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Invasion der Zweiräder aus Fernost
Kontroverse um Mieträder in München

Rund 700.000 Kraftfahrzeuge sind in München zugelassen. Die Straßen sind voll, Parkplätze sind rar. Die seit Sommer 2017 in München überall zu findenden Leihräder eines Singapurer Start-ups könnten eine Alternative bieten. Doch genau die führen seit Monaten zu heftigen Diskussionen.

Von Tobias Krone | 03.11.2017
    Ein Linienbus fährt am 27.06.2017 durch eine Straße in München (Bayern).
    Alternative zum Auto? Rund 10.000 Leihräder gibt es derzeit in München. (dpa / picture alliance / Fabian Nitschmann)
    Die Hysterie über die Fahrradinvasion aus Fernost – sie ist in München inzwischen weitgehend abgeklungen, wenn auch die Skepsis bleibt.
    "Mich geniert das nimmer, es gibt Schlimmeres, gell?" - "So richtig schlimm finde ich‘s nicht, dass die rumstehen."
    "Mich haben sie nicht so richtig gestört, weil ich grad viel arbeite, von daher - aber ein bissl verschandeln die halt schon das Stadtbild."
    Das wohlgepflegte Stadtbild Münchens - es bekam im Juli dicke gelbe Farbkleckse verpasst. Plötzlich standen an jeder Ecke die Leihfahrräder der Firma Obike aus Singapur.
    "Die haben innerhalb von sechs Wochen ihre Flotte auf 7.000 Fahrräder ausgebaut – im gesamten Stadtgebiet Münchens. Und das gab’s vorher nicht so."
    Bis zum Sommer gab es hier nur die insgesamt 2.400 Fahrräder des städtischen Radverleihsystems und des Bahn-Services Call-a-Bike. Bei Florian Paul, dem Radverkehrsbeauftragten der Stadt München, häuften sich Beschwerden über die Radansammlungen. Die lokalen Medien füllten mit der Furcht vor einer Invasion von Leihfahrrädern das Sommerloch.
    Drei Monate später fragen sich Politiker, ob asiatische Start-ups den Umstieg der Münchner aufs Fahrrad wirklich fördern? Und wie in einer Metropole, in der jeder Quadratmeter umkämpft ist, die Ordnung gewährleistet bleiben kann. Denn klar ist: Verbieten kann man die Leihräder nicht.
    "Grundsätzlich ist es so, dass Fahrräder im öffentlichen Raum überall abgestellt werden dürfen, wo keine verkehrlichen Problemlagen entstehen oder Zugänge blockiert werden – also Rettungswege, Zugänge zu U-Bahnstationen beispielsweise. Und das gilt auch für kommerziell genutzte, stationslose Leihfahrräder. Und das ist eine Besonderheit, das ist in ganz Deutschland so."
    Per Gespräch schneller zum Ziel
    Um Leihrädern rechtlich Plätze vorschreiben zu können, müsste man ihren Status ändern. Dann unterlägen sie der Sondernutzung, so wie etwa ein mobiler Imbissstand und müssten genehmigt werden.
    Doch in Politik und Verwaltung wurde man sich schnell einig: Eine rechtliche Verschärfung würde auch die anderen, schon etablierten Leihradsysteme betreffen. Also setzten sich die Stadtverwaltung und Obike zusammen.
    "Die haben an vielen Stellen dann sehr schnell die Probleme dann in den Griff bekommen, innerhalb von wenigen Tagen wurden diese Räder neu verteilt, umverteilt. Die haben endlich eine Hotline eingerichtet, die von Anfang an hätte da sein müssen. Eine Hotline für Anfragen und Beschwerden von Kunden und Bürgern."
    Radfahren mit Leihrädern nun auch in Radbezirken möglich
    Grundsätzlich begrüßen auch die städtischen Radbeauftragten mehr Mieträder. Man kann die Obikes bequem mit einer App freischalten – und für einen Euro eine halbe Stunde durch die Stadt fahren. Auch in die Außenbezirke Münchens – wofür man bei den anderen Anbietern bisher eine Strafe zahlen muss. Martin Glas vom Fahrradclub ADFC München:
    "Ich wohne jetzt zwar noch in München, aber ziemlich am Stadtrand. Ich muss beispielsweise, wenn ich ein Call-a-Bike abstelle, zehn Euro extra bezahlen. Wo ich mir dann überlege, ob ich nicht beispielsweise Taxi fahre, weil’s dann auch nicht viel teurer wird."
    Ein entscheidender Nachteil
    Doch einen entscheidenden Nachteil haben die gelben Obikes: ihre geringe Qualität. Mit dem Rahmen in Kindergröße und Vollgummireifen fährt es sich auf ihnen nicht gerade komfortabel, im Gegensatz zur etablierten Konkurrenz.
    "Wo die Fahrräder qualitativ wesentlich hochwertiger sind, ja: Die Ausstattung ist da wesentlich besser, die haben eine Gangschaltung, die haben Luftbereifung. Im Gegensatz zu den Obikes. Die Obikes sind sicherlich so ein Trainingsfahrrad, wenn man Kondition gewinnen möchte."
    Hohe Kaution schreckte bisher Kunden ab
    Viel gefahren werden die Räder bislang noch nicht. Das könnte auch an der relativ hohen Kaution liegen, die Obike seinen Kunden abzieht. Anfangs wollte die Firma gar 79 Euro. Inzwischen habe man die Kaution aber auf 29 Euro gesenkt, so Obike-Deutschland-Chef Marco Piu, der von Berlin aus arbeitet – und nur am Mobiltelefon erreichbar ist. Inzwischen, versichert er, würden die Räder mehr genutzt.
    Die Konkurrenz steht schon in den Startlöchern
    Auch andere Anbieter stehen in München in den Startlöchern. Im Gespräch mit der Stadt sind die asiatischen Anbieter OFO und Mobike, und auch schon Räder des dänischen Anbieters Donkey Republic stehen vereinzelt in der Innenstadt herum. Doch eine Schwemme von Millionen Leihfahrrädern wie in der chinesischen Metropole Peking befürchtet hier niemand mehr. Zumal selbst die 7000 Obikes angesichts des Münchner Autoverkehrs ein geringes Problem darstellten. ADFC-München-Chef Martin Glas.
    "Man kann natürlich auch sagen, in München sind mittlerweile über 700.000 Kraftfahrzeuge zugelassen. Und da ist es natürlich schon so, dass man sagt, was sind 7.000 Obikes gegen 700.000 Kraftfahrzeuge, die jetzt sicher nicht alle im Straßenraum stehen, aber ich meine, wenn man in der Innenstadt schaut: Es gibt ja eigentlich bloß zugeparkte Straßen.
    Da steht links Blech, da steht rechts Blech – und zwischendrin ist eine schmale Gasse, wo sich schon nicht mal mehr zwei Autos begegnen können."
    Deshalb sei es auch Blödsinn, Abstellverbote für Leihräder in München zu verhängen, wie es anfangs einige Stadträte vorgeschlagen haben.