Montag, 13. Mai 2024

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Iran-Abkommen
"Die Regierungen können wenig tun"

Sollte Europa seine wirtschaftlichen Beziehungen zum Iran trotz der Aufkündigung des Atomabkommens durch die USA aufrechterhalten? Der ehemalige Schweizer Botschafter im Iran, Tim Guldimann, hält das für unrealistisch. Er sagte im Dlf, die Freundschaft der Europäer zu den USA sei wichtiger als der politische Draht zum Iran.

Tim Guldimann im Gespräch mit Peter Sawicki | 12.05.2018
    Soldaten stehen in Reih und Glied vor einer Bühne, auf der Rohani seine Ansprache hält. Das Foto ist auf den Präsidenten scharf gestellt.
    Irans Präsident Rohani beteuert die Friedfertigkeit seines Land bei einer Militärparade. (AFP / Atta Kenare)
    Peter Sawicki: Das Abkommen hängt nur noch am seidenen Faden, unterdessen beschießen sich Iran und Israel gegenseitig. Aus Sicht der Kritiker des Abkommens ist das ein Beleg dafür, dass man härtere Seiten gegenüber Teheran aufziehen muss. Wie blickt aber Teheran selbst auf die Lage momentan? Versuchen wir mal, in die iranische Seele zu schauen, und zwar mit Tim Guldimann. Er ist Politikwissenschaftler und war von 2010 bis 2015 Schweizer Botschafter in Teheran. Schönen guten Morgen, Herr Guldimann!
    Sawicki: Ist Iran der Bösewicht?
    Tim Guldimann: Nein, in dem Sinne schon gar nicht, aus eigener Sicht. Das ist ja immer so in einem Konflikt.
    Sawicki: Und objektiv?
    Guldimann: Iran hat im Atombereich niemals eine Atombombe in dem Sinne gebaut, dass man Iran hätte nachweisen können, sie verletze den Nichtweiterverbreitungsvertrag. Iran ist aktiv, auch aggressiv, in der Region. Aus iranischer Sicht geht es um die Verteidigung ihrer Interessen, aber insgesamt hat Iran einen Vertrag unterschrieben, der jetzt von den USA aufgekündigt wird, ohne dass gesagt werden kann, warum die USA sich hier zurückziehen und den Vertrag versuchen zu zerstören.
    "Eine fadenscheinige Begründung für den jetzigen Schritt"
    Sawicki: Also haben die USA unrecht?
    Guldimann: Es ist nicht die Frage von Recht und Unrecht. Sicher Unrecht in dem Sinne, dass sie nicht nachweisen können, dass Iran den Vertrag verletzt hätte. Die USA haben auch bestätigt, dass gemäß der internationalen Atomenergieagentur Iran sich voll an das Abkommen gehalten hat. Trump hat gesagt, Iran hätte sich gegen den Geist des Abkommens gewendet, den Geist verletzt – das ist natürlich eine fadenscheinige Begründung für den jetzigen Schritt.
    Sawicki: Aber es gibt ja auch andere Kritiker. Der Historiker Michael Wolffsohn beispielsweise, der hat in dieser Woche geschrieben, dass das Abkommen ja durchaus seine Schwächen hatte, dass der Iran zum Beispiel auch nicht alle zivilen Anlagen zu Kontrollen freigegeben hat und dass die IAEA sich auch schon mal geirrt hat. Hat man da also doch zu viel Nachsicht gehabt gegenüber Teheran?
    Guldimann: Ein Vertrag ist immer ein Kompromiss. Ein Vertrag bedeutet, dass sich zwei Seiten darüber verständigen, wie man ein Problem lösen kann. Die Hoffnung, man könne immer das Maximum durchsetzen, ist illusorisch. Genauso wenig wie die Iraner das Maximum haben durchsetzen können.
    Sawicki: Gab es trotzdem Schwächen in dem Vertrag, weil mittlerweile ja auch Angela Merkel, Emmanuel Macron sagen, das Ganze sei ja nicht ideal gewesen. Also was hätte man aus Ihrer Sicht möglicherweise schon früher anders verhandeln können?
    Guldimann: Ich glaube nicht, dass es möglich gewesen wäre, mit Iran ein Nuklearabkommen abzuschließen, dass beispielsweise die Raketen – und das ist ja ein Vorwurf –, das Raketenprogramm hätte einbeziehen können oder dass man es Iran hätte verbieten können, aktiv politisch, und damit auch militärisch, in der Region tätig zu sein. Das sind die beiden Punkte, wo die USA jetzt sagen, wir wollen von Iran ein neues Abkommen, das diese beiden Aspekte mit einbezieht. Dann ist die Frage, warum kündigt man ein Abkommen, wenn es funktioniert und gleichzeitig man neue Forderungen hat, die man ja auch unabhängig von diesem funktionierenden Abkommen hätte angehen können.
