten Veränderung Pohjolas Klangsprache in Zusammenhang bringt. Diese Phase, die der Komponist selber als Krise bezeichnet, scheint einem bei Komponisten nicht ungewöhnlichen Pflicht-Neigungs-Konflikt gleichzukommen, zwischen der Notwendigkeit, sich mit neuen Ideen in der Neuen Musik-Szene zu etablieren und den eigenen musikalischen Präferenzen Raum zu geben. Im vierten Streichquartett von 2006 erweist sich dieser Konflikt als ausgestanden, die gegenläufigen Kräfte als gebannt und freier in eine wesentlich größere Struktur integriert. Hören Sie nun zum Abschluss einen Ausschnitt aus Pohjolas viertem Streichquartett. Das war die Neue Platte mit Musik von Sandor Veress, Krzysztof Meyer und Seppo Pohjola. Am Mikrofon verabschiedet sich Barbara Eckle.
Seppo Pohjola – Streichquartett Nr. 2 - I.
The Kamus Quartett – Seppo Pohjola String Quartets 1-4
Label ALBA