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Islam und Emanzipation - Teil 3
"In den Köpfen tut sich etwas"

Rabeya Müller war einmal Katholikin. Heute ist sie Imamin. Zum Islam fand sie nach einer langen spirituellen Suche. Sie wünscht sich mehr Frauen in der Leitung von Gemeinden. Noch würden Musliminnen zu selten dazu ermutigt, sagt sie, aber sie sieht Fortschritte.

Von Monika Konigorski | 31.03.2016
    Die Imamin Rabeya Müller.
    Imamin Rabeya Müller: Sie wünscht sich mehr Frauen in der Leitung von Gemeinden. (Monika Konigorski)
    "Es gibt einen sehr schönen Ausdruck des Propheten, der da heißt: Messt den Islam nicht an den Muslimen. Aber der Islam wird logischerweise an den Muslimen gemessen, und ich glaube dass wir –in Bezug auf Gleichberechtigung - nicht unbedingt ein besonders gutes Bild abgeben."
    Ein heikles Thema. Die muslimische Theologin und Islamwissenschaftlerin Rabeya Müller bekommt für solche Aussagen viel Zustimmung von Nicht-Muslimen. Aber nicht jeder, der bestätigend nickt, hat auch verstanden, was sie meint. Gleichberechtigung ist für Muslime ein Problem, sagt sie, aber sie will es nicht ausschließlich als Problem von Muslimen verstanden wissen. Auch andere Religionsgemeinschaften und die gesamte Gesellschaft haben ihrer Ansicht nach noch viel nachzuholen in punkto Emanzipation. Und sie erklärt: Bei allem Bedarf, den sie in der eigenen Community sehe, habe es auch in der muslimischen Community Fortschritte gegeben.
    "Das hört sich vielleicht jetzt etwas optimistisch an, aber durch diese ständigen Rückfragen aus der nicht-muslimischen Öffentlichkeit, durch das ständige Konfrontiertsein mit dieser Problematik, hat sich schon – wenn auch meistens nur äußerlich – in den meisten Köpfen etwas getan."
    Der Gruppenraum eines Mehrfamilienhauses in Bonn-Wesseling. Hier trifft sich an einem sonnigen Sonntag die muslimische Gemeinde im Rheinland. Unter ihnen ein Brautpaar, das von Rabeya Müller getraut werden möchte. Sie ist die Imamin dieser Gemeinde und leitet sie gemeinsam mit einem Co-Imam. Er hat den Platz links von Rabeya Müller eingenommen. 600 Kilometer sind die Brautleute für die Trauung gefahren, erzählt der Bräutigam. Er ist Katholik, seine Braut Muslima.
    "Wir haben uns zu diesem Schritt entschlossen, dass wir da eine Partnerschaft eingehen, allerdings ist es da auch etwas schwieriger da eben den Segen zu kriegen im islamischen Recht, wir haben uns da kundig gemacht, wir haben da verschiedene Verbände angeschrieben, Leute angerufen, aber die Verbindung zwischen einem männlichen nicht-Moslem und einer Muslima ist bei den meisten nicht so erlaubt", sagt Matthias.
    Imamin Rabeya Müller hatte zugesagt, dass sie die Trauung durchführen wird. Sie hebt die Stimme: "Ok, können wir kurz ein bisschen Ruhe halten, damit wir eine Fatiha sprechen für das frisch gebackene Ehepaar." Al-Fatiha liest die erste Sure des Koran auf Deutsch: "Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes."
    Die Imamin trägt ein schwarzes langes Hemd über Shirt und Hose. Auf ihrem Kopf eine blaue Mütze, die ihre Haare verdeckt. Die Mütze dient als Kopftuchersatz. Mit freundlichen Worten wendet sich Rabeya Müller an das Brautpaar: "Sie haben sich vorab sehr viele Gedanken gemacht, das finde ich sehr gut, und haben die auch ihrem Ehevertrag niedergelegt, und es gibt so ein paar Sachen, die ich Ihnen auch auf den Weg mitgeben möchte."
