Eine Leistungsschau der Branche, zu der auch viele Besucher aus dem Ausland kommen. Ein Ziel dieser Veranstaltung ist es nämlich, in anderen Ländern für die eigene Tanzproduktion zu werben – indem man sie in Tel Aviv Regisseuren und Dramaturgen aus aller Welt vorführt und dann auf Einladungen zum Beispiel nach Europa oder in die USA hofft.
Mein Kollege Christian Gampert kann solche Einladungen natürlich nicht aussprechen, als Kritiker aber beurteilen, was in diesem Jahr zu sehen war und ist. Zunächst einmal aber die Frage an ihn: Herr Gampert, warum hat der Tanz in Israel überhaupt so eine große Bedeutung?
Christian Gampert: Der israelische Tanz speist sich ja im Grunde aus zwei Traditionen. Das eine ist die Volkstanz-Tradition, die man hier in Israel immer gepflegt hat, um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken, und wo man versucht hat, eben nicht nur israelische Traditionen, sondern durchaus auch arabische Traditionen mit reinzunehmen. Das zeigt sich übrigens auch auf diesem Festival, wo man auch andalusische Tänze sehen kann, Flamenco und solche Sachen. Das versucht man alles, hier weiter zu pflegen.
Das andere ist der deutsche Ausdruckstanz, der in den 20er-, spätestens 30er-Jahren hier herkam mit den ganzen Emigranten und wo dann die Moderne anfing im israelischen Tanz, und was wir heute hier haben, ist im Grunde Modern Dance mit sehr abstrakten Bewegungselementen und den Versuch, das auf eine politische Gegenwart zu beziehen.
Koldehoff: Es gibt große Tanzkompanien im Lande. Ist es eigentlich eine rein israelische Veranstaltung, die Sie sich da anschauen?
Gampert: Na ja, es ist eine Art Leistungsschau der letztjährigen oder vielmehr der diesjährigen Tanzproduktion in Israel. Es gibt eine strenge Vorauswahl und wer da reinkommt, ist eben so glücklich, das einem internationalen Publikum aus Tanzagenten und Journalisten präsentieren zu können – in der Hoffnung, eben zu touren in Europa und Amerika, und viele tun das dann auch.
Koldehoff: Was würden Sie denn von dem, was Sie gesehen haben, gerne auch auf europäischen Bühnen wiederfinden?
Gampert: Na ja, die Major Companies, die Kibbuz Dance Company oder die Batsheva Dance Company, die kann man immer einladen. Die haben einfach ein derartig gutes tänzerisches Niveau, da ist es relativ unabhängig vom Stück. Aber was ich interessant finde, ist, dass man sich von den Inhalten doch gewandelt hat. Es gibt eine einzige etablierte Gruppe, die Maria Kong Company, die sich noch in diesen alten, relativ martialischen Formen bewegt. Die treten immer noch auf mit so animalisch tätowierten Kostümen und bewegen sich dann auch relativ animalisch. Das ist so die alte Gewalttätigkeit, wo private Beziehungen die Bedrohung und Militarisierung des Staates Israel spiegeln.
Die anderen haben erkannt, dass jetzt andere Zeiten angebrochen sind. Die haben jetzt gerade eine relativ gute Periode für Israel. Nach dem Gaza-Krieg ist der Friedensprozess zum Stillstand gekommen, da passiert im Moment gar nichts, aber das heißt eben auch für Israel, dass es eine relativ ruhige Zeit ist. Für die Palästinenser sieht es natürlich ganz anders aus. Aber das heißt für den israelischen Tanz: Wir beschäftigen uns mit uns selber, wir gehen mehr ins Private, und interessanterweise sind die Beziehungen, die dort vorgeführt werden auf der Bühne, schon auch so angelegt, dass jetzt auf einmal so was wie Zärtlichkeit oder Tröstung, oder auch Ironie, gefragt sind, oder auch die Rückkehr zum Wesentlichen: zu den Roots. Die Kibbuz Dance Company zum Beispiel, Rami Beer, der Choreograf, der ja auch in Deutschland viel gearbeitet hat, der hatte sich letzthin in so technischen Spielereien verloren; der kehrt jetzt zurück und macht ein Stück, wo der Sand die Hauptrolle spielt, der von oben runterrieselt – die vergehende Zeit -, aber eben auch das Element Erde, roter Sand aus der Wüste. Mit dem wird getanzt und gespielt. Es gibt allerdings auch noch so eine Art Gitter auf der Bühne, wo jemand gefangen ist, wo also der Palästinenser dann doch irgendwo noch mitgedacht wird, aber man möchte wieder zurück zum Wesentlichen. Das machen andere Gruppen übrigens auch. Die Vertigo Dance Company hat ein Stück, das heißt "Null". Da fängt man halt von vorne an jetzt und da werden auch so Volkstanzelemente eingebunden, die dann so gemeinschaftsstiftend wirken, wenn man sich in den Privatgeschichten eher zu verlieren droht.
