Tobias Armbrüster: Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstranten der Opposition – das sind seit Wochen die Meldungen, die wir aus dem Iran bekommen. Es ist ein etwas diffuses Bild, das bestimmt wird von Videos, die vor allem im Internet verbreitet werden, und dabei entsteht schnell der Eindruck, dass die Lage im Land eskaliert. Aber wohin der Iran steuert, das ist schwer zu sagen. Was passiert tatsächlich im Land, wie sind die Aussichten? Darüber will ich jetzt mit dem Schriftsteller und Orientalisten Navid Kermani sprechen, schönen guten Morgen, Herr Kermani!
Navid Kermani: Guten Morgen!
Armbrüster: Auch wir beim Deutschlandfunk haben ja Schwierigkeiten, verlässliche Informationen aus dem Iran zu bekommen. Was wissen Sie über die Demonstrationen dort?
Kermani: Auch nicht viel mehr als die Öffentlichkeit. Ich telefoniere natürlich mit Freunden, Verwandten und die bestätigen mehr oder weniger das Bild, das man auch über das Internet bekommt. Es war vor allem letzten Sonntag eine dramatische Lage in Teheran, mittlerweile ist überall Polizei und die Revolutionsgarden sind aufmarschiert. Aber natürlich – was dann bei diesen Bildern etwas verloren geht, auch gleichzeitig geht das normale Leben ja dennoch weiter. Die Menschen gehen zur Arbeit und warten darauf, dass der nächste Tag kommt, an dem sie wieder demonstrieren gehen können. Ansonsten: Kontakte zu den Leuten, zu den Schriftstellern, zu den Leuten aus dem System oder zu Reformern, wie man ihn vorher hatte, dass man anrufen konnte, das geht alles nicht mehr, weil das Mobilfunknetz komplett zusammengebrochen war in den letzten Tagen und die Leute auch entweder im Gefängnis sind oder mittlerweile untergetaucht sind.
Armbrüster: Wären sie denn überhaupt bereit, zu sprechen? Müssen sie nicht Angst haben, dass ihre Telefone abgehört werden?
Kermani: Na ja, da man ja ohnehin weiß, was sie sagen werden, macht man sich da keine Sorgen mehr, zum Beispiel wenn man abends die BBC hört oder sieht, das persischsprachige Fernsehen, ist man immer wieder überrascht, dass Leute aus Teheran, also auch wirklich ganz scharf immer noch Kritik üben, wo man denkt, die müssten doch eigentlich am nächsten Tag verhaftet werden. Nur: Mittlerweile ist die Opposition so groß geworden, dass, selbst wenn man 100 Leute verhaftet, es immer noch genug andere Leute gibt, die im Namen dieser Bewegung sprechen.
Armbrüster: Was bedeutet es, wenn jetzt der Oppositionsführer Mussawi sagt, er sei bereit, sein Leben für die Rechte der Iraner zu opfern?
Kermani: Das bedeutet dreierlei, einerlei reiht er sich ein in die Reihe der schiitischen Märtyrer, das ist ein alter Topos, dass man, bevor man, wenn man in die politische Auseinandersetzung geht, sagt, mein Leben ist nichts wert, das gebe ich her. Zweitens sagt er damit: Ihr könnt uns verhaften, ihr könnt uns nicht ausschalten, wie ihr das wollt, der Tod seines Neffen war ja schon ein deutliches Warnzeichen, die Ermordung, muss man sagen, das ändert nichts, weil diese Bewegung nicht an mir hängt. Und zum Dritten: Wenn man eben diesen Brief mal zwischen den Zeilen las, sah man ja auch ein gewisses Kompromissangebot, einen Ausweg aus der aktuellen Krise. Ob das Regime darauf eingeht, ist allerdings sehr fraglich.
Armbrüster: Hat Mussawi hier eine Änderung durchgemacht seit der Präsidentenwahl im Juni?
Kermani: Nein, im Prinzip nicht, denn die Opposition hat ja immer gesagt, dass sie keine Maximalforderung stellt. Das ist ja nur gekommen, weil das Regime so hart reagiert hat. Es ging ja zunächst einmal nur darum, dass man dieses Wahlergebnis untersucht, das war die ursprüngliche Forderung. Und weil das Regime mit solcher Härte und solcher Brutalität reagiert hat, wurden die Forderungen ja immer extremer. Und was Mussawi gemacht hat, die Frage ist, ob die Menschen immer noch hinter ihm stehen würden dabei: Er hat eigentlich nur an die ursprüngliche Forderung erinnert und ja nicht einmal gesagt, Ahmadinedschad muss zurücktreten, sondern er hat gesagt, das Wahlgesetz muss so geändert werden, dass es transparent wird, dass die Untersuchung der Stimmergebnisse transparent wird und dass die politischen Häftlinge aus der Haft entlassen werden. Das sind eigentlich sehr realistische Forderungen, von denen man nicht weiß, ob die Menschen oder ein Großteil der Menschen im Iran sich damit mittlerweile zufriedengäben.
