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Isländische Gletscher
Brücken, denen die Flüsse verlorengingen

Glaziologie. - In dieser Woche treffen sich im französischen Bergdorf Chamonix mehrere Hundert Eisforscher, um auf dem Symposium der Internationalen Glaziologischen Gesellschaft darüber zu diskutieren, wie sich die Gletscher und Eispanzer der Welt in den vergangenen Jahrzehnten verändert haben. Die Tagung findet in einem abgelegenen Schulungszentrum für Bergführer und Skilehrer statt, was die Kommunikation mit den Forschern etwas erschwert.

Von Monika Seynsche |
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    Islands Straßen führen über eine veränderliche Topografie. (picture alliance / zb)
    "I am sort of intruding into their space here."
    Hrafnhildur Hannesdóttir hat mehrere Tage gesucht, um im Konferenzzentrum einen ruhigen Raum mit einer stabilen Internetverbindung für ein Skype-Interview zu finden. Jetzt sitzt sie in einem Besprechungszimmer, das eigentlich den Organisatoren der Tagung vorbehalten ist. Ruhig ist es nicht, aber dafür funktioniert das Internet.
    "It is a meeting room, windows, so we have a view of Mont Blanc if it wouldn't be cloudy..."
    Wenn es nicht wolkig wäre, könnte sie den Mont Blanc erkennen, erzählt die Doktorandin der Universität von Island, die in ihrer Heimat eines der größten Eisfelder Europas untersucht.
    "Ich habe mir die südöstlichen Auslassgletscher des Vatnajökull Eisfeldes angeschaut. Diese Gletscher liegen in der wärmsten und feuchtesten Region Islands und erstrecken sich bis in sehr tiefe Lagen, sie erreichen fast das Niveau des Meeresspiegels. Und sie reagieren sehr sensibel auf den Klimawandel."
    Hrafnhildur Hannesdóttir wollte herausfinden, wie diese Gletscher auf die Klimaveränderungen seit der Kleinen Eiszeit Ende des 19. Jahrhunderts reagiert haben.
    "Zuerst habe ich fast zwei Monate damit verbracht, die während der Kleinen Eiszeit entstandenen Gletschermoränen zu kartieren. Diese Gesteinshaufen, die ein Gletscher vor sich herschiebt, können uns zeigen, wie viel länger und breiter die Eisströme damals waren."
    Denn wenn sich Gletscher zurückziehen, bleiben diese Moränen liegen und zeigen noch Jahrhunderte später, bis wohin die Eismassen einmal reichten. Außerdem wertete die Forscherin alte Fotografien aus, historische Berichte, Wetteraufzeichnungen. Aus späteren Jahrzehnten kamen Luftaufnahmen, Satellitenbilder sowie GPS-Daten hinzu. Mit all diesen Daten rekonstruierte sie, wie sich die Gletscher im Laufe von 120 Jahren gewandelt haben. Mit den Ergebnissen testete sie ein Modell, dass die historischen Veränderungen der Gletscherströme simuliert. Jetzt kann sie dieses Modell in die Zukunft laufen lassen, und damit möglicherweise wichtige Hinweise für die Infrastrukturplanung in Island liefern.
    "Die lokalen Behörden interessiert, wie sich die Gletscher in Zukunft verändern werden. Denn das entscheidet darüber, welches Bett sich die Gletscherflüsse suchen, wo also in Zukunft Brücken gebaut werden müssen und welche Gebiete gefährdet sein könnten."
    Zwischen dem Eisfeld des Vatnajökull und dem Meer zieht sich die Ringstraße Nr 1 als Hauptverkehrsverbindung der Insel durch endlose Schotterebenen. Zahlreiche Brücken überqueren die Gletscherflüsse, die in dem flachen Gelände allerdings immer wieder ihren Lauf ändern.
    "Eine dieser Brücken wurde in den 1940er Jahren gebaut. Einige Wochen bevor sie eingeweiht werden sollte, hat der Gletscherfluss einen anderen Weg eingeschlagen, so dass die Brücke nie genutzt wurde. Ähnliches ist bei der längsten Brücke Islands passiert, über den Skeiðará. Seit einigen Jahren fließt der Fluss nicht mehr unter dieser Brücke entlang. Im Vorland der Gletscher finden also sehr schnelle Veränderungen statt."