Ich musste schon immer zwei Seelen in meiner Brust gehabt haben, eine die ein großes Transzendenzbedürfnis hatte, die eben metaphysisch grundiert war und eben diese Rationalismus-Seeligkeit, die uns auch anerzogen wurde.
Diese Erlebnissen, die Lange als "existenzielles Erschrecken" beschreibt und die auch mit einer Schreibkrise verbunden waren, führten ihn zu einer Geisteshaltung, die er "positiven Nihilismus" nennt. Halt findet er heute vor allem in zwei Dingen: In dem Staunen, mit dem er seine und die Existenz der realen Welt betrachtet und in einer Demut jenseits aller religiösen Kategorien.
Man ist sozusagen auf diese Welt geschoben worden und wird wieder weg geschoben und da kann man, das kann man nur demütig hinnehmen. Man wird demütig weil man zur Transzendenz nicht finden kann.
Trotzdem scheint die Beschäftigung Langes mit der Transzendenz in seinem Werk immer wieder auf, ebenso wie seine Grundbefindlichkeit, die er mit Heidegger als ein "Hineingehaltensein ins Nichts" beschreibt. In all seinen Novellen, die seit den 80er Jahren Langes bevorzugte literarische Form sind, wohnt etwas Rätselhaftes, Unheimliches. Für seine Protagonisten bleiben Teile der Welt unentzifferbar. Sie werden aus ihrer Bahn geworfen vom Einbruch des Unbekannten. "Die Wahrheit liegt im Verschwinden", lautet ein zentraler Satz in Langes Novelle Eine andere Form des Glücks.
Und die Figuren bei mir suchen eigentlich immer ein Loch aus sich selbst, ein Loch aus der Welt. Das kann man schon als Transzendenzbegehren definieren, das aber nicht gestillt werden kann, weil das Transzendenz begehren immer im Unbekannten versandet.
In Langes jüngster Novelle Das Streichquartett verstrickt sich sein Held, der Geiger Berghoff, immer mehr in ein Gespinst aus Vermutungen und Verdächtigungen. Betrügt ihn seine Frau Elisabeth mit einem Kollegen aus seinem Streichquartett? Und woher kommt die neue, kostbare Geige, die plötzlich in Berghoffs leerer Wohnung steht? Hat Elisabeth die Geige für ihn gekauft oder ihr vermeintlicher Liebhaber? Berghoffs Verhalten wird immer merkwürdiger. Lange bereitet den überraschenden Höhepunkt mit sparsamen Hinweisen vor und steigert die Spannung durch ein musikalisches Thema, das das gesamte Buch grundiert: Berghof arbeitet wie ein Besessener an Schönbergs 4. Streichquartett Opus 37. Er scheint daran zu verzweifeln und kann doch nicht davon lassen. Für Lange ist die Musik ein Assoziationsbrunnen. In der Musik Schönbergs, so sagt er, habe er ebenso wie in der Literatur Kafkas oder Becketts den "Neurosenhorizont der Moderne" aufscheinen sehen, und der treibt auch ihn um. Allerdings hat es lange gedauert bis Langes Literatur Akzeptanz fand bei Kritik und Lesern.
Die ganze Rezeption sucht diese politischen Bezüglichkeiten. Und ich habe ja die Erfahrung gemacht, dass meine Bücher, die im subjektiven, existenziellen Raum angesiedelt sind, die werden nicht so beachtet wie politische Bücher. Es hat bei mir sehr lange gedauert, ehe die offziöse Literaturkritik das akzeptiert hat, was ich schreibe.
Auch wenn Langes Bücher nicht vordergründig "gesellschaftskritisch" sind, so liegt doch in Langes radikaler Darstellung der Vereinzelung des Menschen eine Beunruhi gung und eine Anfrage.
Mir geht es jetzt immer so, wenn ich andere Leute sehe, die altern oder Schwierigkeiten haben, ... dann habe ich immer das Bedürfnis sie zu berühren oder mich dazu zu setzen oder uns gegenseitig zu trösten. Aber das ist eine Sache, die über die existenzielle Angst kommt und nicht über die politische Solidarität, aber auch das ist eine Art von Solidarität und deswegen finde ich eine Gesellschaft, die so tut, als wäre da nur Spaß und Konsum oder als wäre das Leben ein ewiges Besitz anhäufen oder Karriere machen, die verdeckt dann diese ganzen Existenzbefindlichkeiten ... dass man altert, dass man die Blume des Lebens nicht gefunden hat, dass man unglücklich ist. Und eine Gesellschaft, die eben so sehr verkümmert ist, dass sie nur ein Warenhaus ist. Dann fängt man als Einzelner im Heideggerschen Sinne an zu frieren.
Für seine Literatur aber braucht Lange dieses Gefühl des Unbehagens und genau deshalb schätzt er Berlin so sehr. In seinen Novellen spielt die Topographie der Stadt eine wichtige Rolle, wie ein Netz aus festen Punkten liegt sie unter dem Text. In so barocken Räumen wie Wien oder Italien könne er sich nur ausruhen aber nicht arbeiten, sagt Lange. Da fehle ihm das Unbehauste, Prickelnde. Gerade weil man in dieser Stadt nie zu Hause sei, weil sie einen am Wohlbefinden hindere, sei sie gut für seine Literatur. Das hört sich nach unbequemen Tagen und Nächten an, aber diese Interpretation wäre falsch, denn auch für einen "positiven Nihilisten" gibt es ein Glück:
Das ist ja das Komische, dass ich ein sehr lebensbejahender Mensch bin. Ich lebe gern und ich esse gern und ich tue alle guten Dinge gern, aber ich leide auch gern. ...(538) Ich kann ihnen nur sagen, ein Satz der mich immer begleitet hat, ist von Büchner aus dem Danton. Der hat gesagt, es gibt nur Epikuräer, grobe und feine. Christus war der Feinste. Damit ist eigentlich alles gesagt.