Armbrüster: Welche Aussichten, welche realistischen Aussichten sehen Sie denn für diese Forderung in der aktuellen Lage?
Kermani: Ich möchte nicht ganz ausschließen, dass diese Herrschaften – die ja eine lange Wegstrecke zusammen gegangen sind, die sind ja alle aus diesem revolutionären Lager von Khomenei gekommen, das sind ja Leute, die jahrelang zusammengearbeitet haben, zum Teil befreundet waren, zum Teil verschwägert sind –, dass diese Herrschaften doch noch irgendeine Art von Kompromiss finden, wobei jede Art von Kompromiss ein Gesichtsverlust wäre mittlerweile für das Regime, weil das Regime jeden Kompromiss kategorisch ausgeschlossen hatte. Wenn es nicht zu diesem Kompromiss kommen sollte, dann wird das "Stop and go", was wir jetzt haben, weitergehen. Das Regime wird noch brutaler reagieren, die Menschen werden sich nicht einschüchtern lassen, sie werden bei dem nächsten Protesttag, das wären die Feierlichkeiten zum Jahrestag der Revolution, wieder auf die Straße kommen und zwar in beeindruckender Zahl. Und dann steuert es auf eine Eskalation zu, die Gewaltbereitschaft auf beiden Seiten nimmt zu und dann könnte es auch durchaus in noch mehr Gewalt und noch mehr Opfern und noch mehr Toten münden.
Armbrüster: Wir haben jetzt über Mussawi gesprochen. Wenn wir hier in Deutschland von den Demonstrationen im Iran hören, dann hören wir immer den Namen Mussawi und vielleicht noch ein, zwei Mitstreiter. Wie stark, personell, ist denn die Opposition eigentlich aufgestellt? Könnten die ohne Mussawi überhaupt weitermachen?
Kermani: Ja, das könnten sie, weil sie auch jetzt schon ohne Mussawi weitermachen. Mussawi und Karroubi und die anderen Führer sind soweit isoliert, also faktisch isoliert, dass sie gar nicht Kontakt haben zu den Menschen, dass sie zwar einerseits anerkannt werden für ihren Mut und ihre Standfestigkeit, nur organisatorisch spielen sie keine große Rolle mehr. Es ist wirklich eine Art von basisdemokratischer Bewegung, die organisiert sich faktisch von selbst. Das ist einerseits ihre Schwäche, denn das macht sie natürlich in Konfrontation mit einem ganz stark organisierten, bestens ausgestatteten Repressionsapparat sehr schwach, andererseits auch ihre Stärke, weil man nicht einfach die Köpfe abschlagen kann und dann meinen könne, die Sache wäre geschehen. Insofern war es nicht nur eine Rhetorik, sondern faktisch, hat Mussawi Recht, auch wenn man ihn oder einen anderen ausschalten würde, dann würde die Bewegung weiterhin existieren.
Armbrüster: Herr Kermani, als im Iran vor 30 Jahren die islamische Republik ausgerufen wurde, da war das ein Projekt, das großen Rückhalt hatte in der Bevölkerung des Landes. Warum haben die geistigen Führer diesen Rückhalt inzwischen verloren?
Kermani: Weil das Regime sich auf eine Weise dargestellt und verhalten hat, wo selbst die eigenen Leute, Leute, die eigentlich ursprünglich loyal zur islamischen Republik standen, nach und nach das Vertrauen verloren haben, und das gilt vor allem für die Jugend. Wenn man die Bilder sieht, auch jetzt noch, im Fernsehen, wenn man auf die Gesichter achtet bei den Demonstrationen für das Regime, da sind die Menschen ab, sagen wir, 45, ab 50. Das heißt, sie haben eigene Erinnerungen an die Revolution. Die Jugend, die Kinder von den gleichen Leuten, sind nicht mehr für das Regime oder sind in Opposition. Die Kinder gehen demonstrieren bei den Gegendemonstrationen. Das heißt, das Regime hat die Jugend komplett verloren, und wenn man dann sieht, dass zwei Drittel der Iraner keine eigenen aktiven Erinnerungen mehr an die Revolution haben, dann sieht man, wie dramatisch die Lage für das Regime geworden ist. Und der Grund ist eigentlich, so banal es ist, es ist einfach die Unfreiheit, es ist die Ideologie, es ist die mangelnde wirtschaftliche Perspektive, also all das, was Menschen brauchen zum Leben. Sie wollen einfach nicht mehr ihr Leben gängeln lassen von irgendwelchen komischen Ideologien.
