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Islam
Offenheit ist die große Chance

Der Bonner Stadtteil Bad Godesberg war früher wie ein Fenster zur Welt: mit internationalen Schulen, in denen aber auch konservativer Islam gelehrt wurde. Die Regierung zog nach Berlin, die islamische Infrastruktur blieb. Heute ist die Angst groß, dass Jugendliche in den Salafismus abgleiten.

Von Alois Berger | 02.03.2017
    Bahnhof des Bonner Stadtteils Bad Godesberg
    Der Islam ist im Bonner Stadteil Bad Godesberg in allen Schattierungen zuhause. (dpa / picture alliance / Maja Hitij)
    Später Nachmittag am Kurpark von Bad Godesberg. Viele Familien mit Kinderwagen, ältere Menschen, dazwischen Gruppen von Jugendlichen und vereinzelt Frauen mit Niqab, dem schwarzen Gesichtsschleier, der nur die Augen frei lässt. Der Islam ist in diesem Teil Bonns in allen Schattierungen zuhause, bis hin zum ultrakonservativen Salafismus.
    Schloss Godesburg in Bonn (Nordrhein-Westfalen) im Stadtteil Bad Godesberg.
    Bad Godesberg ist ein Kurort mit vielen Parkanlagen und gepflegten Villen. Der Islam ist hier in vielen Schattierungen zu finden (picture alliance / Maja Hitij)
    "Schwieriges Thema, ich würde mal sagen, auf jeden Fall für Menschen, die hier nicht aufgewachsen sind, die könnten schon möglicherweise einen Kulturschock haben. Ja, auf jeden Fall."

    Bad Godesberg ist kein gesichtsloses Ghetto, Bad Godesberg ist ein Kurort mit vielen Parkanlagen und gepflegten Villen. Als Bonn noch Hauptstadt war, da war der südliche Stadtteil Bad Godesberg so etwas wie das Fenster zur Welt. Hier breiteten sich die Botschaften aus, die internationalen Schulen. Saudi Arabien finanzierte auf Einladung der Bundesregierung die König Fahd Akademie, eine Schule vor allem für Diplomaten-Kinder aus arabischen Ländern. Dass dort der ultrakonservative Islam gelehrt wurde, das war damals, vor 20 Jahren, kein Thema.
    Islamische Schulen blieben in Bonn
    Als die Regierung nach Berlin umzog, da gingen auch die Botschaften mit. Die islamischen Schulen aber blieben, die gut ausgebaute islamische Infrastruktur zog Menschen an aus allen arabischen Ländern. Vor allem der Medizintourismus expandierte. Araber aus den Golfstaaten, die sich in den Bonner Kliniken behandeln lassen, bringen ihre Familien mit und leben oft monatelang in Bad Godesberg.

    Man gewöhne sich daran, sagen die beiden jungen Männer, die am Kurpark vor der Ampel warten. Es gebe viele islamische Glaubensgemeinschaften in Bad Godesberg, der strenggläubige Salafismus sei nur eine davon.

    "Ich glaube, das wird auch jetzt übertrieben, weil, wenn man jetzt in die Moschee geht am Freitag, heißt das noch nicht, dass er zum IS … Also zum Thema: Wir sind beide Moslems, so ist es. Geht ihr in die Mosche: nicht regelmäßig das wird zu sehr überbewertet," sagt einer der jungen Männer.
    Behörden sehen salafistische Gruppen oft als Brutstätte des Terrorismus
    Die Bonner Behörden sind da nicht so gelassen. Salafistische Gruppen gelten als Brutstätte für den Terrorismus. Zwar wollen die meisten Bonner Salafisten ganz offensichtlich nur friedlich ein frommes Leben führen. Aber es gibt auch einen harten Kern, der den Dschihad in Syrien unterstützt und die Demokratie in Deutschland aushöhlen möchte. Jasmina Weinmann leitet ein Jugendzentrum in der Bonner Innenstadt. Vor kurzem stand wieder ein salafistischer Anwerber vor der Tür.

