Archiv


Iranische Moderne

In der Kunsthalle in Baden-Baden sieht man eine Vielzahl merkwürdiger Gestänge, die aussehen wie zu groß geratene Kleiderbügel, Krückstöcke oder abstrakte Puppen. "The Walker's Day Off" heißt die Ausstellung der 1971 im Iran geborenen Künstlerin Nairy Baghramian. Ihre Installationen sind mehr ironisch als iranisch. Die Künstlerin will sie als das verstanden wissen, was sie sind: abstrakte Plastiken, bezogen auf einen bestimmten Raum.

Von Christian Gampert |
    Ein "Walker" ist eine männliche Begleitperson, die sich (meist ältere) Damen der besseren Gesellschaft für einen Abend oder auch: für eine Nacht leisten - gegen Entgelt und nach vorheriger Buchung bei einer Agentur. "The Walker’s Day Off" heißt also, dass der Begleiter heute frei hat und folglich nicht da ist. Er lächelt nur vom Plakat.

    Statt seiner sieht man im großen Saal der Kunsthalle eine Vielzahl merkwürdiger Gestänge, hochragende, schmale Skulpturen, die aussehen wie ausrangierte, zu groß geratene Kleiderbügel, Krückstöcke oder abstrakte Puppen, die sich dort zu einem Klassentreffen versammelt haben - denn "Walker" heißt auch soviel wie "Gehhilfe", im Neudeutschen bisweilen als "Rollator" bezeichnet.

    Die Ausstellung ist also durchaus auf Baden-Baden mit seiner betuchten und angejahrten Klientel bezogen, und man weiß nicht recht, ob man sich nun an diesen fragilen Gestalten des Eingangsraums festhalten soll oder doch lieber an Baghramians seltsamen, aus poliertem Aluminium bestehenden Paravents, die wie ein Verkehrsleitsystem die einzelnen Räume der Kunsthalle miteinander verbinden.

    Das Ganze ist nicht unwitzig, und es kommt auf die Zwischenräume an: Man kann zwischen den zerbrechlichen Figuren der großen Halle herumwandeln, die Titel wie "Dandy", "Kater" oder auch "Armleuchter" tragen, manchmal aber eher wie ein Pinguin aussehen oder wie eine der bedrohlichen Spinnen der Louise Bourgeois. Man kann aber auch seinen eigenen Unterleib und die Füße auf jenen Spiegelflächen betrachten, die Nairy Baghramian in die Türrahmen der Kunsthalle montiert hat, auf die Schwellen zwischen den Sälen.
    Was Nairy Baghramian gar nicht mag, sind Nachfragen zum iranischen Hintergrund ihrer Kunst. Sie ist als 14-Jährige nach Deutschland gekommen, sie lebt in Berlin, und sie will ihre Objekte als das verstanden wissen, was sie sind: abstrakte Plastiken, bezogen auf einen bestimmten Raum. Mehr ironisch als iranisch. Mutmaßungen, ihre Objekte seien "Stellvertreter imaginärer Machtspiele" oder Baghramian bediene "Themen des emanzipatorischen Geschlechterdiskurses", wie sie in Kunstzeitschriften angestellt werden, wirken überzogen.

    Baghramians Kunst ist, in der Nachfolge von Donald Judd, ganz auf die Oberfläche konzentriert. Allerdings sind einzelne Objekte durchaus benutzbar: feinpolierte Messinghocker werden schwungvoll mit Gummimatten belegt und stehen für Publikum und Aufsichtspersonal zur Verfügung. Titel wie "Türsteher" oder "Eckensteher" vermenschlichen die stilisierten Plastiken.

    Die 37-Jährige wirkt völlig unbeschwert in ihrem Umgang mit der klassischen Moderne, und wer will, kann in ihren Raumteilern noch den Schatten von Richard Serras kolossalem "Tilted Arc" sehen, in der Linienführung ihrer Figuren das Möbeldesign von Jean Prouvé und in den dürren, hohen Gestängen die Nachwehen von Giacometti, Mirò, Dalì oder den Drahtverknüpfungen des Alexander Calder.
    Der Assoziationsraum ist also weit offen, und auch die Räume der Baden-Badener Kunsthalle sind weit offen, wie ein Bühnenbild, in dem die Betrachter auch als Akteure, als Platzhalter und Schauspieler wirken müssen. Denn eigentlich ist ja nicht viel da: Baghramian lässt die meisten Säle leer. Sie zieht höchstens mal ein Drahtseil mit verchromten Messingröhren wie eine Absperrschnur durch den Raum und nennt das Ganze "Spanner", obwohl die Spannung eher in der Raumaufteilung besteht und Voyeure nicht in Sicht sind.

    Die Künstlerin lenkt unseren Blick auf die hellen, weißen, klassizistischen Säle der Kunsthalle mit ihren Deckenfriesen, und als Kontrapunkt gibt es dann die spiegelnden Sichtblenden an den Türen, die etwas schützen oder verbergen und seltsamerweise "Große Klappe" heißen. Eine Schwulen-Klappe, mitten in der Kunsthalle? Oder doch eher die große Klappe desjenigen, der den Mund etwas voll nimmt?

    Man nennt es Konzeptkunst und Minimal Art. Aber es sind vor allem diese Vieldeutigkeiten, die diese Ausstellung, bei aller Strenge, doch auch liebenswert machen - nicht nur für ältere Damen, die Gehhilfe und Begleitservice suchen.