    "Da können die Regierungen wenig dagegen tun"
    Sawicki: Nun könnte man ja auch sagen, dass Europa oder beziehungsweise die anderen Staaten, die mit dabei sind, dass die jetzt auch noch mal einen neuen Anlauf unternehmen, ein neues weiteres Abkommen schließen. Könnte sich der Iran darauf einlassen?
    Guldimann: Das ist außerordentlich schwierig. Für Iran ermöglichte dieses Abkommen zwei Dinge: Zu einen eine politische Öffnung und auch eine wirtschaftliche Öffnung, als damit die Sanktionen man hat überwinden können, und gleichzeitig die Fortsetzung ihres zivilen Nuklearprogramms. Für Iran, und hier besteht – und das versteht man nicht im Ausland –, hier besteht ein weitgehender Konsens in der iranischen Gesellschaft, dass dieses Nuklearprogramm Teil eines technologischen industriellen Fortschritts des Landes darstellt in einem Schlüsselbereich, von dem man im Iran annimmt, das ist unsere Zukunft. Dass dieses zivile Nuklearprogramm wirtschaftlich keinen Sinn macht – das Land ist ja ein Energiehersteller von Gas und Öl –, das ist eine andere Geschichte, die politisch keine Rolle spielt.
    Jetzt ist es für Iran die Frage, ja, was machen wir jetzt, wo wir den wirtschaftlichen Vorteil verlieren. Denn man müsste ja Iran anbieten, ihr habt zwar die Sanktionen von den USA, aber wir anderen Vertragspartner, konkret Europa, Russland und China, sorgen dafür, dass die wirtschaftlichen Folgen nicht schlimm werden, dass ihr keine Nachteile habt. Und das ist deswegen nicht möglich, weil die USA jetzt durchsetzen werden, dass auch europäische Firmen nicht mehr mit Iran geschäften können unter Androhung, ihr müsst entscheiden, wollt ihr Iran oder wollt ihr den amerikanischen Markt. Da können die Regierungen, wie das Wirtschaftsminister Altmaier gesagt hat, hier wenig dagegen tun, dass Privatunternehmen sich für den amerikanischen Markt entscheiden.
    Sawicki: Wenig, aber man kann ja schon was dagegen tun. Das ist ja möglicherweise auch eine Frage des politischen Willens, und ist es das, was der Iran jetzt von der EU, von Russland und von China trotzdem erwartet, dass man eben diesen wirtschaftlichen Schaden, für den Iran zumindest, begrenzt?
    Guldimann: Ich glaube, es geht um zwei Dinge: Die Reaktion im Iran war ja noch relativ moderat. Die Regierung hat lediglich gesagt, es ist möglich, wir werden vorbereiten, dass wir wieder die Urananreicherung ausgehen. Das heißt noch nicht, dass sie es tun werden – damit würden sie gegen das Abkommen verstoßen –, sondern dass sie sagen, jetzt schauen wir mal, was passiert. Hier ist die Hoffnung, dass sie wissen, auf wirtschaftlicher Ebene wird nicht viel möglich sein, aber vielleicht wäre es ja möglich, dass auf politischer Ebene von Europa, Russland und China versucht wird, nicht etwa Iran zu isolieren, sondern Amerika zu isolieren. Aber auch hier bin ich sehr pessimistisch, denn hier gibt es transatlantische Überlegungen, um nicht zu sagen Illusionen, die Freundschaft mit USA ist viel wichtiger, als jetzt politisch den Draht zu Teheran aufrechtzuerhalten. Ich glaube nicht, dass in der Wahl zwischen USA und Iran politisch man von Europa auch voran jetzt mit Russland, wo es ohnehin schwierig ist, und China eine gemeinsame Front aufzieht gegen Washington.
    "Gefahr, dass Iran eine Nebelwand einziehen lässt"
    Sawicki: Und was heißt das dann für den Iran? Steht Präsident Rohani damit mittelfristig oder kurzfristig vor der Ablösung?