    "Westliches Aussehen, deutsch sprechend, harte Predigervideos auf dem Handy. Und die Jugendlichen - und da sieht man eben, wie gut es funktioniert, wenn man Beziehungsarbeit macht - sind sofort zu uns gekommen und haben uns informiert, dass ihnen was komisch vorkommt. So dass wir sofort handeln konnten und derjenige keine Chance hier hatte."
    Ein gutes Vertrauenverhältnis schützt vor Radikalisierung
    Die Sozialpädagogin Jasmina Weinmann betreut im Jugendzentrum St. Cassius in Bonn etwa 100 bis 150 Jugendliche. 98 Prozent davon sind Muslime.
    "Unser Jugendzentrum ist für viele das zweite Zuhause, die verbringen hier acht bis zehn Stunden am Tag, die essen hier, machen hier Hausaufgaben, schreiben Bewerbungen, lernen für Klausuren. Und deswegen sind die offen uns gegenüber, und das ist unsere große Chance, vor Radikalisierung zu schützen."
    Rund 30 Jugendzentren gibt es inzwischen in Bonn, dazu Beratungsstellen, mobile Treffpunkt-Cafés und ein dichtes Netz von Streetworkern. Auch der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz betreibt viel Aufwand, um zu verhindern, dass Jugendliche in den Salafismus abgleiten. Verfassungschutz-Chef Burkhard Freier:
    "Wir haben festgestellt, dass viele, gerade junge Menschen reinrutschen, weil ihnen das Gefühl fehlt, anerkannt zu sein, wertgeschätzt zu sein in der Gesellschaft. Sie haben das Gefühl, sie müssten protestieren, auch Abenteuer erleben, sie brauchen soziale Wärme, und sie brauchen das Gefühl, eine Aufgabe zu haben und Orientierung. Und salafistische Organisationen bieten genau das, nämlich so was wie ein Lifestyle-Gesamtpaket, in dem sie Jugendlichen das Gefühl geben, bei uns erfährst du eine Aufgabe und Orientierung. Wir geben dir ein Ziel in deinem Leben, und du bist in einer Gruppe der Guten und hilfst einer guten Sache."
    Der Salafismus als Jugendkultur
    Mit Religion habe das oft nichts zu tun, sagt der Verfassungsschützer. Nicht nur die Jugendlichen, auch die Anwerber hätten meistens keine Ahnung vom Islam. Burkhard Freier sagt:
    "Salafistische Szenen sind so etwas wie eine Jugendkultur geworden, die eine eigene Sprache haben. Versatzstücke aus dem Koran, Versatzstücke aus dem Arabischen, Versatzstücke aus einer Jugendsprache."

    Coletta Manemann ist Integrationsbeauftragte der Stadt Bonn. Sie legt Wert auf die Feststellung, dass auch in Bonn die wenigsten Jugendlichen für die Einflüsterungen der Salafisten empfänglich seien. Doch es gebe sehr viele muslimische Jugendliche, die sich ausgeschlossen fühlten.
    Das Projekt Collage mit Courage
    "Wir selber haben schon vor einiger Zeit ein Projekt für junge Muslime, von und mit jungen Muslimen gegründet, Collage mit Courage, wo wir eben nicht gesagt haben, das ist ein Präventionsprojekt, sondern das ist ein empowerment-Projekt. Das ist das Projekt, wo junge Bonner Muslime sagen, ich bin Bonnerin oder ich bin Bonner. Ich bin auch muslimisch, aber das ist nur ein Teil meiner Identität. Ich möchte endlich als junge Bonnerin oder junger Bonner wahrgenommen werden und mich einmischen in Bonn."

    In Bonn gibt es viele solcher Projekte, die gezielt das Selbstbewusstsein der Jugendlichen stärken sollen. Man müsse sie immun machen gegen jede Form der Radikalisierung, sagt die Integrationsbeauftragte. Dazu gehöre auch, die religiösen Fragen der jungen Menschen zu beantworten. Wer den richtigen Islam kenne, meint Coletta Manemann, der sei auch weniger anfällig für den falschen.

    Das sehen auch die beiden jungen Männer am Kurpark in Bad Godesberg so: "Wir kennen den Islam so, wie wir ihn für richtig halten. Und wir würden uns niemals von jemandem, der auf einer radikalen Schiene ist, auf einen anderen Weg leiten lassen. So isses."