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Irak
Isis öffnet die Büchse der Pandora

Die Kalifats-Idee, die nach dem Ende des Osmanischen Reiches in Vergessenheit geriet, ist durch den Isis-Terror zurück. Nun haben die Dschihadisten offenbar ihren Anführer Abu Bakr al-Baghdadi zum Kalifen und damit zum Nachfolger des islamischen Propheten Mohamed ernannt.

Von Wolfgang von Erffa | 30.06.2014
    Abu Bakr al-Bagdhadi, der Chef der Isis genannten Gruppe sunnitischer Kämpfer im Irak, hat nach den militärischen Erfolgen die Gründung eines Kalifats in dem von seiner Bewegung beherrschten Gebiet angekündigt. Damit scheinen die nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches errichteten Kolonialgrenzen Makulatur zu sein. Der Nahe Osten wird erschüttert, eine Neuordnung zeichnet sich ab. Frieden und Stabilität im Sinne einer westlichen Perspektive sind in weite Ferne gerückt. Mit überraschendem Ungestüm ist die Kalifats-Idee, die nach dem Ende des Osmanischen Reiches als längst in die Mottenkiste der Vergangenheit versenkt galt, wieder zurück auf der Bühne der Weltgeschichte.
    Die Anhänger von Isis sind wahhabitische Muslime, die sich selbst als Salafiten bezeichnen. Sie sind Anhänger eines islamischen Integralismus, die einen unteilbaren, universalen Anspruch des Islam geltend machen. Die Grundlage aller Bestrebungen der salafitischen Muslime ist die Verbreitung ihrer Version des sunnitischen Islams, der Salafiya.
    Die Salafiya-Gelehrten versuchen die zeitlose Gültigkeit des Islams im Kontakt mit der Moderne und damit die Übereinstimmung von Offenbarung und Vernunft zu beweisen. Damit stehen sie vielen kulturellen Errungenschaften der Moderne feindlich gegenüber. Die Reinheit des Glaubens an Gott im Islam, der durch menschliches Zutun getrübt wurde, soll wiederhergestellt werden. In einer essenzialistischen Vorstellung ihrer Religion sehen deren Vordenker den Islam als ewig, unveränderlich und vollkommen an. Hierdurch entsteht eine Dynamik, die in einem religiösen Führungsanspruch zum Ausdruck kommt.
    Ziel ist ein globales Kalifat
    Salafitische Bewegungen sind um die theoretische Rechtfertigung ihrer politischen Haltung auf Grundlage des Korans und der Hadithen bemüht. Als endgültiges Ziel wurde stets ein globales Kalifat propagiert. Mit der Errichtung eines Kalifats in den eroberten Gebieten im Irak sowie dem Anspruch auf die Ausweitung des Kalifats auf Nachbarregionen in Syrien hat ISIS eine Initialzündung gegeben.
    Gemeinsam ist den militanten Islamisten die Sehnsucht nach einer aus ihrer Sicht rechtmäßigen göttlichen Ordnung auf der Erde. Diesbezüglich ist die Frage des legitimen Nachfolgers des Propheten Mohammed besonders relevant: Da die politische und religiöse Nachfolge des Propheten ungeklärt war, wurde sie an die vier ersten Kalifen, auch rechtgeleitete Kalifen genannt, weitergeben: an Abu Bakr, Umar, Uthman und Ali.
    Von den Schiiten wurde diese Erbfolge nie anerkannt; sie halten allein Ali, den vierten Kalifen, und seine Nachkommen für erbberechtigt. Hieraus resultiert die bittere Feindschaft zwischen Salafiten und Schiiten, die in den letzten Tagen zur Ermordung Hunderter gefangener schiitischer Soldaten und Polizisten durch ISIS geführt hat.
    Der Titel Kalif, welcher über mehr als 400 Jahre von den osmanischen Sultanen geführt wurde, verlieh die Würde und Funktion als "Befehlshaber der Gläubigen" und "Nachfolger des Propheten als Beherrscher der Welt". Nach dem Ende des Osmanischen Reichs hatte der Thronfolger Abdül Mecit II das spirituelle Kalifat noch bis 1924 führen können, bis es auf Initiative Atatürks abgeschafft wurde. Seitdem haben verschiedene Kalifats--Bewegungen für die Wiedererrichtung des Kalifats agiert. Zwischen ihnen herrscht keineswegs Einklang.
    Neues Kalifat soll Vieles zum Besseren wenden
    An die Wiedererrichtung des Kalifats knüpft sich eine Heilserwartung, die Hoffnung, dass sich damit Vieles zum Besseren wenden werde.
    In einer essenzialistischen Vorstellung von ihrer Religion sehen gerade junge Muslime den Islam als ewig, unveränderlich und vollkommen an und träumen von einer Renaissance des Goldenen Zeitalters des Islams. Das Zurückbleiben der islamischen Länder im Zeitalter der Globalisierung wird mit der Verschwörung des Westens, hauptsächlich der Amerikaner und Zionisten begründet, von denen geglaubt wird, sie wollten den Islam zerstören oder jedenfalls unterdrücken.
    Isis hat nicht nur für den Nahen Osten, sondern für die weitere Region im islamischen Krisengürtel die Büchse der Pandora geöffnet.