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Invasion der Laien

Sie sind Protagonisten der Reality-Shows, sie laden selbstgemachte Bilder und Videos ins Internet und sorgen als Blogger für Gegenöffentlichkeit. Kein Zweifel: Amateure und Laien pfuschen den Profis bei Musik, Radio, Film, Theater, Fotografie und Fernsehen nicht nur ins Handwerk, sie prägen die mediale Umwelt entscheidend mit. Verändern sie dabei unsere visuelle Kultur, die Bilderwelt in unserer Kultur überhaupt? Der Frage widmete sich ein dreitägiges Symposium in Siegen.

Von Andrea Lueg | 12.06.2008
    Was früher im privaten Kreis gezeigt wurde, Urlaubsfotos, der Schmalfilm von Helgas Hochzeit, das Video von Peters erstem Schultag, erreicht heute eine ganz andere Öffentlichkeit - das Internet macht's möglich. Auf YouTube zum Beispiel werden Unmengen mehr oder weniger banaler Szenen ausgestellt. Aber auch diskutiert, kommentiert, nachgeahmt.

    Doch was sind die Erzeuger solcher Bilder eigentlich? Dilettanten, Laien, Amateure?

    " Es ist die Frage, ob diese Einteilungen, diese Kategorisierungen eigentlich noch notwendig sind. Wenn wir uns vorstellen, dass im Internet Amateure dazu aufgefordert werden, für die Werbung, für die "Bild"-Zeitung, für journalistische Aktivitäten tätig zu werden, ist natürlich die Frage, was sind sie denn? Sind sie Laie, sind sie Nicht-Profi? Sie mausern sich eigentlich in einem Zwischenbereich, sodass der Begriff Medienamateur eigentlich der richtige ist um diese Phänomen zu beschreiben, "

    meint Susanne Regener, Professorin für Mediengeschichte an der Universität Siegen, die das Symposium organisiert hat. Vor allem seit Web 2.0 hat sich der Inhalt des Internets drastisch verändert. Web 2.0, das bedeutet vor allem eine veränderte Nutzung des Internet. Benutzer erstellen und bearbeiten Inhalte in entscheidendem Maße selbst. Es ist eine neue Produzentenschicht entstanden, die der Prosumer.

    " Es kommt aus dem Amerikanischen, man spricht ins Deutsche gewendet von Prosumenten, eine Hybridform bestehend aus Produzent und Konsument. "

    Die Hobbymacher stellen den Profibetrieb der Medien infrage und geben neue Impulse. Und sie werden dazu zumindest zum Teil von den Profis ermutigt oder auch benutzt. Plattformen der Amateure wie YouTube zum Beispiel werden von Professionellen durchforstet auf der Suche nach neuen Ideen.

    Mit den Medienamateuren hat sich die Wissenschaft bisher nur am Rande auseinandergesetzt. Das mag daran liegen, dass sie nicht eindeutig einer Disziplin zuzuordnen sind. Filmwissenschaften, Kunstgeschichte, Medienwissenschaften, Sozialwissenschaften, alle sind irgendwie zuständig, keiner so ganz. Das Symposium in Siegen war der erste gemeinsame Versuch, herauszufinden, was der Einfluss der Laien für unsere Bilderkultur bedeutet. Gibt es im endlos scheinenden Raum des Internet einfach mehr Bilder oder bringt die Bastlerkultur auch qualitative Veränderungen? Und wer waren die Vorgänger der heutigen Medienamateure?

    Da gab es zum Beispiel die Arbeiterfotografenbewegung, dann die Medienamateure in der DDR mit ihren teils geradezu subversiven Werken. Oder wie anders wäre ein Amateurfilm zu bezeichnen, der über Minuten die Bewältigung einer besonders schlaglochreichen Strasse durch diverse DDR Autofabrikate zeigt und das Werk dann "Danksagung" nennt? Oder die engagierten Schmalfilmer des Westens, meist Familienväter mit entsprechenden Objekten. Das Thema "Der Napfkuchen", gefilmt wurde die Mutter beim Backen, avancierte zum Renner, einmal vorgemacht von vielen Amateurkollegen kopiert. Aber auch die knipsenden SS-Soldaten, die ihre Fotos zur Familie nach Hause schickten. Manches davon war nur banal, so einiges aber politisch, unter Umständen sogar hochbrisant.