Armbrüster: Einschätzungen und Beobachtungen waren das vom Publizisten Navid Kermani. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Kermani!
Kermani: Bitte schön!
Navid Kermani: Guten Morgen!
Armbrüster: Auch wir beim Deutschlandfunk haben ja Schwierigkeiten, verlässliche Informationen aus dem Iran zu bekommen. Was wissen Sie über die Demonstrationen dort?
Kermani: Auch nicht viel mehr als die Öffentlichkeit. Ich telefoniere natürlich mit Freunden, Verwandten und die bestätigen mehr oder weniger das Bild, das man auch über das Internet bekommt. Es war vor allem letzten Sonntag eine dramatische Lage in Teheran, mittlerweile ist überall Polizei und die Revolutionsgarden sind aufmarschiert. Aber natürlich – was dann bei diesen Bildern etwas verloren geht, auch gleichzeitig geht das normale Leben ja dennoch weiter. Die Menschen gehen zur Arbeit und warten darauf, dass der nächste Tag kommt, an dem sie wieder demonstrieren gehen können. Ansonsten: Kontakte zu den Leuten, zu den Schriftstellern, zu den Leuten aus dem System oder zu Reformern, wie man ihn vorher hatte, dass man anrufen konnte, das geht alles nicht mehr, weil das Mobilfunknetz komplett zusammengebrochen war in den letzten Tagen und die Leute auch entweder im Gefängnis sind oder mittlerweile untergetaucht sind.
Armbrüster: Wären sie denn überhaupt bereit, zu sprechen? Müssen sie nicht Angst haben, dass ihre Telefone abgehört werden?
Kermani: Na ja, da man ja ohnehin weiß, was sie sagen werden, macht man sich da keine Sorgen mehr, zum Beispiel wenn man abends die BBC hört oder sieht, das persischsprachige Fernsehen, ist man immer wieder überrascht, dass Leute aus Teheran, also auch wirklich ganz scharf immer noch Kritik üben, wo man denkt, die müssten doch eigentlich am nächsten Tag verhaftet werden. Nur: Mittlerweile ist die Opposition so groß geworden, dass, selbst wenn man 100 Leute verhaftet, es immer noch genug andere Leute gibt, die im Namen dieser Bewegung sprechen.
Armbrüster: Was bedeutet es, wenn jetzt der Oppositionsführer Mussawi sagt, er sei bereit, sein Leben für die Rechte der Iraner zu opfern?
Kermani: Das bedeutet dreierlei, einerlei reiht er sich ein in die Reihe der schiitischen Märtyrer, das ist ein alter Topos, dass man, bevor man, wenn man in die politische Auseinandersetzung geht, sagt, mein Leben ist nichts wert, das gebe ich her. Zweitens sagt er damit: Ihr könnt uns verhaften, ihr könnt uns nicht ausschalten, wie ihr das wollt, der Tod seines Neffen war ja schon ein deutliches Warnzeichen, die Ermordung, muss man sagen, das ändert nichts, weil diese Bewegung nicht an mir hängt. Und zum Dritten: Wenn man eben diesen Brief mal zwischen den Zeilen las, sah man ja auch ein gewisses Kompromissangebot, einen Ausweg aus der aktuellen Krise. Ob das Regime darauf eingeht, ist allerdings sehr fraglich.
Armbrüster: Hat Mussawi hier eine Änderung durchgemacht seit der Präsidentenwahl im Juni?
Kermani: Nein, im Prinzip nicht, denn die Opposition hat ja immer gesagt, dass sie keine Maximalforderung stellt. Das ist ja nur gekommen, weil das Regime so hart reagiert hat. Es ging ja zunächst einmal nur darum, dass man dieses Wahlergebnis untersucht, das war die ursprüngliche Forderung. Und weil das Regime mit solcher Härte und solcher Brutalität reagiert hat, wurden die Forderungen ja immer extremer. Und was Mussawi gemacht hat, die Frage ist, ob die Menschen immer noch hinter ihm stehen würden dabei: Er hat eigentlich nur an die ursprüngliche Forderung erinnert und ja nicht einmal gesagt, Ahmadinedschad muss zurücktreten, sondern er hat gesagt, das Wahlgesetz muss so geändert werden, dass es transparent wird, dass die Untersuchung der Stimmergebnisse transparent wird und dass die politischen Häftlinge aus der Haft entlassen werden. Das sind eigentlich sehr realistische Forderungen, von denen man nicht weiß, ob die Menschen oder ein Großteil der Menschen im Iran sich damit mittlerweile zufriedengäben.
