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Irrlichtern am Hindukusch

Um die Situation in Afghanistan zu verbessern, verfolgt die ISAF die Strategie: Die Afghanen müssen sich selber helfen. Durch den Aufbau von mehr einheimischen Sicherheitskräften. Chancen und Risiken der Strategie, die auch Deutschland unterstützt, und Einblicke in die Machtstrukturen des Landes am Hindukusch.

Von Marc Thörner | 29.01.2011
    La Mort – der Tod, schreien die französischen ISAF-Soldaten wie aus einem Mund. Die Devise ihres Regiments hat nur wenig mit historischem Brauchtum zu tun. Nach dem Appell laufen die Soldaten auf ihre gepanzerten Mannschaftstransporter zu, schließen die Schutzwesten, zurren die Helme unterm Kinn fest und machen sich zum Kampf bereit.

    Ziel der französischen Angriffskolonne ist das Tagab-Tal, eine lang gezogene Oase nur anderthalb Fahrtstunden nordöstlich von Kabul. 34 von den 35 Dörfern dort werden von den Taliban gehalten. Der Feind – die Taliban - im Einzugsbereich der Hauptstadt - damit soll jetzt Schluss sein.
    Über Serpentinen, auf Schotterpisten arbeiten sich die Fahrzeuge vor. Zeitgleich stoßen ähnliche Kolonnen aus allen Himmelsrichtungen vor. Alle mit demselben Ziel: Sie wollen schnell sein, zuschlagen, bevor der Feind von der Aktion Wind bekommt.

    Doch kurz vor Erreichen der Ausgangsposition hält der Transporter der französischen ISAF-Soldaten plötzlich unerwartet an. Funksprüche gehen hin und her. Der Fahrzeugführer bittet um eine Bestätigung. Versteht er richtig, soll er wirklich umkehren - zurück zur Basis?

    An alle Fahrzeuge. Umkehren! Wir fahren zurück nach Camp Tora.

    Dort, auf der Basis, erläutert Colonel Goisque, der Kommandeur des französischen ISAF-Bataillons anderntags sichtlich verschnupft:

    "Die gestrige Operation ist abgesagt worden. Auf Anordnung der 101. US-amerikanischen Division, unter deren Oberkommando unsere französische Brigade steht. Die Amerikaner wünschen sich im Augenblick in erster Linie Ruhe in der Region."

    Ein von nur etwa 40 Talibankämpfern kontrolliertes weitläufiges Gebiet. Ein Angriffsplan. Hunderte hochgerüsteter ausländischer Soldaten, die sich, die Nerven bis zum Zerreißen angespannt, auf ein Gefecht einstellen – und dann der Befehl: Alle Mann zurück. Bis auf Weiteres Lagerdienst machen. Die eigenen Basen durch Patrouillen schützen.

    Kein Einzelfall, berichtet ein französischer Feldwebel ziemlich frustriert. So etwas sei in den letzten Monaten immer wieder vorgekommen: Wann immer man geglaubt habe, die Taliban zu fassen und zuzuschlagen, dann habe es geheißen: Stopp und zurück. Der Grund sei meistens derselbe: Die Furcht davor, dass es bei den Einsätzen zivile Opfer geben könne. Eine Furcht, mit der die Taliban höchst geschickt zu operieren wüssten.

    "Kleine Kinder tragen ihnen die Munition. Die Taliban erscheinen in einem Fenster und schießen eine Panzerfaust auf uns ab. Wir orten sie, um sie auszuschalten, wenn sie sich das nächste Mal zeigen. Aber das nächste Mal tauchen sie mit einem Kind in den Armen auf. Wir sind gehemmt, wir können nicht schießen, sonst würden wir das Kind umbringen ..."

