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Irreführung mit System

Zu den Enttäuschungen dieser Woche zählte DFB-Präsident Theo Zwanziger. Beim von skandalösen Vorfällen umtosten FIFA-Kongress in Zürich hab er keine Kritik an der FIFA-Spitze zu Protokoll. Einzig seine Lobeshymne auf die FIFA und den Präsidenten Sepp Blatter geht in die Annalen des Kongresses ein.

Von Jens Weinreich | 05.06.2011
    Wenn man nicht weiter weiß oder Engagement vortäuschen will, gründet man eine Kommission - oder lädt an einen so genannten Runden Tisch. Gemäß Springer-Medien will DFB-Boss Zwanziger also am 21. Juni, fünf Tage vor Eröffnung der Frauen-WM in Frankfurt über das Korruptionsthema diskutieren. Wobei: Von Korruption redet der DFB-Präsident ja nicht so gern. Personen wie er haben Probleme mit der Begriffsbestimmung, behaupten gern, es lägen keine Beweise vor, verstecken sich, wenn es darauf ankommt, wie auf dem FIFA-Kongress, und laden dann die üblichen Verdächtigen - die längst hätten klar Stellung beziehen können. Es aber nicht taten.

    Es gibt verschiedene Definitionen von Korruption. Für Zwanziger und Co noch einmal die allumfassende, für den Sportbetrieb absolut ausreichende, formuliert von Transparency International: Korruption ist der Missbrauch von anvertrauter Macht zu privatem Nutzen.

    Das passt. Da erübrigt sich jede Diskussion. Da muss man gar nicht staatstragend tun wie Zwanziger, der nun anmaßend formuliert, man wolle "konzeptionelle Grundlagen für eine deutsche Position entwickeln, die anschließend mit UEFA und FIFA" besprochen werde.

    Es ist viel einfacher: Deutsche Sportfunktionäre und Sportpolitiker müssen einfach nur handeln. Sie hätten schon längst handeln können. Aber sie tun (fast) nichts.

    Deutschland zählt in der internationalen Korruptionsbekämpfung zu den Schlusslichtern. Das Nichtstun hat System in Deutschland.

    Beweise gefällig?

    Eine Initiative der bayerischen Justizministerin Beate Merk für ein "Gesetz zur Bekämpfung des Dopings und der Korruption im Sport" ist 2009 grandios gescheitert - vor allem am Widerstand der Sportverbände und ihrer Lobbyisten, die beispielsweise im Sportausschuss des Bundestages sitzen.

    Vertreter des für Sport zuständigen Bundesinnenministeriums spielen auf Arbeitsebene der Sportminister im Europarat und der Europäischen Union ebenfalls eine durchaus schändliche Rolle. Den BMI-Staatssekretär Christoph Bergner interessiert das Thema nicht die Bohne.

    Die Bundesrepublik zählt zu einer alarmierenden Minderheit von Staaten, die die Konvention der Vereinten Nationen gegen Korruption (UNCAC) nicht ratifiziert haben. Deutschland spielt in einer Liga mit Totaldemokratien wie Nordkorea, Somalia, Tschad, Oman, Saudi-Arabien, Myanmar - bis hin zu Kiribati und Tuvalu. Nur drei G-20-Staaten haben die UN Konvention nicht ratifiziert, nur drei EU-Staaten nicht - und nur vier OECD-Nationen. Deutschland ist Schlusslicht. Der Gipfel der Peinlichkeit.

    Christian Humborg, Geschäftsführer der deutschen Sektion von Transparency International, schrieb kürzlich: Deutschland verlangt von anderen Ländern wie etwa Afghanistan, gegen Korruption zu kämpfen, keht aber den Dreck vor der eigenen Tür nicht. Gänzlich bizarr wird es, wenn der deutsche Steuerzahler Projekte des UNCAC finanziert, die über die GTZ in Ländern wie Kolumbien, Indonesien oder Sierra Leone abgewickelt werden - Deutschland selbst aber UNCAC nicht vollends unterstützt.

    Der Wahnsinn hat Methode. Ob bei Themen wie Abgeordneten-Bestechung - oder eben bei Korruption im Sport.

    Die moderne Sportkorruption, man muss es immer wieder sagen, denn es ist die historische Wahrheit, wurde in Deutschland von einem Deutschen erfunden. Das System, dass der einstige Adidas-Chef Horst Dassler in den frühen siebziger Jahren geprägt und mit seiner ISL-Firmengruppe in den Achtzigern zur Blüte gebracht hat, wirkt bis heute nach. Etliche der engsten Dassler-Mitarbeiter sind noch immer in Amt und Würden. Allen voran Joseph Blatter, der FIFA-Pate.

    Auch Jean-Marie Weber, der mehr als 141 Millionen Franken Schmiergeld an höchste Sportfunktionäre aus FIFA, IOC und anderen olympischen Weltverbänden verteilt hat, mischt noch munter mit. Er berät die IOC-Mitglieder Issa Hayatou (Kamerun), Scheich Al-Sabah (Kuwait) und Lamine Diack (Senegal). Er zählte am Mittwoch als Ehrengast des FIFA-Kongresses in Zürich zu den ersten Gratulanten Blatters. Er nahm kürzlich in Lausanne an einem Journalisten-Empfang der Münchner Olympiabewerber GmbH teil.

    Übrigens zählte auch DOSB-Präsident und IOC-Vize Thomas Bach einst zu Dasslers Vertrauten, er war zeitweise sein Adlatus, will aber nie etwas von unsauberen Machenschaften erfahren haben.

    Und selbst die deutsche Sektion von Transparency International hinkt anderen Sektionen, etwa der in der Schweiz, meilenweit hinterher. Während TI-Sportsprecherin Sylvia Schenk inhaltlich selten auf der Höhe ist, hat die Schweizer Sektion gemeinsam mit der olympischen Dachorganisation Swiss Olympic schon vor einem Jahr einen "Ratgeber für Verbände" erarbeitet. Gewiss kein bahnbrechendes Dokument, als Mix aus rechtlichen Tipps, einer Korruptions-Checkliste und Fallbeispielen jedoch ein bemerkenswertes Heftchen, dass es in Deutschland nicht gibt.

    In Deutschland wird zudem, erst jüngst wieder in Stellungnahmen des DOSB-Präsidenten nachzulesen, das Thema "Korruption im Sport" argumentativ gern mit dem Bereich Wettbetrug gleichgesetzt. Das entspricht der politischen Linie des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), dessen Präsident Jacques Rogge kürzlich in Lausanne einen Wettgipfel abgehalten hat, bei dem es den anwesenden Politikern quasi verboten wurde, über andere Themen zu reden. Die Propaganda von Sportkonzernen wie dem IOC zielt darauf ab, das Thema Korruption unter Funktionären mit all seinen Implikationen aus dem öffentlichen Blickfeld zu nehmen. Stattdessen wird die Wettmafia seit einiger Zeit als größte Geißel des Sports gebrandmarkt.

    Auch diese Irreführung hat System.