Koldehoff: Nun haben Sie es, Herr Gampert, sehr schön positiv formuliert: Es geht zurück zum Eigentlichen, zum Wesentlichen in diesen relativ friedlichen Zeiten. Umgekehrt könnte man fragen: Ist dadurch nicht auch ein wesentliches, wenn auch schreckliches Thema weggebrochen, die Gewalt nämlich?
Gampert: Ja, das kann man durchaus so sehen. Es gibt auch viele Tänzer, die linksgerichtet sind und sagen, ja, Mensch, wir sind doch irgendwo ignorant geworden, wir kümmern uns einfach nicht mehr um diese Probleme. Auf der anderen Seite: Wir haben es lang genug versucht, wir haben alle möglichen Kompromisse angeboten, es ist nichts dabei herausgekommen, irgendwo sind wir auch resigniert. Das ist eine relativ pessimistische Haltung, die auch in der Linken vorherrscht hier und bei den Künstlern. Was ich aber interessant finde, ist, dass es eben Dinge gibt, die es früher nicht gab. Ironie habe ich eigentlich selten gesehen auf israelischen Tanzbühnen; die gibt es wieder. Renanaraz tanzt ein Stück, wo Nationalhymnen ironisiert werden, wo man mit einer Nationalhymne auf einmal seine eigene Geschichte tanzen kann. Oder Barak Marshall macht ein Stück, wo eine Dorfgesellschaft sich mit dem Tod beschäftigt. Die sterben erst mal abendfüllend am Anfang und dann machen sie fröhliche Volkstänze. Oder es gibt Ehegeschichten. Ido Tadmor, einer der berühmtesten Tänzer Israels, erzählt uns eine völlig ironische Ehegeschichte, wo sie dann als alte Leute doch noch miteinander glücklich werden, und das ist eben immer auch die Geschichte der Nation, die da miterzählt wird. Also ich würde das doch, sagen wir mal, vorsichtig positiv bewerten, das ganze Festival.
Koldehoff: Und dieses Festival, das ist die International Dance Exposure in Tel Aviv. Christian Gampert war das aus Israel.
Mein Kollege Christian Gampert kann solche Einladungen natürlich nicht aussprechen, als Kritiker aber beurteilen, was in diesem Jahr zu sehen war und ist. Zunächst einmal aber die Frage an ihn: Herr Gampert, warum hat der Tanz in Israel überhaupt so eine große Bedeutung?
Christian Gampert: Der israelische Tanz speist sich ja im Grunde aus zwei Traditionen. Das eine ist die Volkstanz-Tradition, die man hier in Israel immer gepflegt hat, um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken, und wo man versucht hat, eben nicht nur israelische Traditionen, sondern durchaus auch arabische Traditionen mit reinzunehmen. Das zeigt sich übrigens auch auf diesem Festival, wo man auch andalusische Tänze sehen kann, Flamenco und solche Sachen. Das versucht man alles, hier weiter zu pflegen.
Das andere ist der deutsche Ausdruckstanz, der in den 20er-, spätestens 30er-Jahren hier herkam mit den ganzen Emigranten und wo dann die Moderne anfing im israelischen Tanz, und was wir heute hier haben, ist im Grunde Modern Dance mit sehr abstrakten Bewegungselementen und den Versuch, das auf eine politische Gegenwart zu beziehen.
Koldehoff: Es gibt große Tanzkompanien im Lande. Ist es eigentlich eine rein israelische Veranstaltung, die Sie sich da anschauen?
Gampert: Na ja, es ist eine Art Leistungsschau der letztjährigen oder vielmehr der diesjährigen Tanzproduktion in Israel. Es gibt eine strenge Vorauswahl und wer da reinkommt, ist eben so glücklich, das einem internationalen Publikum aus Tanzagenten und Journalisten präsentieren zu können – in der Hoffnung, eben zu touren in Europa und Amerika, und viele tun das dann auch.
Koldehoff: Was würden Sie denn von dem, was Sie gesehen haben, gerne auch auf europäischen Bühnen wiederfinden?