    Doch wie leben die Menschen im Tagab-Tal eingekreist von ISAF-Basen auf den Hügeln und mit den Aufständischen vor ihrer Haustür? Ja, selbst im Inneren ihrer Häuser ...
    Abderrab und Ashaqullah sind die Gemeindechefs von Lo-Inshinquel, dem einzigen der 35 Dörfer des Tagab-Tals, in dem die Taliban nicht herrschen. Sie haben sich für die Zusammenarbeit mit der Regierung und der ISAF entschlossen, weil sie sich davon eine bessere Infrastruktur versprechen: Schulen, Brunnen, Brücken. Doch lange, meinen sie, könnten sie dem Druck, der auf ihnen laste, nicht mehr standhalten. Die Präsenz der Truppen von ISAF und der Regierung, sagen sie, sei nicht nachhaltig. Die sporadischen Schläge, denen immer wieder der Rückzug folge, reichten nicht aus. Gemeindeführer Ashaqullah:

    "Die Regierung und die ausländischen Truppen haben viele Möglichkeiten, die sie bis jetzt nicht nutzen. Sie bewegen sich meistens nur auf den Straßen. Sie sollten aber die Gärten, die Haine und das Gelände durchsuchen. Wenn sie so weitermachen wie bisher, werden sie die Feinde nie besiegen. Es stimmt, dass Luftschläge zivile Opfer mit sich bringen. Aber ich glaube, wenn sie Bomben und Raketen aus ihren Flugzeugen einsetzen würden, könnten sie den Taliban wirklich Angst machen."

    Das Dilemma, in dem die ISAF steckt, scheint unauflösbar: Entweder sie greift hart durch, durch effiziente militärische Maßnahmen und geht dabei das Risiko ziviler Opfer und eine wachsende Ablehnung der ausländischen Truppen ein ... oder sie bleibt auf den Basen und fährt lediglich mit martialisch gesicherten Kolonnen zwischen den Stützpunkten hin und her.

    Für die ISAF scheint es aus diesem Dilemma nur einen Ausweg zu geben: Die Afghanen müssen sich selber helfen. Durch den Aufbau von mehr einheimischen Sicherheitskräften. Eine Strategie, der vor allem Deutschland viel abgewinnt:

    "Hier haben wir jetzt die Situation, dass das Fahrzeug mit zwei Insassen besetzt ist und wir an jeder Seite, an der Fahrer- und der Beifahrerseite jeweils zwei Beamte haben, einen Kontrollbeamten und einen Sicherungsbeamten und die sollen jetzt gemeinsam im Team sicher die Situation handeln."

    Von Anfang an hat Deutschland eine Führungsrolle bei der Polizeiausbildung in Afghanistan übernommen. Im Polizei-Camp von Mazar-e Sharif, unweit dem regionalen Hauptquartier der Bundeswehr, trainieren Beamte der Bundespolizei seit Jahren ihre afghanischen Kollegen.

    "Da muss man wirklich darauf hinarbeiten, dass sie verstehen, dass Polizeiarbeit auch Teamarbeit ist. Das waren im Endeffekt alles Einzelkämpfer, die haben den ganzen Sinn von Polizeiarbeit, von Teamarbeit gar nicht verstanden, da muss man sie erst mal langsam zu bringen, dass man zusammenarbeiten muss."

    Nicht nur technische Fertigkeiten wolle man vermitteln, betont ein junger Polizeiausbilder namens Marko:

    "Die kriegen Verfassungsrecht beigebracht, Strafrecht, Kriminalistik und Human Rights. Wir wollen versuchen auf jeden Fall, dass wir diese westlichen Standards so'n bisschen hier etablieren. Und da wollen wir versuchen, die so'n bisschen hochzuholen zu unseren Verfassungsrechten, sodass die schauen können, wir wie agieren, wie wir das handhaben."

    Doch die Erfolge, räumen die Bundespolizisten ein, seien eher gering.
    Gründe dafür gibt es genug: Die multiethnische Gesellschaft Nordafghanistans ist hochkomplex. Potentaten, Warlords und die unterschiedlichsten Interessengruppen filtern ihre Klienten ein.
    Wer eigentlich welche Polizisten für das Training auswähle, so die deutschen Ausbilder, erschließe sich ihnen selten.

    "Wir haben eine Klasse, da hinten in den Zelten sind Kollegen aus Kundus und die sind halt rekrutiert worden, 80 Stück und die machen ihre Ausbildung bei uns. Und Kundus ist natürlich'n heißes Pflaster und da kann man halt nicht ausschließen, dass der eine oder andere dazugehört, vielleicht auch bewusst in Uniform gesteckt wurde. Es ist schwer zu sagen, wir wissen's halt nicht."

