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Iren im Doppel

Zusammen mit Martin Crimp stand Mitte der Neunzigerjahre der Dramatiker Mark Ravenhill für die Konjunktur der jungen Briten an deutschen Theatern. Martin Crimp trat zuletzt als Librettist in Deutschland in Erscheinung. Jetzt sind beide Autoren an der Berliner Schaubühne zu sehen, in einer Art Integrationsprojekt mit Video und Rauminstallation.

Von Hartmut Krug |
    Vor allem im drastischen Sozialrealismus von Sarah Kane, Martin Crimp und Mark Ravenhill fand die Schaubühne bei ihrem Neustart unter Thomas Ostermeier ihre Themen und Formen. Mit Mark Ravenhills "Shoppen und Ficken", einer blutig-trashigen Schwulen- und Drogenfarce über das Lebensgefühl von Londoner Teens und Twens, das Thomas Ostermeier vor zehn Jahren an der Baracke des Deutschen Theaters inszenierte, hatte der Regisseur und heutige Schaubühnenleiter seinen künstlerischen Durchbruch. Das war damals ein kleiner, aber greller und sehr direkter Abend.

    Sein neues Projekt mit zwei kleinen Stücken von Martin Crimp und Mark Ravenhill verdankt sich auch dem Wunsch des Theaters, neue Stücke nicht immer auf die Studiobühne abzuschieben. So wurden zwei kurze Stücke zu einem langen, viel zu langen Abend im großen Haus zusammengeführt. Beide zeigen Menschen, denen innere Sicherheit und das Vertrauen in die gewohnte Lebensform abhanden gekommen sind und die Angst vor terroristischer Bedrohung und beruflichem Scheitern haben. Schon Falk Richter hat im November an der Schaubühne in seinem Stück "Im Ausnahmezustand" ein Ehepaar in einer "gated community" an seiner Angst um familiäre und existentielle Sicherheit scheitern lassen.

    Weder Mark Ravenhills "Der Schnitt", das seine deutschsprachige Erstaufführung vor einer Woche in Konstanz erlebte, noch Martin Crimps gestern uraufgeführtes Stück "Die Stadt" sind sozialrealistische Stücke mit provokativ drastischen Bühneneffekten. Körpersäfte fließen hier nicht, sondern ausufernde Dialoge stocken in diesen Rededramen immer wieder. Während Ravenhill von Franz Kafka geprägt scheint, lässt Crimps Stück an die verrätselnden Texte von Harold Pinter denken.

    Thomas Ostermeier hat die Stücke in einen bombastischen Rahmen gestellt. Zunächst muss das Publikum durch dunkle Gänge marschieren. Eine Gefahr, sich in diesem nur scheinbaren Labyrinth zu verirren, besteht allerdings nicht. Man wird zielgerichtet auf die Bühne zwischen vier Leinwände mit einer Filminstallation von Julian Rosenfeldt geführt. Dort sieht man einen Mann, der durch unterirdische Röhren, endlose Bürokorridore und ein Kraftwerk geht, bis er in einer Sandwüste verschwindet. Worauf der Musikperformer Alex Nowitz inmitten der Zuschauer auf einem Podest auf die Bühne fährt und mit zwei Wii-Controller genannten Blue-Tooth-Sticks aus zehn Lautsprechern und vier stereophonen Klangduschen eine kakophonische Lautcollage erklingen lässt. Ihr undeutliches Thema mag der sich entfremdete, vereinsamte Mensch sein, doch überzeugt dies Vorspiel wenig.

    Für die zweimalige zeitgleiche Aufführung der Theaterstücke auf zwei Bühnen wird das Publikum dann aufgeteilt. In Ravenhills "Der Schnitt" sitzt ein Funktionsträger eines Orwell´schen Staates einem einfachen Bürger gegenüber. Er soll den üblichen Schnitt am Bürger machen, mit dem diesem alles Bewusstsein genommen wird. Doch die Rollen sind vertauscht: das Opfer will den Schnitt unbedingt, während der Folterer an seinem Beruf leidet. Wie Thomas Bading diesen seelisch zermürbten Mann spielt, der auch am Essenstisch an der scheiternden Kommunikation mit seiner Frau leidet, das macht er so wunderbar körperlich zerknautscht und gestisch verdruckst, dass die Aufführung in Badings Zusammenspiel mit der erstmals an der Schaubühne auftretenden fabulösen Judith Rosmair als seine Frau zu einem schauspielerischen Ereignis wird.

    Auch in Martin Crimps "Die Stadt" hat die Angst vor undurchschaubarer Realität und gesellschaftlicher Gewalt ein Ehepaar entfremdet. Es gibt kommunikative und sexuelle Probleme, der Mann verliert mit seinem Job sein Selbstbewusstsein, während seine als Übersetzerin (!) tätige Frau zu Kongressen fährt und dort vielleicht eine Affäre hat. Hier treten alle irgendwie aus der Realität heraus, - eine Krankenschwester aus der Nachbarschaft erzählt von einem geheimen Krieg, die Tochter kommt mit blutigen Händen vom Spiel mit dem Bruder, und der Mann bewegt sich manchmal wie ein Automat in verlangsamter oder beschleunigter Weise. Nur die auch hier wieder vorzüglichen Schauspieler, vor allem Bettina Hoppe und Jörg Hartmann als das Paar, retten Crimps doch allzu aufdringlich bedeutungs- und geheimnisvolles Stück.

    Der gesamte, fast vierstündige Abend bläst zwei eher flache Stücke enorm auf, ohne dass sie in der aufwendigen Bühnenkonstruktion von Jan Pappelbaum und mit ihrem entbehrlichen, sich experimentell gebenden Vorspiel überzeugen. Überzeugend, ja richtig toll sind nur die Schauspieler.