    Und heute?

    " Kann das, was im Internet heute so produziert wird, kann man da noch irgendwo von einem politischen Bildermachen sprechen? Oder politischen Intentionen, als Amateur Bilder einzustellen? "

    So eine der Fragestellungen des Symposiums. Schon in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts bildeten Arbeiterfotografen Netzwerke, hatten Amateurschmalfilmer ihre Vereine. In anderer Form, meint Susanne Regener, gibt es das auch heute noch.

    " Ich nenne nur mal als Beispiel alles, was sich um Attac gegründet hat. Da sind sehr viele Jugendliche auch dabei gewesen, und ich würde sagen haben auch versucht, politische Aussagen mit Bildern zu kreieren. "

    Und dann sind da noch die privaten Bilder, die gar keine politische Intention hatten, mit ihrer Veröffentlichung aber eine sehr starke politische Bedeutung erlangen. Etwa die Folter-Bilder aus Abu Ghraib, aber auch die Fotos von den Ereignissen des 11. September 2001, die ganz überwiegend Amateuraufnahmen waren. Homevideos, Familienbilder, das alles gab es natürlich schon früher.

    " Man hat allerdings dieses Bildschaffen in erster Linie im familiären Umfeld gezeigt und rezipiert, das hat diese Öffentlichkeit wie wir sie heute durch das Internet haben ja nie in diesem Maße gehabt. "

    Das Öffentlich-Machen außerhalb des familiären Rahmens ist zentral geworden und damit auch die Selbstdarstellung zu einem Schlüsselbegriff im Zusammenhang mit den Medienamateuren. Es geht nicht mehr ohne ein Bild von sich selbst, sagt Susanne Regener, am besten im Internet hinterlegt.

    " Und bei Heidi Klum, Germany's Next Topmodel gibt es ja diese Wendung, wenn eine Teilnehmerin diese Gruppe verlassen muss, dann hat sie immer gesagt, ich habe heute kein Foto von dir, und das bedeutet, und ich nehme das symbolisch, es gibt kein Abbild von dir, es gibt kein Artefakt, von daher kannst du auch nicht weiter existieren. "

    Selbstdarstellung mit Hilfe von Bildern und auch in der Öffentlichkeit ist natürlich kein neues Phänomen. Das Internet bietet lediglich neue Möglichkeiten der Selbstdarstellung - und die sind nahezu unendlich, hat Medienwissenschaftlerin Dominika Szope festgestellt.

    " Es fängt an mit Selbstdarstellungen, die wirklich ganz einfach gemacht sind, wo Leute einfach nur in die Kamera sprechen, vielleicht etwas mehr Wert auf ihr Äußeres legen, dann kommen aber auch manche in ihrem Unterhemdchen grad aus dem Bett und legen gar keinen Wert auf ihr Äußeres. Dann gibt es welche, die darauf achten, dass ihre Szenerie einen höheren Wert hat, dass sie also wirklich sehr, sehr gut rüberkommen. Dann gibt es welche, die sich in einem Kreis von Leuten inszenieren und auch ihre Freunde mit hineinbringen. "

    Auch Medienprofis sind Konsumenten der Laienplattformen. Und Unternehmen versuchen in solchen Communitys Schleichwerbung zu platzieren. Oder, ganz infam, zumindest aus Sicht der Medienamateure, Profis geben sich als Laien aus. So geschehen unter dem Pseudonym lonelygirl15. Unter diesem Titel erschienen bei YouTube etwa 30 kurze Filme, in denen ein Mädchen namens Bree über ihr Leben in einer kleinen Stadt erzählte, über ihre religiösen Eltern und ihren Freund. Ihre Filmchen wurden drei Millionen mal heruntergeladen. Dann im September 2006 der Schock: Lonelygirl15 war kein Mädchen von nebenan, sondern in Wirklichkeit eine neuseeländische Schauspielerin, gemanagt von einer Werbeagentur.

