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Invasive Arten
Einschleppung fremder Tiere und Pflanzen hat Tradition

Ochsenfrösche, Halsband-Sittiche, und asiatische Marienkäfer haben eines gemeinsam: Sie sind invasive Arten, die fern ihrer ursprünglichen Heimat in Deutschland Fuß gefasst haben. Dabei verdrängen sie alteingesessene Arten und verändern die Ökosysteme.

Von Volker Mrasek | 25.10.2016
    Wilde Kamele terrorisieren australisches Dorf im Northern Territory im November 2009
    Wild lebende Kamele sind in ihrer angestammten Heimat längst ausgestorben. In Australien, wo sie sich seit dem 19. Jh. ausbreitet haben, stellen sie hingegen eine echte Plage für die Bevölkerung dar. (dpa picture alliance/AAP / NORTHERN TERRITORY GOVT.)
    Die Einschleppung fremder Pflanzen- und Tierarten kam nicht erst durch die sogenannte Globalisierung in Schwung, sondern schon viel früher. Das zeigen aufwändige Untersuchungen von Ökologen. Sie rekonstruierten jetzt die Geschichte der biologischen Invasionen vom 16. bis ins 20. Jahrhundert. Hanno Seebens:
    "Wir haben versucht, das Jahr des Erstfundes einer fremden Art einer Region zu finden. Also das bedeutet: Wann tauchte der Waschbär in Deutschland zum ersten Mal auf? Und dieses Jahr haben wir dann als Eintrag genommen für Deutschland und Waschbär. Und das haben wir dann versucht, für möglichst viele Organismengruppen und möglichst viele Länder von der ganzen Welt zusammenzukriegen."
    Fast 45.000 Fundmeldungen von rund 16.000 verschiedenen Arten kamen so am Ende zusammen. Hanno Seebens wertete die ganzen Daten aus, gemeinsam mit einem Kollegen aus Wien. Seebens ist Umweltwissenschaftler und arbeitet im Senckenberg-Forschungszentrum für Biodiversität in Frankfurt am Main:
    "Also, der historische Trend über die letzten 500 Jahre zeigt eigentlich, dass die ersten 300 Jahre so gut wie nichts passierte. Die Rate der Einfuhr war wirklich sehr gering, also unter zehn Arten pro Jahr. Und ab 1800 ging es dann los. Man findet einen fast kontinuierlichen Anstieg bis heute. Wir sind jetzt mittlerweile bei über 550 Arten pro Jahr, was bedeutet: Man hat ungefähr anderthalb Arten pro Tag."
    So viele Aliens unter den Tier- und Pflanzenarten tauchen also derzeit irgendwo neu auf, wo sie eigentlich nicht hingehören. Wobei es sich lediglich um Funde handelt, über die auch berichtet wird, in der Fachliteratur oder in anderen, zugänglichen Quellen:
    "Das ist aber eine Unterschätzung. Die tatsächliche Zahl müsste deutlich höher sein."
    Systematische Ein- und Ausfuhr exotischer Tiere
    Anfangs wurden Tier- und Pflanzenarten sogar ganz bewusst in die Ferne verschleppt. Das geschah während der großen Auswanderungswellen, die gerade auch im 19. Jahrhundert auftraten:
    "Hauptsächlich die Europäer sind ausgewandert in frühere Kolonien wie eben Nordamerika, Kanada, Australien, Neuseeland. Es gab auch Gesellschaften, die sogenannten acclimatisation societies, die wirklich versucht haben, das Leben der Siedler zu erleichtern, indem sie dann zum Beispiel auch Arten eingeführt haben, die die Siedler kennen. Viele Vögel wurden so eingeführt, aber auch Rehe und Hirsche, so dass die Siedler dann eben auch ihr Reh jagen konnten."
    Europa selbst erlebte in dieser Zeit die erste starke Invasion durch exotische Pflanzenarten. Ein Trend, der bis heute praktisch unverändert geblieben sei, so Hanno Seebens:
    "Dieser frühe Anstieg bei Gefäßpflanzen ist besonders. Im 19. Jahrhundert gab es einen ziemlichen Boom im Gartenbau, das heißt man hat wirklich versucht, intensiv neue Arten in neue Regionen einzuführen beziehungsweise vor allen Dingen nach Europa zu bringen. Es gab sogenannte Pflanzenjäger, die in der ganzen Welt rumgefahren sind und wirklich nur nach Pflanzen gesucht haben, die attraktiv für den europäischen Markt sind. Also, man weiß von einzelnen Personen, die bis zu 20.000 Pflanzenarten nach Europa gebracht haben."
    Rückläufige Einschleppungsrate bei Säugetieren
    Die meisten dieser Aliens sind wieder verschwunden oder wachsen in Gärten und Parks. Aber einige schafften es, die natürliche Vegetation zu unterwandern:
    "Der Staudenknöterich zum Beispiel ist eine bekannte Art. Riesenbärenklau ist eine andere Art."
    Entspannt hat sich die Lage lediglich bei den Säugetieren. Bei ihnen ging die Einschleppungsrate in den letzten Jahrzehnten stärker zurück - wahrscheinlich durch striktere internationale Handelsbeschränkungen.
    Ansonsten sieht Hanno Seebens aber keine Anzeichen dafür, dass die Ausbreitung von Aliens in der Welt demnächst abebben könnte. Auch wenn diese Hoffnung gelegentlich geäußert werde:
    "Für Pflanzen haben wir da eine Studie, die sagt: Wir haben etwa vier Prozent aller bekannten Pflanzenarten irgendwo als fremde Arten registriert, das heißt man hat noch 96 Prozent, die auch noch kommen könnten. Das ist jetzt ein bisschen überspitzt gesagt. Das wird bei anderen Gruppen auch so sein, das heißt wir würden auch weiterhin sehr viele neue Arten erwarten können. Also, es gibt keinen Grund anzunehmen, dass das abnimmt."
    Im Gegenteil: Inzwischen dürften es noch mehr invasive Arten sein, die jedes Jahr entdeckt werden. Die Forscher werteten ja nur Daten bis 2000 aus:
    "Das sind jetzt definitiv über 600. Vielleicht haben wir jetzt nicht mehr anderthalb, sondern zwei Arten pro Tag."