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''Irma Vep''

"Die Vampire", sagt der Chef der Vampir-Bande, "sind die Befreier der Gegenwart von der Gegenwart". Mit dieser Verheißung spricht er etlichen Besucher(inne)n im Parkett aus der Seele: manche der älteren Herrschaften, die sich wohlgelaunt zur Schwetzinger Uraufführung einfanden, empfanden, was sie da von Fredrik Zeller vorgesetzt bekamen, als beleidigenden Wirrwarr.

Ein Beitrag von Frieder Reininghaus |
    Nun, bei "Irma Vep" war vielleicht manches gewöhnungsbedürftig. Doch wurde mit dem Libretto von Christian Herzig und Dramaturgin Yvonne Gebauer eine recht eigentlich leicht fassliche Ganovenkomödie erzählt. Nur eben nicht ganz linear und angereichert mit philosöphelnden Wallungen und Abhüben der in Witten gehärteten Neuen Kammermusik. Die in Kurfürst Carl Theodors Schoss-Theaterchen zu dessen 250. Geburtstag vorgestellte Szenenfolge mit Musik geht auf eine trivial-groteske Stummfilm-Serie von Louis Feuillade aus dem Jahr 1916 zurück: "Les Vampire". Irma Vep, die geheimnisvolle, verdankt ihren Namen einem Anagramm – den durcheinandergeschüttelten Buchstaben der Vampire.

    Wie der Name der sportiven Protagonistin, dieser lange Zeit gut maskierten Katze auf allen Dächern von Paris, so wurden auch die künstlerischen Mittel mehr oder minder heiter gemixt. Mit der vom Librettisten inszenierten Produktion werden Ausstattung und Szenen der silbernen Stummfilm-Ära herbeibeschworen, Episoden des frühen Tonfilms und zum vokal-instrumentalen Theater ausgeweitet: die Vampir-Bande, vor deren Gefährlichkeit sogar der Präsident der Republik in einer skurrilen Ansprache warnt, macht das Park-Hotel unsicher, plant erst einen Anschlag auf die Tänzerin Marfa, entführt und verdirbt die keck bezopfte Tochter eines Bankdirektors, zielt dann auf einen entscheidenden Schlag gegen die ganze bürgerliche Gesellschaft. Man sieht die Vorbereitungen für ein Massaker unter dem Motto: "Willkommen auf der Insel". Und ein Plakat reklamiert: "Reines Tierfleisch aus vier Abteien"

    Zwischen den Fronten steht der Journalist Moreno, der im Bauch eines Konzertflügels gefoltert wird (mir Stromschlägen und mit Musik), immerhin aber einen tiefschürfenden Satz zu Wege bringt: er glaube an den gesunden Menschenverstand und die Pressefreiheit – Ausdruck hochgradiger Schizophrenie. Ein kräftiger Hauch tieferen Sinns atmet der musikalisch nobilitierte höhere Unsinn.

    Re-Konstruktion mit De-Konstruktion: Fredrik Zeller hat, mit teilweise höchst stimmartistischen Mitteln, die Tragödie aus dem Geiste des Stummfilms möbliert. Die Trivialität mancher Episoden wird durch die Musik zur Kenntlichkeit entstellt oder aber in einen neuen artistischen Aggregatzustand transzendiert. Die Neuen Vocalsolisten Stuttgart unter der Leitung von Manfred Schreier waren mit Lust bei der effektiven Sache. Für deren Zeitverläufe müssten der Komponist und der Textdichter, der als Regisseur nicht aus dem Schatten der Selbstverliebtheit in die literarischen Ideen zu treten vermochte, ein geschärftes Sensorium entwickeln: etwa halb so lang und ohne die quälenden Redundanzen könnte Irma Vep durchaus unterhaltsam wirken und zur Reanimation der vor Jahrzehnten schon an Alterschwäche verstorbenen deutschen Spieloper beitragen. [Insbesondere das fünffache Finale – im Parkhotel und in einem fast rein musikalischen Einschub des erweiterten Klaviertrios, im sibirischen Straflager, in nostalgischen Erinnerungen der Ganoven und in der medialen Verwertung der Irma Vep bedürfte dringend der Straffung.

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