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"Irgendwas ist hier anders"

Design ist eigentlich überall - wir sehen es meist nur nicht mehr. Unser Bürotisch ist designt, die Bürolampe, die Halterungen im Badezimmer... Zwei Potsdamer Designer haben mit einer originellen Idee die Leute auf der Straße auf dieses Phänomen hingewiesen: Sie haben eine Straßenbahn umgestaltet.

Von Camilla Hildebrandt | 26.11.2012
    Das Logo außen am Tram-Wagen der Verkehrsbetriebe Potsdam ist groß und deutlich zu lesen: Designtage Brandenburg. Und noch größer: die Webseite www.schiffbauergasse.de, wo die Designtage zum ersten Mal stattgefunden haben. Aber wer sieht das? Die meisten Fahrgäste antworten auf die Frage: Fällt Ihnen in und an dieser Bahn etwas auf? mit: Ne, wieso? Das heißt...

    "Hier sind mehrere Sitze anders überzogen: gelb, blau und da hinten auch grün oder da hinten auch blau, das ist das Erste, was mir auffällt. Von außen sind relativ viele bunte Streifen drauf, das war's eigentlich auch schon."

    In der Tram haben Roman Lindebaum und Lars Güttler einige der Gebrauchsobjekte umgestaltet und Neues hinzugefügt. Manche der Halte-Stangen sind zum Beispiel gerade anstatt gewellt, an den Fenstern sind Sprechblasen: "Irgendwas ist hier anders" oder "Is mal wat anderet". Vereinzelte Halteschlaufen sind hellgrün oder orange statt grau oder sind beschriftet. Wie zum Beispiel mit "Visionär".

    "Eines der Prinzipien ist, das Konzept nicht hundertprozentig durchzugestalten, dass das Produkt durch den Fahrgast in der Interaktion zu 100 Prozent funktioniert, wie zum Beispiel die Gedankenblasen oder die Halteschlaufen",

    erklären die Designer.

    "Normalerweise greife ich eine Schlaufe, weil ich mich hinstellen will, jetzt bekommt es auf einmal eine Bedeutung, jetzt bin ich auf einmal der Kritiker, der Visionär oder der Analytiker oder das kleine Kind hier ist der Querdenker – die Extraschlaufe, die wir noch integriert haben – und der Forscher."

    Fast jedes Objekt wurde irgendwann einmal geplant, gestaltet und kreativ umgesetzt. Jeder Türgriff, jede Stange, jeder Informationsschriftzug. Ein Arbeitsprozess, der vielen nicht bewusst ist.

    "Diese Aufkleber da unten auf dem Boden, die kommen mir irgendwie anders vor."

    Auf dem Boden der Tram und direkt darüber an der Decke kann der Betrachter unauffällige, handgroße Aufkleber entdecken. Güttler und Lindebaum nennen sie Standpunkte - Zwischen Design und Kunst. Auf einem steht:

    "Design ist nicht nur, wie etwas aussieht, Design ist auch, wie etwas funktioniert. (Steve Jobs)"

    Und an der Decke:

    "Die Kunst ist unnütz, aber der Mensch kann auf das Unnütze eben nicht verzichten (Eugene Ionesco)"

    "Die Idee dahinter ist, dass wir im Lauf des Prozesses auch mal als Künstler bezeichnet wurden von einem der Projektpartner und wir der Meinung sind, dass wir in erster Linie Designer sind und da natürlich auch mit anderen Bedingungen umgehen müssen, zum Beispiel die Rahmenbedingungen, die der Kunde liefert: dass das Material brandschutzsicher sein soll, dass es stabil sein soll, dass es einen gewissen Kostenrahmen gibt. Oft ist der Gestalter auch dadurch limitiert. Und im Rahmen dieser Möglichkeiten muss man trotzdem kreativ sein, Neues entwickeln."

    "Ich weiß nicht, die Aufkleber dort mit dem Herz und dem Auge, ich weiß nicht, ob die sonst auch immer in der Bahn sind."

    Güttler und Lindebaum haben ein paar der Piktogramme, die in den Öffentlichen Verkehrsmitteln meist Verbote ausdrücken wie: nicht Essen, nicht Trinken, nicht Rauchen, durch eigene ersetzt. Ein Herz, ein Hirn ein Auge kleben zum Beispiel an einer Stelle über den Sitzen. Ein subtiler Hinweis darauf, was ein Designer für seine Arbeit braucht. Ob diese feine Idee vielen auffällt, ist den Beiden nicht wichtig. Mehr Aufmerksamkeit könnte man sicher durch "Lautstärke" erreichen, meint Lars Güttler...

    "...und etwas machen, was sehr stark ist, was schreit. Aber das ist es nicht, was wir in der Bahn gemacht haben, das sind eher die leisen Töne, das, was sich integriert in das bestehende Design der Bahn, und somit denen auffällt, die aufmerksam durch die Bahn laufen."

    "Schlicht und einfach wirkende Gestaltungslösungen sind in der Regel die Schwierigsten. (Wolfgang Beinert)"

    Mittelpunkt der 1. Designtage Brandenburg war der Designmarkt. Die Besucher konnten sich dort einen Überblick verschaffen über die Entwicklungen in der regionalen, innovativen Szene. Alle Bereiche waren zu sehen: Mode-, Produkt- und Schmuckdesign bis hin zu Fotografie-, Grafik- und Illustration. Keine geschlossene Runde, sondern eine offene Veranstaltung, wo der Austausch zwischen Gästen und Designern auf Fashionshows in Workshops und Podiumsgesprächen angeregt wurde. Was gibt es regional spezifisches im Design, wurde dort u.a. diskutiert. Oder "Wo gibt es gelungene Kooperationen zwischen jungem Design und Industrie, Forschung und Wirtschaft?"
    "Ich denke mal, in der Hektik der Zeit übersieht man viele Dinge, die eigentlich, wenn man mal Zeit hat und mal richtig guckt, eigentlich schön sind, aber in der Hektik der Zeit geht viel Schönes verloren."