    Die Frage nach der Selbstdarstellung, sagt Dominika Szope, ist im Internet verknüpft mit der schwierigen Frage nach Wahrheit und Authentizität. Sie versucht, das zu zeigen am Beispiel von Green Tea Girlie, einem jungen Mädchen aus Amerika, das sich im letzten Jahr, also eine Weile nach dem lonelygirl15-Schock, zum ersten Mal bei YouTube mit einem kleinen Video vorstellt.

    Ist Green Tea Girlie eine Medienamateurin?

    " Also Green Tea Girlie ist ein sehr beeindruckendes Phänomen, weil sie von Anfang an einer harschen Kritik ausgesetzt ist, sie wäre eben eine Lügnerin, dass sie eben auch Schauspielerin ist und keine Amateurin, die einfach nur Spaß an YouTube hat und ein paar Filme machen will und die der YouTube Gemeinde zugänglich machen will. Sie ignoriert diesen Vorwurf anfänglich und produziert ihre kleinen Videos, die sind recht attraktiv, weil sie attraktiv ist in erster Linie, es sind einfache Videos, das heißt, sie tanzt ein bisschen, sie spricht über eine neue Frisur, die sie sich gemacht hat. In gewisser Weise sehr einfache Darstellung, teilweise auch sehr amüsant, die aber immer mehr Kritik auf sich zieht. Das ganze hat dann einen ersten Höhepunkt darin, dass Green Tea Girlie ein Treffen mit einem Jungen vereinbaren will und anbietet das zu filmen, damit eben auch die YouTube-Nutzer sich ein Bild davon machen können, wie der, den sie sich da ausgespäht hat, so ist, daraufhin reagieren sehr viele Jungs mit sehr vielen bösen Videos. Es gefällt gar nicht, dass sie mit einer heimlichen Kamera ein Date filmen will. Das Ganze spitzt sich zu, es werden verschiedene Verbindungen laut, Green Tea Girlie sei ein Fake "

    Man wirft ihr vor, sie wolle lediglich Schleichwerbung für Grünen Tee machen. Green Tea Girlie zieht sich schließlich zurück.

    " Kurze Zeit später deckt dann die LA Times auf, dass diese Verbindungen, die ihr zum Vorwurf gemacht wurden, dass die ein Fake waren, dass sie also tatsächlich existiert, dass sie kein Fake ist, dass sie ein Mädchen aus Salt Lake City ist, das grünen Tee in einem Einkaufszentrum verkauft, und dass alle Vorwürfe der Schleichwerbung nicht stimmen und von einem gewissen Matthew Foremsky initiiert wurden, der damals, ein Jahr zuvor dafür gesorgt hat, dass lonelygirl15 als ein Fake aufgedeckt wird. "

    Identitäten werden verschleiert, dann aufgedeckt und dann andere Identitäten von den Aufdeckern verleumdet. Die Welt der Medienamateure ist kompliziert. Aber immerhin ist ihre Selbstdarstellung im Netz etwas Aktives und hat mit dem Voyeurismus, der das Netz anfangs prägte, häufig nicht mehr viel zu tun, meint Dominika Szope.

    Welche Rolle Wahrheit, Echtheit, Wirklichkeit bei den Medienamateuren spielen, inwieweit wir überhaupt noch unterscheiden können zwischen Medienamateur und Profi und was das über die Qualität aussagt, all diese Fragen sind von der Wissenschaft bisher nur gestellt, noch nicht beantwortet. Aber immerhin gibt es interessante Thesen aus verschiedensten Disziplinen und mit denen will Organisatorin Susanne Regener weiterarbeiten.

    " Das ist etwas was ich jetzt gerne zusammenbringen möchte, also eine Community stiften zu diesem Thema Medienamateure in Geschichte und Gegenwart kann man sagen "