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IRCAM-Forum in Chile
Wenn Musik und Wissenschaft verschmelzen

Wie klingt eine Violine, deren Seiten einen Kilometer lang sind? Und wie lässt sich ein Stück am Computer komponieren, das sich anhört wie zerbrechendes Eis? Die Wissenschaft über Akustik und Musik hat darauf die Antworten.

Von Marsida Lluca | 16.10.2017
    Der modulare Moog des amerikanischen Erfinders Bob Moog stammt aus den 1960er Jahren und gilt als das erste ernst zu nehmende elektronische Gerät zum Erzeugen synthetischer Klänge.
    Musikstudio mit Moog-Synthesizer (dpa / Maximilian Schönherr)
    Wie schnell sollen die Musik und das Instrument spielen? Wie entstehen neue Töne? Das wird in diesem Workshop im Rahmen des IRCAM-Forums in Santiago de Chile gezeigt. Ein Computer erzeugt Klänge mit Hilfe einer Software. Die Künstliche Intelligenz kann sogar so tun, als wäre sie ein Musikpartner. Sie begleitet einen beim Spielen seines Instruments, passt sich als Mitmusiker einem an. Es ist also eine Art Mini-Band aus Mensch und Maschine. Ein anderes Programm lässt die Seiten einer Geige so klingen, als wären sie einen Kilometer lang.
    Schnittstellen von Musik und Technik
    Französische und chilenische Künstler sowie Wissenschaftlern probieren Schnittstellen zwischen Musik und Technik aus. Sie diskutieren über Parallelen und Anwendungen von Sounds, Mathematik oder Medizin. Ein chilenisches Projekt untersucht etwa, wie sich Wellen in einem kranken Körper bewegen.
    Die Schirmherrschaft hat dabei das IRCAM - das französische Forschungsinstitut für Akustik und Musik. Es ist bekannt dafür, Musik und Technik miteinander zu verbinden. Gegründet wurde es in den 1970er-Jahren vom französischen Künstler Pierre Boulez. Heute arbeiten 160 Forscher und Musiker im Centre Pompidou in Paris in internationalen Teams. Der Informatiker und Vizedirektor des Musik-Wissenschafts-Teams von IRCAM, Jean-Louis Giavitto, erklärt, wie man sich die Arbeit vorstellen kann. Am Beispiel des Hörens in 3-D:
    Der Komponist und IRCAM-Gründer Pierre Boulez
    Der Komponist und IRCAM-Gründer Pierre Boulez ((c) dpa - Report)
    "Kino in 3-D zu schauen, das kennen wir. Das Gleiche gibt es auch für das Ohr. Wir hören einen Ton im Raum und nehmen wahr, wo wir sind. Aber 3-D zu hören, das kann man bisher noch nicht so gut nachahmen. Ein Teil unserer Forschung befasst sich also damit, eine präzise Technik dafür zu entwickeln: etwa Lautsprecher und Vorrichtungen. Damit soll ein Ton im Kino oder im Konzert so hörbar werden, als wäre man mitten im Orchester - und das für jeden Zuhörer zur selben Zeit."
    "Mich haben wissenschaftliche Modelle angetrieben, musikalische Stücke zu schreiben"
    Ungewöhnlich klingen auch die Stücke des bekannten, zeitgenössischen Komponisten Hèctor Parra. Der Katalane, der am IRCAM lehrt, hat 2011 den Komponisten-Förderpreis der Ernst Siemens Musikstiftung gewonnen. Von Solostücken über Duos und Trios bis hin zu Opern, vermischt er klassische und technische Klänge mit abstrakten Sounds. Im Rahmen des Forums in Santiago de Chile gibt er eine Kostprobe seines Schaffens, mit "I have Come like y Butterfly into the hall of human life".
    Der Klang erinnert an zerbrochenes Glas. Der Hörer hat das Gefühl, in einer Science-Fiction-Welt gelandet zu sein, die von Maschinen kontrolliert wird. Tatsächlich hat sich Hèctor Parra beim Komponieren von den Büchern des futuristischen, russischen Dichters Velimir Chlebnikov inspirieren lassen.
    "Komponieren heißt für mich, Realität einzuatmen und damit Emotionen zu zeigen. Mich faszinieren Fragen, wie: Wer sind wir? Was ist Raum und Zeit? Wie ein Funken, der überspringt, haben mich wissenschaftliche Modelle angetrieben, musikalische Stücke zu schreiben."
    So wie Hèctor Parra gibt es einige Musiker und Komponisten, die Technik und Musik nicht als etwas Gegensätzliches betrachten. Mehr als 100 trafen sich in Chile, darunter auch Studenten. Angeleitet von den Wissenschaftlern des ICRAM und der renommierten chilenischen Universidad Católica und Universidad de Chile wurde der Austausch als sehr bereichernd bezeichnet, als Input für das eigene künstlerische Schaffen.