    Bei vielen Ausbildern hat der anfängliche Idealismus einer latenten Resignation Platz gemacht. Und oft kommt dann schnell das Argument, das man bei ausländischen Helfern immer wieder hört: Die afghanische Gesellschaft zu modernisieren, sei unmöglich – oder es werde zumindest Hunderte von Jahren dauern.

    Polizeiausbilder Marko:
    "Das ist halt Mittelalter hier, die leben im Mittelalter ..."

    Der Anspruch, Afghanistan zu Demokratie und Rechtstaatlichkeit zu verhelfen, wirkt heute irrealer denn je. Heute geht es dafür um Stabilität. Die alles dominierende US-Armee hat sich darum eine veränderte Taktik zu eigen gemacht. Sie will vorerst auf Modernisierung verzichten, vielmehr die vermeintlich archaischen afghanischen Strukturen nutzen: Stammesführer, angestammte Autoritäten und Milizenchefs
    Geld geben und sie samt ihrer Kämpfer zu Hilfssheriffs ernennen.

    Das Pilotprojekt läuft seit Februar 2009, basiert auf den angeblichen Erfolgen mit demselben Modell im Irak und wird seitdem auf ganz Afghanistan übertragen. Auch auf das Regionalkommando Nord, wo Deutschland die Verantwortung trägt.

    Dort nimmt inzwischen Abdelahmad den Deutschen, wie er betont, die wichtigsten und gefährlichsten Aufgaben ab. Abdelahmad ist Milizenkommandeur:

    "Ich bin verantwortlich für die Gegend zwischen Kundus und der Nachbarprovinz Baghlan. Mein Hauptquartier befindet sich in Bakshi Baghlan. Dank meiner Truppe können dort die Menschen in Sicherheit leben. Wir überlassen diese Region unter keinen Umständen irgendwelchen regierungsfeindlichen Kräften und die Regierung unterstützt uns dabei."

    Ein paschtunischer Taxifahrer kann bei dem Namen Abdelahmad seine Hassgefühle nicht verbergen. Ein Kriegsverbrecher sei das, meint er, ein Mörder. Dass ausgerechnet so jemand sich nun "Hilfs-Polizeichef" nennen dürfe – und das auch noch mit Unterstützung der Deutschen, das will ihm nicht in den Kopf.

    "Sein Spitzname lautet 'Paschtunenkiller'. Im Bürgerkrieg hat er viele Paschtunen umgebracht. Abdelahmad heißt bei uns nur: Pashtun-Kush, Paschtunenmörder."

    Die Schaffung bewaffneter Gruppen innerhalb von Dörfern, Städten oder Regionen ist problematisch. Da sie oft ethnisch homogen sind, werden dadurch vielerorts gesellschaftliche Konflikte regelrecht angeheizt. Ihre Kommandeure werden zu Vertragsnehmern von Regierung und ISAF. Ihre neue Machtfülle nutzen sie dann nur zu oft, um gegen ihre religiösen und ethnischen Gegner vorzugehen. Und manchmal auch gegen ihre persönlichen Feinde, erzählt Siddiqi, ein junger Mann, der aus der Region von Kundus stammt:

    "Vier unserer Verwandten waren mit einer anderen Familie in unserem Dorf verfeindet, das war noch vor dem Taliban-Regime. Jemand von denen hat einen unserer Verwandten umgebracht. Daraufhin haben die Cousins meines Vaters einen aus der anderen Familie erschossen. Während der Taliban-Zeit haben sie sich mit den anderen wieder vertragen und alle legten ihre Waffen nieder. Aber als die Karzai-Regierung ihr Milizen-Programm startete, erhielten die alten Bürgerkriegskommandeure die Erlaubnis, die Waffen wieder aufzunehmen. Und als sie die wieder trugen, haben die von der anderen Familie die alte Feindschaft zu uns aufleben lassen. Jemand aus der verfeindeten Familie hat vor drei Monaten einen Cousin meines Vaters erschossen."
    Dass ehemalige Bürgerkriegskommandeure wieder zu politisch einflussreichen Figuren werden, ruft viele alte Feindschaften aufs Neue wach.

    Einer der schärfsten Kritiker des Systems, das sich in Afghanistan erneut herausgebildet hat, ist Abdullah Abdullah, Afghanistans ehemaliger Außenminister. Bei den letzten Präsidentenwahlen war er Karzais wichtigster Gegenspieler. Er ist bis heute davon überzeugt, dass seine Niederlage nur durch massive Wahlfälschung zustande kam.

