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Irak
Angst vor dem Krieg nach dem Krieg

Ende März 2016 begann die irakische Armee die Offensive auf Mossul, der inoffiziellen Hauptstadt des IS im Irak. Bisher konnten die Kämpfer des sogenannten Islamischen Staates jedoch nur aus wenigen Dörfern vertrieben werden. Doch sobald die Anti-IS-Allianz Mossul erobert hat, könnte der Konflikt zwischen den Siegern in voller Härte ausbrechen.

Von Marc Thörner | 04.06.2016
    Sie sehen einen Kontrollpunkt der kurdischen Peschmerga-Kämpfer westlich von Erbil im Nordirak.
    In der Anti-IS-Allianz kämpfen Kurdische Peschmerga, irakische Armee, Schiitenmilizen und die Kräfte der internationalen Allierten gemeinsam gegen die Kämpfer des sogenannten Islamischen Staates. (AFP / Safin Hamed)
    "Einmal kam mein Sohn und sagte: 'Ich habe gesehen, wie drei Leichen an Kreuzen aufgehängt wurden. Das war ein Mann mit seinen beiden Söhnen – ein Ex-Hauptmann beim irakischen Armeegeheimdienst. Ich habe dann festgestellt, dass sie bereits erschossen worden waren. Anschließend hatten sie die drei gekreuzigt und die Kreuze entlang unserer Hauptstraße aufgestellt, als Abschreckung, damit sie alle sehen."
    Abdel Aziz Ahmed steht vor seiner Unterkunft im Flüchtlingslager von Dibaga, nur wenige Kilometer vor Mossul. Sein beigefarbener Bungalow aus Fertigbauelementen ist nicht größer als ein Wohnmobil. Links und rechts, gut einen Kilometer weit, sind ähnliche Behausungen aufgebaut. Der sehnige Mann Ende dreißig, trägt einen grau melierten Schnurrbart und das traditionelle lange Dischdascha-Gewand der hiesigen Araber.
    Seit drei Monaten ist er hier. Seit Ende März 2016, als die irakische Armee die Offensive auf Mossul begann. Bisher konnte sie die Kämpfer des IS, des so genannten Islamischen Staates, aber nur aus wenigen Dörfern vertreiben. Auch aus dem Heimatdorf von Abdel Aziz. Dort hatten IS-Kämpfer seit dem Sommer 2014 geherrscht. Sie seien gekommen, um die Sunniten des Irak vor den Schiiten zu beschützen, so hatten sie immer wieder behauptet. Aber Abdel Aziz hält das für Propaganda:
    "Der IS schützt uns nicht. Der IS schützt niemanden, die IS-Leute verteidigen nur sich selbst. Im Namen des Islam und der Religion begehen sie viele Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sie waren mitten unter uns, bei unseren Familien. Wann immer sie die irakische Armee angreifen wollten, pflegten sie zuerst unsere Frauen und Familien vorzuschicken. Dann schossen sie auf die irakische Armee und zogen sich zurück."
    Allein könnte die irakische Armee Mossul nicht einnehmen
    Mossul ist die zweitgrößte Stadt des Irak, so etwas wie eine Insel der arabischen Sunniten im kurdisch dominierten Norden. Nicht zuletzt deshalb konnte der arabisch und sunnitisch ausgerichtete IS Mossul zur Ausgangsbasis seines Krieges gegen Bagdad machen. Die Regierungstruppen mussten sich bisher durch schwieriges Terrain kämpfen, sagt General Firdus Baschar von der irakischen Armee:
    "Der Feind versucht, uns mit vielen Mitteln aufzuhalten, mit Minen, Sprengstofffallen in Häusern, Selbstmordattentätern in Autos, Verstecke in Tunnels. Aber die irakische Armee kennt diese Tricks und weiß, wie man dagegen vorgeht. Deshalb konnten wir die Gegend befreien und jetzt weht die irakische Flagge dort."
    Allein, räumt der General ein, allein könne die Armee Mossul allerdings nicht einnehmen:
    "Wir stellen zwar das Hauptkontingent. Mit dabei sind außerdem die Milizen verbündeter Sunnitenstämme und die Kräfte der internationalen Alliierten. Die USA unterstützen uns mit Kampfjets."