Armbrüster: Welche Aussichten, welche realistischen Aussichten sehen Sie denn für diese Forderung in der aktuellen Lage?
Kermani: Ich möchte nicht ganz ausschließen, dass diese Herrschaften – die ja eine lange Wegstrecke zusammen gegangen sind, die sind ja alle aus diesem revolutionären Lager von Khomenei gekommen, das sind ja Leute, die jahrelang zusammengearbeitet haben, zum Teil befreundet waren, zum Teil verschwägert sind –, dass diese Herrschaften doch noch irgendeine Art von Kompromiss finden, wobei jede Art von Kompromiss ein Gesichtsverlust wäre mittlerweile für das Regime, weil das Regime jeden Kompromiss kategorisch ausgeschlossen hatte. Wenn es nicht zu diesem Kompromiss kommen sollte, dann wird das "Stop and go", was wir jetzt haben, weitergehen. Das Regime wird noch brutaler reagieren, die Menschen werden sich nicht einschüchtern lassen, sie werden bei dem nächsten Protesttag, das wären die Feierlichkeiten zum Jahrestag der Revolution, wieder auf die Straße kommen und zwar in beeindruckender Zahl. Und dann steuert es auf eine Eskalation zu, die Gewaltbereitschaft auf beiden Seiten nimmt zu und dann könnte es auch durchaus in noch mehr Gewalt und noch mehr Opfern und noch mehr Toten münden.
Armbrüster: Wir haben jetzt über Mussawi gesprochen. Wenn wir hier in Deutschland von den Demonstrationen im Iran hören, dann hören wir immer den Namen Mussawi und vielleicht noch ein, zwei Mitstreiter. Wie stark, personell, ist denn die Opposition eigentlich aufgestellt? Könnten die ohne Mussawi überhaupt weitermachen?
Kermani: Ja, das könnten sie, weil sie auch jetzt schon ohne Mussawi weitermachen. Mussawi und Karroubi und die anderen Führer sind soweit isoliert, also faktisch isoliert, dass sie gar nicht Kontakt haben zu den Menschen, dass sie zwar einerseits anerkannt werden für ihren Mut und ihre Standfestigkeit, nur organisatorisch spielen sie keine große Rolle mehr. Es ist wirklich eine Art von basisdemokratischer Bewegung, die organisiert sich faktisch von selbst. Das ist einerseits ihre Schwäche, denn das macht sie natürlich in Konfrontation mit einem ganz stark organisierten, bestens ausgestatteten Repressionsapparat sehr schwach, andererseits auch ihre Stärke, weil man nicht einfach die Köpfe abschlagen kann und dann meinen könne, die Sache wäre geschehen. Insofern war es nicht nur eine Rhetorik, sondern faktisch, hat Mussawi Recht, auch wenn man ihn oder einen anderen ausschalten würde, dann würde die Bewegung weiterhin existieren.
Armbrüster: Herr Kermani, als im Iran vor 30 Jahren die islamische Republik ausgerufen wurde, da war das ein Projekt, das großen Rückhalt hatte in der Bevölkerung des Landes. Warum haben die geistigen Führer diesen Rückhalt inzwischen verloren?
Kermani: Weil das Regime sich auf eine Weise dargestellt und verhalten hat, wo selbst die eigenen Leute, Leute, die eigentlich ursprünglich loyal zur islamischen Republik standen, nach und nach das Vertrauen verloren haben, und das gilt vor allem für die Jugend. Wenn man die Bilder sieht, auch jetzt noch, im Fernsehen, wenn man auf die Gesichter achtet bei den Demonstrationen für das Regime, da sind die Menschen ab, sagen wir, 45, ab 50. Das heißt, sie haben eigene Erinnerungen an die Revolution. Die Jugend, die Kinder von den gleichen Leuten, sind nicht mehr für das Regime oder sind in Opposition. Die Kinder gehen demonstrieren bei den Gegendemonstrationen. Das heißt, das Regime hat die Jugend komplett verloren, und wenn man dann sieht, dass zwei Drittel der Iraner keine eigenen aktiven Erinnerungen mehr an die Revolution haben, dann sieht man, wie dramatisch die Lage für das Regime geworden ist. Und der Grund ist eigentlich, so banal es ist, es ist einfach die Unfreiheit, es ist die Ideologie, es ist die mangelnde wirtschaftliche Perspektive, also all das, was Menschen brauchen zum Leben. Sie wollen einfach nicht mehr ihr Leben gängeln lassen von irgendwelchen komischen Ideologien.
Armbrüster: Einschätzungen und Beobachtungen waren das vom Publizisten Navid Kermani. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Kermani!
Kermani: Bitte schön!