    Berufsbezeichnung "Imamin" umstritten
    Imamin zu werden, sei nie ihr erklärtes Ziel gewesen, sagt Rabeya Müller. Mit der Verwendung dieser Berufsbezeichnung geht sie recht vorsichtig um.
    "Das kommt immer darauf an, was man unter dieser Begrifflichkeit versteht. Es ist eine Tatsache, ich leite ein gemischtgeschlechtliches Gebet in unserer Gemeinde, ich nehme seelsorgerliche Tätigkeiten war, ich führe Eheschließungen durch, das sind schon logischerweise die Tätigkeiten einer Imamin."
    Aber diese Bezeichnung ist umstritten, auch unter muslimischen Feministinnen. Einige lehnen den Begriff ab, weil damit versucht werde, christliche Kategorien wie Pfarrer und Pfarrerin auf den Islam zu übertragen. Rabeya Müllers Antwort fällt diplomatisch aus: "Ich find das ist immer so eine festgefahrene Geschichte. Es gibt im Islam ja keine Ordination, auch nicht für Männer, und ich glaube, solange die Gemeinde, die ich mit einem Co-Imam leite, solange die Gemeinde hinter uns steht, kann ich das guten Gewissens tun."
    Rabeya Müller wurde im Jahr 1957 in der Eifel geboren, im kleinen Örtchen Mayen, und wuchs als Katholikin auf. Nach dem Abitur begann eine religiöse Suche, beschäftigte sich mit Protestantismus und Buddhismus, Hinduismus sowie mit dem Judentum. Und blieb schließlich beim Islam hängen, wie sie es nennt:
    "Eigentlich war die Beziehung Gott-Mensch für mich eine ganz hervorstechende, was ich am Islam sehr faszinierend fand, also dass zwischen Gott und den Menschen kein Fürsprecher mehr da sein muss, sondern dass es eine direkte Verbindung gibt, … und diese durchgängige Vorstellung der Gerechtigkeit, die immer mit Barmherzigkeit einhergeht, das gibt 's natürlich in anderen Religionen auch, aber ich finde und fand, dass das sehr klar und deutlich immer wieder im Koran formuliert ist."
    Rabeya Müller studierte islamische Theologie und Islamwissenschaften, Pädagogik und Ethnologie in Deutschland, Kanada sowie in mehreren asiatischen Ländern. Sie arbeitet religionspädagogisch, entwickelte Bildungstheorien und Unterrichtskonzepte und leitete jahrelang das Institut für interreligiöse Pädagogik und Didaktik. Sie begründete in Köln das Zentrum für Islamische Frauenforschung und -förderung mit. Das Zentrum bringt Studien zur Situation von muslimischen Frauen heraus, berät Frauen in Not und setzt sich dafür ein, den Koran geschlechtergerecht zu lesen und zu interpretieren.
    Theologie spricht dafür
    Die Trauung ist zu Ende. Die Feier der bunt-gemischten Gemeinde geht weiter. Rabeya Müller bedauert, dass nicht mehr Frauen die Aufgaben eines Imams, einer Imamin übernehmen.
    "Ich kenne jede Menge, gerade von Studentinnen, die sich auch schon an mich gewandt haben, die mir ganz klar gesagt haben, dass sie das eigentlich gerne möchten, dass sie sich aber nicht trauen."
    In der Religion selbst liege das Hindernis nicht begründet: "Theologisch steht dieser Tatsache, dass Frauen eine solche Position innehaben, überhaupt nichts im Wege. Zumindest habe ich noch niemanden mitbekommen, der wirklich fundiert theologisch dagegen hätte argumentieren können." Allerdings würden die Frauen, die hier in Deutschland islamische Theologie studieren, nicht dazu ermutigt, Imamin zu werden, kritisiert Müller. "So lange sich in den Studiengängen, die wir jetzt an den deutschen Hochschulen haben, nicht klar herausstellt oder auch nicht klar herausgearbeitet wird, dass das ebenfalls ein Berufsweg für junge Frauen ist, die diesen Studiengang abschließen, wird sich das auch so schnell nicht ändern."