Freitag, 19. April 2024

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Iranisches Exil-Kunst-Kollektiv
Identitäten und Unterschiede

Die iranischen Künstler Ramin Haerizadeh, Rokni Haerizadeh und Hesam Rahmanian zeigen in Frankfurt einen begehbaren Kosmos mit seltsamer Traumlogik: Traditionen aus dem Iran fusionieren und reagieren mit aktuellen globalen Alltags- und Medienbildern.

Von Peter Backof | 01.09.2020
Identitäten und Unterschiede
Das Künstlertrio vor einem seiner Werke (Foto Miquel Coll)
"Monday, Tuesday, Wednesday..."
Ja! Montag, Dienstag, Mittwoch, so geht das jahrein, jahraus; und nicht immer synchron, wie die Poesie des Künstlerkollektivs dokumentiert. Das Grußvideo aus der Quarantäne in Dubai heraus - von
"Ramin Haerizadeh, Rokni Haerizadeh und Hesam Rahmanian"
... gibt einen Einblick, wie die Künstler zusammen leben und arbeiten. Ein ganzes Haus haben sie für sich, in Dubai. Auf dem Tisch stehen Essensteller neben Farbtöpfen: Leben und Arbeiten sind eins!? - Wobei die Corona-Auflagen in Dubai im Frühling so aussahen: Die Wohnung durfte man nur alle drei Tage verlassen und das auch nur mit Genehmigung. Und auch die Ausstellung in der Schirn Kunsthalle musste um Monate verschoben werden. Nun endlich ist sie buchstäblich begehbar. Kuratorin Martina Weinhart: "Ramin Haerizadeh, Rokni Haerrizadeh und Hesam Rahmanian: Was mich hier besonders beeindruckt ist, dass wir tatsächlich in einem Kosmos stehen: eine gigantische Bodenarbeit."
Kollektive Bilder überlebensgroß
Die Assoziation zu einem Perserteppich wäre unterkomplex; es ist ein Meer aus Schlieren, Spuren, Ornamenten, in dem sich gemalte surreale Wesen tummeln. Ein begehbarer Traum, in dem plötzlich auch Bilder aus dem Alltag oder aus den Medien auftauchen. Touristen, die Selfies machen, Flüchtende in Booten, die Halloween- oder Erdbeermasken tragen, eine Black Lives Matter-Demo. Kollektive Bilder. Die spektakuläre Bodenmalerei in Saalgröße wurde in Dubai angefertigt, in 1 x 1 Meter-Fliesen zerlegt und per Schiffscontainer nach Frankfurt verfrachtet. Immerhin das; denn den Künstlern selbst war es wegen Corona nicht möglich, anzureisen.
Martina Weinhart: "Sie verwandeln sich in Figuren, die heißen Dastgah. Das ist ein persischer Begriff; und als diese Figuren tragen sie so eine Art Grundmuster auf. Hier sind so Schlieren: die kommen daher, dass eine dieser Dastgah-Figuren eine Palme hinter sich her zieht."
Der Körper als Werkzeug
Dastgah, ein Begriff aus der persischen Musiktheorie, eine Art Rüstzeug: Alles, was man zur Herstellung eines Kunstwerks braucht. Das Kollektiv erläutert im Ferninterview, Ramin Haerizadeh: "Wir verwandeln uns selbst in Mal-Maschinen. Verschiedene Objekte werden am Körper angebracht. Das behindert auch manchmal. Aber so entsteht ein neues Körpergefühl, neue Welterfahrung. Mit dem Ziel, das vertraute Ich hinter sich zu lassen." Martina Weinhart: "Sie selber sind Werkzeuge, Medien, Transmitter; eben nicht dieser heldenhafte Super-Maler-Künstler, wie wir das aus der Moderne kennen."
Es ist eine Begegnung mit persischer Kultur. Traditionen, Hintergründe, Mindsets, die man womöglich nicht so auf Anhieb versteht. Haerizadeh, Haerizadeh und Rahmanian markieren Identitäten und Unterschiede. Sie sind Kriegskinder, während des Iran-Irak-Kriegs in den Achtzigern aufgewachsen. Sie verließen den Iran 2009, weil es immer schwieriger wurde, mit freier Kunst in die Öffentlichkeit zu treten, anders als in Dubai. So wurden sie Exil-Künstler: Der Iran blieb in Dubai Thema.
Verweigerte Ausstellungserlaubnis im Iran
Ramin Haerizadeh: "Nein, wir könnten aktuell in Teheran nicht ausstellen. Im Iran müssen Sie immer erst eine Genehmigung beim Kulturministerium einholen. Wir haben es versucht, aber nie eine Erlaubnis bekommen, obwohl wir darauf geachtet hatten, keine ´sensiblen´ Inhalte zu bringen."`Sensible´ Inhalte wie sie nun in Frankfurt ausgestellt sind: Über der Bodenarbeit schwebt ein acht Meter hoher Vorhang. Darauf ist eine Frau abgebildet, die die Knochen ihres wieder ausgegrabenen eigenen Sohns auf dem Kopf trägt. Mehr als ein plakatives Anti-Kriegs-Bild: In der Region, aus der das Foto stammt, gibt es einen Tanz - einen Freuden-Tanz! - bei dem Dinge auf dem Kopf getragen werden.
Wahre Abgründe auf den zweiten Blick
Und es ist oft so, in dieser fantastischen Frankurter Ausstellung – dass sich die wahren Abgründe erst auf den zweiten Blick erschließen. Bitterböse sarkastisch stellenweise, dann aber auch wieder leichtironisch und durchaus spaßig anzusehen. Als Ausstellungstitel dient ein Zitat von Groucho Marx als Arzt, aus den Fernsehkindertagen von Haerizadeh, Haerizadeh und Rahmanian: "Also entweder der ist tot oder meine Uhr ist stehen geblieben!". Ein ganzer, lokal-globaler Kosmos in der Frankfurter Schirn. Empfehlung!