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IQ-Vorsprung für ältere Brüder

Neurologie. – Die ältesten Söhne sind offenbar schlauer als ihre jüngeren Brüder, zumindest haben norwegische Ärzte das als statistisches Ergebnis einer groß angelegten Untersuchung herausgefunden. Sie werteten die Unterlagen der norwegischen Streitkräfte aus, in denen neben dem IQ auch verzeichnet ist, ob die Rekruten ältere oder jüngere Brüder haben. Inwieweit das Ergebnis auch auf Geschwister unterschiedlichen Geschlechts übertragbar ist, können die Forscher allerdings nicht sagen.

Von Kristin Raabe |
    Über eine Viertel Millionen norwegische Männer im Alter von 18 bis 19 Jahren sind für diese Studie zum IQ-Test angetreten. Der Test gehörte zu den Standarduntersuchungen, die alle jungen Norweger absolvieren müssen, wenn sie zum Wehrdienst antreten. Dabei machen die jungen Männer auch Angaben über Anzahl und Alter ihrer Geschwister. Diese umfangreichen Daten hat Petter Kristensen von der Universität Oslo gründlich ausgewertet. Denn er wollte wissen, wie sich die Rangfolge der Geschwister auf den IQ auswirkt. Kristensen:

    " haben herausgefunden, dass die älteren Brüder höhere IQs hatten als die jüngeren. Der Erstgeborene schnitt besser ab, als der zweitgeborene und der wiederum besser als der Dritte. Die Unterschiede in den IQ-Tests waren nicht sehr groß, nur etwa zwei Punkte. Aber bei so einer großen Gruppe war dieser Unterschied hoch signifikant."

    Petter Kristensen war ziemlich überrascht von diesem Ergebnis. Denn als Arzt wusste er, dass aus medizinischer Sicht eher die jüngeren Geschwister im Vorteil sind. Sie haben eine viel bessere Überlebensrate und ein höheres Geburtsgewicht. Ob die Unterschiede im IQ der Brüder durch biologische Faktoren oder durch das soziale Umfeld entstehen, wollte der norwegische Arzt unbedingt klären. Kristensen:

    "”Wir hatten die Möglichkeit Jungen zu untersuchen, die biologisch nicht die Erstgeborenen waren, aber trotzdem die ältesten Kinder in der Familie waren. Das war zum Beispiel dann der Fall, wenn das erste Kind bei der Geburt oder später als Kleinkind starb. Als wir diese Daten ausgewertet hatten, war klar: Die soziale Rangfolge ist entscheidend und nicht die biologische.""

    Die Biologie schien also keinen Einfluss auf die Unterschiede im IQ der Geschwister zu haben. Das soziale Umfeld lässt sich viel schwerer durch wissenschaftliche Tests erfassen. Deswegen kann Peter Kristensen zurzeit nur spekulieren, auf welche Weise die soziale Rangfolge der Brüder sich auf ihren IQ auswirkt:

    "”Eine Familie hat nur begrenzte Ressourcen für ihre Kinder. Wenn also das erste Kind geboren wird, dann hat es diese Ressourcen zunächst für sich alleine, das zweite Kind muss von Anfang an diese Ressourcen teilen und der Anteil des dritten Kindes wird dann noch kleiner. Je mehr Kinder in einer Familie leben, desto weniger Zeit und Aufmerksamkeit können die Eltern jedem einzelnen entgegenbringen.""

    Die erhöhte Aufmerksamkeit und Zeit, die Eltern für ihr erstgeborenes Kind zumindest zu Beginn seines Lebens übrig haben, könnte erklären, warum die ältesten statistisch gesehen auch die Schlausten sind. Möglicherweise liegt das aber auch daran, dass die Ältesten in vielen Familien ihre jüngeren Geschwister beaufsichtigen müssen und somit früh Verantwortung übernehmen. Welche Faktoren tatsächlich für den höheren IQ der älteren Brüder verantwortlich sind, müssen erst weitere Untersuchungen zeigen. Für den einzelnen haben die Befunde von Petter Kristensen sowieso kaum eine Bedeutung:

    "”Wenn zwei Brüder unterschiedliche Ergebnisse beim IQ-Test erzielen, dann liegt die Wahrscheinlichkeit bei 57 Prozent, dass der Ältere besser abschneidet. Für das Individuum lassen sich da also nur sehr ungenaue Vorhersagen machen. Das ganze gewinnt erst an Bedeutung wenn man eine sehr große Anzahl von Menschen betrachtet. Sie können also nicht zu ihrem Bruder hingehen und sagen. He, ich bin schlauer also du, weil ich der ältere bin.""

    Eine wichtige Frage konnten die norwegischen Forscher übrigens nicht klären. Und zwar die, ob ihre Ergebnisse auch für ältere Schwestern gelten. Denn letztlich beruhen ihre Resultate auf den Daten, die bei den Untersuchungen der Wehrdienstpflichtigen erhoben wurden. Und das sind in Norwegen eben nur junge Männer und keine Frauen.