Gampert: Na ja, die Major Companies, die Kibbuz Dance Company oder die Batsheva Dance Company, die kann man immer einladen. Die haben einfach ein derartig gutes tänzerisches Niveau, da ist es relativ unabhängig vom Stück. Aber was ich interessant finde, ist, dass man sich von den Inhalten doch gewandelt hat. Es gibt eine einzige etablierte Gruppe, die Maria Kong Company, die sich noch in diesen alten, relativ martialischen Formen bewegt. Die treten immer noch auf mit so animalisch tätowierten Kostümen und bewegen sich dann auch relativ animalisch. Das ist so die alte Gewalttätigkeit, wo private Beziehungen die Bedrohung und Militarisierung des Staates Israel spiegeln.
Die anderen haben erkannt, dass jetzt andere Zeiten angebrochen sind. Die haben jetzt gerade eine relativ gute Periode für Israel. Nach dem Gaza-Krieg ist der Friedensprozess zum Stillstand gekommen, da passiert im Moment gar nichts, aber das heißt eben auch für Israel, dass es eine relativ ruhige Zeit ist. Für die Palästinenser sieht es natürlich ganz anders aus. Aber das heißt für den israelischen Tanz: Wir beschäftigen uns mit uns selber, wir gehen mehr ins Private, und interessanterweise sind die Beziehungen, die dort vorgeführt werden auf der Bühne, schon auch so angelegt, dass jetzt auf einmal so was wie Zärtlichkeit oder Tröstung, oder auch Ironie, gefragt sind, oder auch die Rückkehr zum Wesentlichen: zu den Roots. Die Kibbuz Dance Company zum Beispiel, Rami Beer, der Choreograf, der ja auch in Deutschland viel gearbeitet hat, der hatte sich letzthin in so technischen Spielereien verloren; der kehrt jetzt zurück und macht ein Stück, wo der Sand die Hauptrolle spielt, der von oben runterrieselt – die vergehende Zeit -, aber eben auch das Element Erde, roter Sand aus der Wüste. Mit dem wird getanzt und gespielt. Es gibt allerdings auch noch so eine Art Gitter auf der Bühne, wo jemand gefangen ist, wo also der Palästinenser dann doch irgendwo noch mitgedacht wird, aber man möchte wieder zurück zum Wesentlichen. Das machen andere Gruppen übrigens auch. Die Vertigo Dance Company hat ein Stück, das heißt "Null". Da fängt man halt von vorne an jetzt und da werden auch so Volkstanzelemente eingebunden, die dann so gemeinschaftsstiftend wirken, wenn man sich in den Privatgeschichten eher zu verlieren droht.
Koldehoff: Nun haben Sie es, Herr Gampert, sehr schön positiv formuliert: Es geht zurück zum Eigentlichen, zum Wesentlichen in diesen relativ friedlichen Zeiten. Umgekehrt könnte man fragen: Ist dadurch nicht auch ein wesentliches, wenn auch schreckliches Thema weggebrochen, die Gewalt nämlich?
Gampert: Ja, das kann man durchaus so sehen. Es gibt auch viele Tänzer, die linksgerichtet sind und sagen, ja, Mensch, wir sind doch irgendwo ignorant geworden, wir kümmern uns einfach nicht mehr um diese Probleme. Auf der anderen Seite: Wir haben es lang genug versucht, wir haben alle möglichen Kompromisse angeboten, es ist nichts dabei herausgekommen, irgendwo sind wir auch resigniert. Das ist eine relativ pessimistische Haltung, die auch in der Linken vorherrscht hier und bei den Künstlern. Was ich aber interessant finde, ist, dass es eben Dinge gibt, die es früher nicht gab. Ironie habe ich eigentlich selten gesehen auf israelischen Tanzbühnen; die gibt es wieder. Renanaraz tanzt ein Stück, wo Nationalhymnen ironisiert werden, wo man mit einer Nationalhymne auf einmal seine eigene Geschichte tanzen kann. Oder Barak Marshall macht ein Stück, wo eine Dorfgesellschaft sich mit dem Tod beschäftigt. Die sterben erst mal abendfüllend am Anfang und dann machen sie fröhliche Volkstänze. Oder es gibt Ehegeschichten. Ido Tadmor, einer der berühmtesten Tänzer Israels, erzählt uns eine völlig ironische Ehegeschichte, wo sie dann als alte Leute doch noch miteinander glücklich werden, und das ist eben immer auch die Geschichte der Nation, die da miterzählt wird. Also ich würde das doch, sagen wir mal, vorsichtig positiv bewerten, das ganze Festival.
Koldehoff: Und dieses Festival, das ist die International Dance Exposure in Tel Aviv. Christian Gampert war das aus Israel.