    Was General Firdus Baschar nicht erwähnt, ist: Aufseiten der irakischen Armee kämpfen noch weitere Verbündete. Schiitische Milizen, die aus anderen Teilen des Landes hierher gekommen sind. "Es gibt keinen Gott außer Gott und Amerika ist Gottes Feind." Parolen wie diese gehören seit Langem zum Repertoire der populären irakischen Schiitenprediger und ihrer Kampfverbände. Etwa der Badr-Brigaden, gegründet noch während der Diktatur Saddam Husseins, damals vom Iran bewaffnet und ausgebildet.
    Schiitenmilizen spielen bereits die Hauptrolle beim Angriff auf Falludscha
    Auch der radikale Schiitenprediger und Volkstribun Muqtada al Sadr kommandiert eine Truppe, die so genannte Mahdi-Armee. Bis kurz vor dem Abzug der US-Armee beschossen diese Gruppen noch amerikanische Soldaten. Aus dem Iran bezogen sie hoch entwickelte Sprengfallen, töteten und verstümmelten damit zahlreiche Amerikaner. Im Augenblick, so sagt Haydar, der Kommandeur einer schiitischen Milizeneinheit, stehe man aber auf derselben Seite wie Amerika:
    "Unser Hauptziel ist der Kampf gegen den IS. Egal, wer gegen den IS kämpft, mit dem verbünden wir uns."
    Versucht der Iran im Windschatten der Anti-IS-Allianz, seinen Einfluss auszudehnen auf die Gebiete, die bislang als klassische kurdische und sunnitische Gebiete galten? Milizenchef Haydar weist solche Überlegungen zurück:
    "Sehen Sie sich unsere Waffen an. Sie sind bei Weitem nicht so schlagkräftig, wie wir uns das wünschen. Daran allein sehen Sie, dass uns niemand aus dem Ausland unterstützt. Wir haben weder etwas mit der Türkei zu tun noch mit dem Iran."
    Auf viele der sunnitischen Binnenflüchtlinge im Lager von Dibaga wirken Männer wie Haydar allerdings wie Besatzer:
    "Die einzelnen Gruppen dieser Freiwilligen, die al Sadr-Organisation, die Badr-Brigaden, sie alle sind mit dem Iran verbündet. Mein Bruder wurde schon von den Schiitenmilizen festgenommen und bis heute fehlt von ihm jede Spur."
    "Egal, wer uns befreit, Hauptsache er befreit uns."
    Auch wenn das der Bevölkerung dort alles andere als recht sein dürfte - Schiitenmilizen spielen bereits die Hauptrolle beim Angriff auf Falludscha, einer sunnitisch dominierten IS-Hochburg im Zentralirak. Mossul hat noch mal ein ganz anderes Gewicht. Iraks zweitgrößte Stadt und inoffizielle Hauptstadt des irakischen IS ließe sich wohl kaum gegen den Willen der Bevölkerung einnehmen. Einige der Flüchtlinge im Lager von Dibaga wären zufrieden, wenn die Eroberer sich wenigstens korrekt verhielten:
    "Egal, wer uns befreit, Hauptsache er befreit uns. Nur sollten die Befreier keine Unterschiede zwischen Sunniten und Schiiten machen. Zur Zeit dauert es etwa einen Monat, bevor ein einziges Dorf vom IS zurückerobert werden kann. Ein Monat für 150 Häuser! Wenn das in diesem Tempo weitergeht, dauert es noch Jahre, bis Mossul erobert ist."
    Und das dürfte wohl kein Zufall sein. Kurdischen Peschmerga, irakischer Armee, Schiitenmilizen, USA, allen Beteiligten ist klar: Keiner kann die Stadt allein erobern. Aber allen ist genauso klar: Sobald die Stadt erobert ist, bricht der Konflikt zwischen den Siegern endgültig in voller Härte aus. So lange der IS noch in Mossul regiert, bleibt eine Schonfrist, um sich auf die nächste große Herausforderung vorzubereiten: den Krieg nach dem Krieg.