Samstag, 18. Mai 2024

Archiv


Invasion mit 19 Punkten

Eine wichtige Methode im biologischen Pflanzenschutz ist das sogenannte Nachführen von Nützlingen. Das bedeutet: Will man einen Schädling bekämpfen, heftet man ihm einen natürlichen Feind an die Fersen. Zum Beispiel Marienkäfer, die sich ausgesprochen gern über Blattläuse hermachen. Nun bahnt sich jedoch ein mittleres Drama an. Eine bestimmte Sorte importierter Marienkäfer, die man vor Jahren zu Hilfe rief, hat die Gewächshäuser verlassen und gerät außer Kontrolle.

Von Michael Schlag | 10.04.2008
    Der Lindenhof außerhalb von Lich, einer Kleinstadt in Mittelhessen, bekommt seit Februar häufig ungebetenen Besuch. Besonders, wenn zum Lüften ein Fenster aufstand, erzählt Volker Weisel:

    "Wir haben festgestellt, ungefähr vor einem Monat, dass im Wohnzimmer Marienkäfer auftauchten. Und die haben wir, weil der Marienkäfer ja ein nützliches Tier ist, immer rausgesetzt ins Freie. Jetzt müssen wir mal sehen, was daraus entsteht, also es sind jeden Tag neue Käfer in der Wohnung."

    Weisel sammelte einige Exemplare und nahm sie mit zu seinem Arbeitsplatz am Fachbereich Agrarwissenschaft der Universität Gießen. Dort waren die aufdringlichen Käfer schnell identifiziert. Es handelte sich um weitgereiste Verwandte der heimischen Marienkäfer mit Namen "Harmonia axyridis" oder: Asiatischer Marienkäfer. Zu erkennen an den 19 schwarzen Punkten auf roten Flügeln und einem schwarzen -M- auf dem weißen Halsschild.

    Auf dem Lindenhof gingen die Besuche noch glimpflich aus, zur Plage wurden Asiatische Marienkäfer aber schon in Frankfurt, Hamburg und in Freiburg. Dort ließen sie sich im Herbst auf der Suche nach einem Winterquartier zu Tausenden an Häusern nieder. Doch das ist nur ein Grund, warum er nicht mehr willkommen ist, sagt Professor Andreas Vilcinskas vom Institut für angewandte Zoologie der Uni Gießen, obwohl der Mensch ihn doch selbst hierher geholt hat:

    "Der Asiatische Marienkäfer wurde vielfach eingeführt und wird im Handel immer noch angeboten als Nützling für die biologische Schädlingsbekämpfung. Es zeigt sich aber, dass er nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern sich sehr stark vermehrt. Dass er sich also rasant ausbreitet, und auch die Tendenz zeigt, einheimische Arten zu verdrängen. Und das befürchten wir nun auch für die einheimischen Marienkäfer."
    1982 wurde er in Europa eingeführt und zum ersten Mal in Südfrankreich ausgesetzt, 15 Jahre später fand man ihn in freier Wildbahn lebend in Belgien, heute ist der Asiatische Marienkäfer auch in ganz Deutschland verbreitet. Anfangs herrschte noch die Meinung vor, ein Nützling mehr könne wohl kaum schaden. Und dieser war im biologischen Pflanzenschutz besonders effizient und fraß viel mehr Blattläuse als die einheimischen Marienkäfer. Doch während die vorhandenen 7-Punkt- oder 4-Punkt-Marienkäfer eng gebunden sind an ihre Nahrung und ihren Lebensraum, sind ihre asiatischen Vettern sehr anpassungsfähig:

    "Die einheimischen Marienkäfer sind also etablierte Nützlinge, sie halten viele Schädlinge in Schach, insbesondere die Blattläuse. Und der Asiatische Marienkäfer scheint im Hinblick auf seine Nahrungswahl nicht so spezialisiert zu sein. Das heißt: Sind die Blattläuse weggefressen, kann es sein, dass er auch Marienkäferlarven anderer Arten frisst."

    Naturschützer fürchten um die heimischen Marienkäfer und das ökologische Gleichgewicht, Hausbesitzern wird der Asiatische Marienkäfer lästig, Winzern aber kann er gefährlich werden. Wie alle Marienkäfer wehrt er sich mit übel schmeckenden Stoffen gegen Fraßfeinde. Beim Asiatischen sind sie aber 100-mal stärker als bei den einheimischen Arten, warnt das Julius-Kühn-Institut, das Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen. Geraten Asiatische Marienkäfer bei der Ernte in das Lesegut, kann der Wein ungenießbar werden. In den USA gilt er deshalb als Ernteschädling, in Deutschland gab es noch keine Schäden, die Bayerische Landesanstalt für Weinbau stellte ihn aber schon unter Beobachtung der Rebschutzwarte. Für Professor Vilcinskas ein Beispiel, wie ein nicht ausreichend geprüfter Nützling sich zum Schädling wandeln kann. Familie Weisel in Mittelhessen hat sich derweil an die Käfer mit den 19 Punkten im Haus gewöhnt:

    "Die krabbeln am Fenster herum, man sieht sie an der Lampe sitzen, also irgendwo ist immer mal einer."