    Für Abdullah Abdullah ist das Abdriften in eine Milizenwirtschaft, wie sie heute weiträumig in Afghanistan auszumachen ist, ein Indikator dafür, dass der Westen von der Idee des Staatsaufbaus endgültig Abstand genommen hat. Inzwischen, meint er, gehe es doch nur noch um die militärische Zusammenarbeit mit handverlesenen Partnern innerhalb und außerhalb der Regierung:

    "Inzwischen setzt sich im Westen mehr und mehr die Ansicht durch: Demokratie funktioniere in Afghanistan sowieso nicht. Das ist doch die latente Stimmung, oder? Nur: Eine solche Ansicht zu vertreten, ist ein schwerer Fehler. Am Anfang des Prozesses gingen alle davon aus, wir könnten eine Entwicklung von 200 Jahren in nur zwei Jahren bewältigen. Das waren zu hochgeschraubte Erwartungen. Jetzt erleben wir das andere Extrem. Man legt die niedrigste Messlatte an, die sich nur denken lässt. Beide Haltungen aber sind falsch. Die Menschen dieses Landes waren bereit, sich auf den Weg der Demokratie zu begeben und hätten das vielleicht tun können, hätte das Ausland nicht sein Vertrauen in einen einzigen Mann gesetzt. Dieser Mann aber hat uns in eine ausweglose Lage manövriert."

    Viele der neuen und alten Milizenführer gehören den Befehlsrängen der tadschikisch und usbekisch geprägten ehemaligen Nordallianz an – der Gruppe, die dank der US-Armee 2001 die Macht erhielt und als deren paschtunisches Aushängeschild Hamid Karzai von Anfang an fungierte. Seit diese Gruppe um den alten Nord-Warlord Mohammed Fahim versuchte, Karzai von der Macht zu entfernen, hat dieser sie noch enger eingebunden und mit Schlüsselposten betraut.

    Zusätzlich versucht der Präsident, ein paschtunisch-fundamentalistisches Gegengewicht zu schaffen und sich dadurch abzusichern. Erzkonservative Geistliche beeinflussen seitdem die Entscheidungen der Regierung, ihre Anhänger durchsetzen den Verwaltungsapparat, heizen Demonstrationen gegen Frauenrechte und Meinungsfreiheit an.

    Kritiker Karzais werden als sogenannte "Gotteslästerer" verunglimpft und mundtot gemacht. So auch Oppositionsführer Abdullah Abdullah:

    "Karzai bedient sich dabei zweier Dinge: Er bedient sich der fremdenfeindlichen Ressentiments und des religiösen Konservatismus in der Bevölkerung. Und beides setzt er dann gegen die Zivilgesellschaft ein. In der ersten Phase seiner Amtszeit hat er zum Beispiel die internationale Gemeinschaft, ihre Truppen gegen Teile der Bevölkerung eingesetzt. Nun macht er es umgekehrt und versucht, die Bevölkerung gegen die internationale Gemeinschaft aufzubringen."

    Einer von Karzais neuen Bündnispartnern ist die paschtunisch-fundamentalistische Hizb Islami. Sie ist eine legale Abspaltung der Hizb Islami, die Seite an Seite mit den Taliban kämpft und dem Alt-Mudschaheddin Gulbuddin Hekmatyar untersteht. Offiziell hat sich die neue Hizb Islami von ihrem Gründer losgesagt. Deren Parteichef, Achandiwal, wurde zum Dank für seine Hilfe von Präsident Karzai zum Wirtschaftsminister ernannt. Doch über seinen ehemaligen Chef ist Minister Achandiwal auch heute noch kein kritisches Wort zu entlocken:

    "Gulbuddin Hekmatyar ist ein Intellektueller. Er ist ein sehr rationaler Mensch. Er ist nicht der, den manche aus ihm machen möchten, ein Diktator oder so jemand. Damals hat man uns Freiheitskämpfer genannt. Also: Gestern waren wir noch Freiheitskämpfer und heute sollen wir Warlords sein? Das ist die Meinung von ganz bestimmten Politikern. Wir sind noch immer Freiheitskämpfer."

