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''Invocation''
Zuerst sitzt die Schauspielerin im Orchester und wie lösgelöst von ihrer körperlichen Präsenz plappert, speit, spuckt, stößt sie ihren Text hervor, hektisch, gehetzt; dann zerbröckeln die Sätze, die Worte ersterben, zerfallen ihr im Mund - in dem Maße, wie aus überblasenen und Flageolett-Tönen langsam ein Klang entsteht. Und bevor dann später erst die Sängerin, dann eine Flötistin sich als Doubles und ausdrucksstarke Affektstimmen zu der Sprecherin-Figur gesellen, trimmt sich ein Chorkollektiv im Partylook der frühen sechziger Jahre auf einen gemeinsamen Sound aus gehauchten, verwehten, gepiepsten Einzelstimmen. Die verweigerte Geschichte, Anstoß und Ausgangspunkt seiner neuesten Musiktheaterkomposition "invocation", fand Beat Furrer bei Marguerite Duras: "Moderato cantabile". Ein Schrei, ein mörderischer Schrei, gefolgt von Schreien auf der Straße, unterbricht die Klavierstunde eines Kindes, den Vortrag von Diabellis 'moderato cantabile'-Sonatine und verändert das moderato geführte Leben von Anne, der jungen Mutter. Ein Mann hat - man sagt, auf ihr Verlangen? - die Frau erschossen, die er liebt. Ein Verbrechen aus Leidenschaft. Kein Fall für die Kripo, sondern die Gleichzeitigkeit von Liebe und Tod, der Einbruch einer - zerstörerischen - Kraft des Begehrens ins bürgerlich geregelte Leben faszinieren eine andere Frau und einen anderen Mann. Duras' Figuren leben, höchst artifiziell, an, auf einer Grenze zwischen Land und Meer, zwischen Trieb und Wildheit einerseits, ritualisierter Ordnung, den Fesseln des zivilisierten Umgangs andererseits. Und, bei Beat Furrer, an der Grenze zwischen Sprache, Atem, Schrei und Musik, Klang, Geräusch. Verdoppelte, gespiegelte Figuren, verlangsamt, erstarrt, in ihrem Bewegungsradius eingeschränkt, eingesperrt in einen Raum, also zur Immobilität verurteilt - das musste den Repetitionsartisten Christoph Marthaler, den Regisseur von Bewegungsritualen interessieren. Bettina Meyer hat ihm dafür ein Spiel- und ein diesem gegenüberliegendes Zuschauerpodest - quer zu der üblichen Erwartung an die Längsseiten der langen Zürcher Schiffbauhalle gestellt. Und die Zuschauer, eingesperrt auch sie, müssen die Hälse recken: nach unten, wenn sie den virtuosen Solisten des "ensemble opera nova" des Zürcher Opernorchesters unter der Leitung des Komponisten auch zusehen wollen. Immerzu nach rechts und links, wenn sie, wenigstens annähernd gleichzeitig, die minimalen und leicht asynchronen Bewegungen der Paare und Passanten verfolgen wollen, der 6 weib-lichen und 6 männlichen Mittelstandsverschnitte, der automatengleich Ähnlichen, Austauschbaren, die artig und schläfrig auf Panoramadeckbänken posieren. Auch hier: Anklänge, Abbrüche, Stocken. Und dann fährt als dramaturgisches Highlight auf dem langen Laufsteg, auf dem man sich höch-stens ein Stückweit gesittet zu Fuß bewegt oder, wie Anne, entlangstolpert und strauchelt, eine Art Wartehäuschen ohne nennenswerten Widerstand durch die starren Menschenpuppen hindurch. In die fährt nur eine Bewe-gung: hoch die Beine! - bis die Störung wieder vorbei ist. Schließlich formieren sich die Gesellschaftslemuren en bloc mit stereotyp blödem "Cheese"-Lächeln. Zurück bleibt Anne, zwar doppelt, aber isoliert; und der immer distanzierte Mann, die Projektionsfläche ihres Begehrens. Die Klage der Sängerin sinkt in immer tiefere Töne. Dann versickert die Musik ebenso wie die Sprach- und Dialogreste. Ende dieses weiträumigen Minimalismusspek-takels, das leider auf vertrackte Weise illustrativ ist. Nicht im vordergründi-gen Sinne: Kein Körper spielt etwa die musikalischen Affekträusche nach, die ja Ausdruck einer eminent körperlichen Sehnsucht sind. Aber Marthaler zeigt Statik - statisch, Leere - leer. Das Unbestimmbare - unbestimmt. Und Ödnis - öde. Erstickende Leere, das erstickte Leben, Realitätsverlust und Dinge, die nur noch Zeichen sind - ein Tschechow würdiges Sujet - dafür genügt keine Textaddition, wie Furrer sie vorgenommen hat. Und szenische Reproduktion und Vervielfältigung des Diffusen führen zu Langeweile und Beliebigkei und einer sicher unbeabsichtigten Lehrhaftigkeit: Wehe! Begehren isoliert - und trennt!.
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