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Irina Brook in Berlin
Scheitern am "Liebestrank"

Gaetano Domizettis komische Oper "Der Liebestrank" handelt von unerfüllter Liebe eines schüchternen Bauern zu einer Gutsbesitzerin. Vom euphorischen Liebeszauber ist in der in beschaulicher Biederkeit verharrenden Inszenierung von Irina Brook an der Deutschen Oper Berlin aber nur wenig zu spüren.

Von Julia Spinola |
    Aufführung der Oper Der Liebestrank (L'elisir d'amore), von Gaetano Donizetti am 25. April 2014, Deutsche Oper Berlin.
    Eine Inszenierung, die kaum berührt: "Der Liebestrank" an der Deutschen Oper Berlin. (Deutschlandradio / Bettina Straub)
    Der Bewegungschor verbiegt sich in Dehn- und Aufwärmübungen, Giannetta flitzt als übereifrige Regieassistentin des "Teatro Adina" behände zwischen Bühne und Garderobenständern hin- und her, das übrige Theatervölkchen macht es sich auf Holzbänken zwischen den Blumentöpfen vor rot angepinselten Wohnwagen bequem.
    Irina Brook, die Tochter des berühmten Regisseurs Peter Brook, hat Donizettis "Liebestrank" in ein Zuckerwatte süßes Zirkus-Roncalli-Idyll verlegt. Dass sie mit ihrer Umdeutung der baskischen Dorfgemeinschaft in eine Truppe fahrender Schausteller eigentlich die Atmosphäre alter Fellini-Filme beschwören wollte, darauf verweist ein großer Scheinwerfer, der die Nostalgie-Kulisse am rechten Bühnenrand abrunden.
    Doch mit der sozialen Härte von Fellinis "La Strada" hat diese in beschaulicher Biederkeit verharrende Inszenierung nicht viel zu tun. Wie eine Reaktion auf einen horror vacui der Regisseurin wirkt die geradezu hyperaktiv-akribische Personenführung, die alle Figuren auf der Bühne unermüdlich mit dramatisch überflüssigen Verrichtungen beschäftigt. All das rastlose Kostümwechseln, Gaukeln, Plaudern und Zaubertricks-Üben der Choristen und Statisten entpuppt sich schon nach wenigen Minuten als bloße Dekoration.
    Selbst die szenischen Möglichkeiten, die die pittoreske Wandertruppenbühne auf der Bühne hätte bieten können, werden bis auf ein gelegentliches Nachstellen einzelner Nummern, verschenkt.
    Der polizeilich gesuchte Quacksalber Dulcamara lockt eine Schar von wunderheilungsgläubigen Siechen auf eine laufsteghafte Vorbühne vor den Orchestergraben. Sekundiert von einem vertrottelten Zauberlehrlings-Faktotum schmettert Nicola Alaimo seine Auftrittsarie als stimmgewaltiger Schokoladenonkel, der Süßigkeiten an die erste Reihe verteilt. Hier hätte Irina Brook vielleicht besser den Nemorino seine berühmte Schmacht-Romanze "Una furtiva lagrima" mit voller belcantistischer Schönheit ins Publikum singen lassen sollen. Luciano Pavarotti erzielte mit dieser Bravournummer an der Deutschen Oper 1988 seine legendären 165 Vorhänge. Der als Bühnen-Putzmann verkleidete amerikanische Tenor Dimitri Pittas aber muss sich auf eine Bank zwischen die Wohnwagen verkriechen und sich daran abmühen, dem Melodienzauber der Romanze mit seinem schön geführten lyrischen Timbre eine veristische Glaubhaftigkeit einzuhauchen.
    So sympathisch es grundsätzlich ist, dass die Deutsche Oper danach strebt, auch eine maßgeblich von der Macht schöner Stimmen lebendende Oper wie diese mit jungen Sängern und weitgehend aus dem Ensemble zu besetzen – so wenig kommt doch schließlich an diesem Premierenabend vom bittersüßen, liebestrunkenen Schmelz der Donizetti-Partitur über die Rampe.
    Heidi Stober ist eine stimmlich wie darstellerisch geschmeidige Adina, die mit ihrem leicht ansprechenden, koloraturensicheren Soprantimbre die Chefin des Wandertheaters mimt.
    Doch über die gesangliche Souveränität, den Belcanto frei zu gestalten und als primäre musikalische Triebfeder über dem Orchester schweben zu lassen, verfügt auch sie nicht. Da hilft auch die solistisch fein aufgefächerte Melodienseligkeit wenig, die Roberto Rizzi Brignoli dem Orchester entlockt. Ein Abend der Harmlosigkeiten.