    Politische Beobachter sehen hinter der offiziellen Trennung der Hizb Islami von den Aufständischen nur politisches Kalkül. Ahmed Hashemi, langjähriger Chefredakteur der Tageszeitung "Payman Daily" meint:

    "Die Parteioberen haben die Organisation einfach in zwei Teile gespalten. Ein paar wichtige Leute sind weggegangen und behaupten seitdem: Wir gehören zur Hizb Islami und sind nicht mehr mit Hekmaytar zusammen. Tatsächlich werden sie von Hekmatyars Organisation unterstützt. Und Hekmatyar wiederum bekommt sein Geld vom pakistanischen Geheimdienst ISI. Vielleicht hat sich am Vorgehen etwas geändert. Früher ist Achandiwal direkt nach Pakistan gefahren, um sich sein Geld abzuholen, jetzt fliegt er nach Dubai und holt es dort."

    Paschtunische Fundamentalisten auf der einen, tadschikische und usbekische Nordallianzler auf der anderen Seite: Die Bruchlinien im Machtapparat des Präsidenten verlaufen entlang der Fronten, die es auch vorher schon gegeben hat: im Bürgerkrieg der 1990er-Jahre.
    Dass auch ein Nordallianz-Führer wie Mohammed Atta, der Gouverneur in Mazar-e Sharif, sein persönlicher Feind aus Zeiten des Bürgerkrieges, heute von Karzai eingebunden wird, ist aus Sicht von Wirtschaftsminister Achandiwal nur schwer erträglich:

    "Wenn Präsident Karzai Gouverneur Atta im Amt lässt, ist er dumm. Atta gehört nicht zu Karzais Team. Wenn ich ein Land zu regieren habe, suche ich mir doch eine homogene Mannschaft aus, Leute, die dieselben Ziele haben wie ich und dasselbe Programm umsetzen wollen."

    Gouverneur Atta wiederum ist der Lieblingspartner Deutschlands. Unter ihm, so hört man bei der Bundeswehr und bei den Entwicklungshelfern in Mazar-e Sharif, boomten die Regionen. Die Wirtschaft werde angekurbelt, es werde gebaut: Straßen, Schulen, Krankenhäuser.
    Doch Abaceen Nasimi, einer der einflussreichsten politischen Analysten in Kabul, warnt die internationale Gemeinschaft davor, auf Kosten der Zivilgesellschaft lokale Potentaten und Ex-Warlords wie Atta zu stärken und in den Akteuren der Vergangenheit auch die der Zukunft zu sehen:

    "Alle Firmen in der Provinz Balkh, die mit den internationalen Gebern zusammenarbeiten, gehören auf die eine oder andere Weise Gouverneur Atta. Das ganze Geld, das die internationale Gemeinschaft für den Wiederaufbau investiert, landet in Attas Taschen. Er hat das Monopol schlechthin. Vor ein paar Monaten erzählte mir ein Freund, der als Kontraktor mit den Internationalen arbeitet, dass er von Attas Leuten mit dem Tod bedroht wurde: Verlass sofort den Norden, hieß es, und hör auf, dich um internationale Aufträge zu bewerben."

    Aus Sicht von Hamid Karzais Ex-Gefolgsmann und jetzigem Kritiker Abdullah Abdullah sollten die ISAF-Staaten aufhören, in Hamid Karzai ihren Partner zu sehen:

    "Die Ära Karzai - das ist für mich eine goldene Chance, die verspielt wurde. Der Wagen ist an die Wand gefahren. Dabei waren die Ausgangsbedingungen gut: Die Afghanen schienen sich einig, die Weltgemeinschaft stand hinter ihnen. Karzai hat es nicht geschafft, daraus etwas zu machen. Er hat die goldene Chance auf unverantwortliche Weise verspielt. Niemand hätte ihm so etwas zugetraut. Und er selber wird es nicht mehr schaffen, die Fehler zu korrigieren."
    Afghanische Polizisten bei einer Zeremonie für Bundesinnenminister Schily in Kabul
    Afghanische Polizisten bei einer Zeremonie. (AP)
    Der afghanische Präsident Hamid Karzai auf der Afghanistan-Konferenz in London.
    Der afghanische Präsident Hamid Karzai auf der Afghanistan-Konferenz in London. (AP)