    Guldimann: Ich glaube nicht, dass sich diese Frage stellt, weil die ganze Auseinandersetzung geht ja nicht um Rohani als gemäßigter Präsident, sie steht auch vor dem Hintergrund einer Ablöse des religiösen Führers Chamene’i, der als Radikaler gilt, der ist in einem Alter, wo man davon ausgehen kann, in Zukunft muss er abgelöst werden. Für Iran stellt sich eigentlich immer mehr die Frage, einerseits versuchen wir doch im Nuklearbereich die Sache nicht zu provozieren, und hier besteht die Gefahr, dass Iran in der Tradition ihrer politischen Kultur quasi nicht durchsichtig wird, nicht klar wird, quasi eine Nebelwand einziehen lässt, wo man nicht weiß, was genau passiert im Nuklearbereich.
    Und das an sich ist schon sehr gefährlich, denn wenn, angenommen, das Abkommen mit all der internationalen Inspektion funktioniert nicht mehr so wie früher, dann kommt sofort der Vorwurf, jetzt bauen sie eine Atombombe, was, ich glaube, sie nicht tun werden, aus der Überlegung heraus, dass sie die nukleare Kapazität wollen, aber nicht die Atombombe wollen – das ist nicht das gleiche –, aber dass sie dann quasi freveln, und das wird …
    Sawicki: Aber das würde doch … Sie erklären ja gerade, Herr Guldimann, das wäre ja eigentlich nicht in ihrem Interesse, weil sie ja sozusagen noch mehr Misstrauen schüren würden. Warum sollte der Iran das tun?
    Guldimann: Das liegt auch in der innenpolitischen Situation, weil was passieren wird, ist nicht der Gegensatz zwischen den Reformen und den Radikalen oder Konservativen im Nuklearbereich. Ich glaube, da stehen sie beide ungefähr auf der gleichen Position. Dort wird die Verschiebung zugunsten der Radikalen sich auswirken in der Handlungsfreiheit der Revolutionsgarden, der Pasdaran, im Ausland. Das betrifft sowohl den Libanon mit der Unterstützung der Hisbollah, das betrifft das direkte Engagement in Syrien, das betrifft die Präsenz im Irak, das betrifft die Unterstützung der Huthi in Jemen, von wo aus jetzt wieder Raketen gegen Saudi-Arabien gefördert worden sind. Das heißt, das, was man Iran vorwirft, vor allem von Trump, nämlich eine aggressive Haltung, wie die Amerikaner sagen, das wird sich voraussichtlich verstärken, hat sich schon verstärkt, und hier liegt die große Gefahr in der regionalen Konfrontation.
    "Eine große Gefahr für die Sicherheit von Israel"
    Sawicki: Auch im Konflikt mit Israel?
    Guldimann: Natürlich auch im Konflikt mit Israel. Ich bin überzeugt, im Gegensatz zu dem, was die israelische Regierung heute sagt, die Aufkündigung des Abkommens ist eine große Gefahr für die Sicherheit von Israel, weil die Konflikte rund herum über die Präsenz der Iraner und die Unterstützung radikaler Kräfte, dass diese Situation jetzt umso gefährlicher wird für Israel.
    Sawicki: Ganz kurz vielleicht zum Schluss, Herr Guldimann: Was kann Europa beispielsweise tun, um dann eben dieses Engagement beziehungsweise diese Handlungen Irans in der Region einzudämmen?
    Guldimann: Wenn sich herausstellt, dass wirtschaftlich sehr wenig gemacht werden kann für die Verschärfung der Sanktionen der USA mit internationalen Auswirkungen auch auf die europäische Wirtschaft, dann bestünde die Möglichkeit auf der politischen Ebene, Iran klarzumachen, dass auf der Basis dieses Abkommens, dass man möglichst retten will, zumindest dem Schein nach, die Zusammenarbeit mit Russland und mit China in der Iranpolitik, auf der politischen Ebene, so verstärkt werden kann, dass sich Iran nicht isoliert fühlt. Ich glaube, das ist das Einzige, was man heute tun kann. Wird sehr schwierig.
    Sawicki: Also Moskau und Peking dazu zu drängen, den Draht zu Teheran zu nutzen.
    Guldimann: Richtig. Man braucht ja Russland auch in der Syrienkrise, wo man andere Positionen hat. Die Gefahr besteht darin, dass man in Syrien den russischen Einfluss nicht ausnützen könnte, denn die Frage wird sein, was wird passieren mit einer Stärkung des Assad-Regimes, wo man Russland braucht, wo man Iran braucht, um die Sache überhaupt zu stabilisieren und wo man heute ganz gegensätzliche Positionen hat.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.