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Islam und Homosexualität
Hilfe für schwule und lesbische Einwanderer

In vielen muslimisch geprägten Ländern werden Menschen wegen ihrer Homosexualität verfolgt und zu oft drakonischen Strafen verurteilt. Für viele ist der einzige Ausweg die Flucht aus der Heimat, etwa nach Deutschland. Für Offenheit und Toleranz will das Projekt Baraka in Köln sorgen.

Von Franziska Langhammer | 23.03.2015
    Wehende Regenbogenflaggen auf einer Demonstration.
    Regenbogenflagge: Projekt hilft homosexuellen Einwanderern. (picture alliance / dpa / Jens Kalaene)
    "Ich zeichne viel mit meinen Händen; ich verwische viel. Diese Wischtechnik war für mich immer wichtig, weil ich so auch mehr Bezug habe zu den Bildern. Und ich auch gerne mit meinen Händen zeichne."
    Auf den Aktbildern, die Aju zeigt, verschwimmen nicht nur die Konturen und Farben, sondern auch die Identitäten: Ob ein Mann oder eine Frau abgebildet ist, ist meist nicht erkennbar. Wenn Aju spricht, sprechen auch ihre dunklen Locken: Sie wirbeln durch die Luft, als würden sie das Gesagte noch mal bekräftigen wollen.
    Ihre Bilder sind auch eine Auseinandersetzung mit sich selbst und ihrer Bisexualität. Aju ist 40 Jahre alt und in Deutschland aufgewachsen. Ihre Eltern stammen aus Algerien. Eigentlich heißt sie anders, aber sie möchte anonym bleiben – in ihrer Familie weiß kaum jemand von ihrer sexuellen Orientierung.
    "Meine Mutter lebt jetzt nicht mehr, ich weiß nicht, wie das gewesen wäre, wenn sie das wüsste. Das wäre eigentlich eine Katastrophe, glaub ich."
    Aju und ihre Schwestern werden muslimisch erzogen. Der Kontakt zu den Verwandten in Algerien ist eng, oft verbringen sie ihre Ferien in Nordafrika. Schon früh merkt Aju, dass sie etwas in sich trägt, das sie nicht benennen kann.
    "Ich habe als Kind wenig gesprochen. Ich habe die meiste Zeit nur gezeichnet. Ich saß in der Ecke und habe gezeichnet. Und das war für mich so meine Welt. Aber ich habe nicht dieses Verliebtsein gehabt wie andere Mädchen in meinem Alter, die verliebt waren in Jungs. Das hatte ich nicht. Irgendwie gab's das nicht für mich. Und ich habe auch nie darüber geredet."
    In der Malerei findet Aju ein Medium, in dem sie sich mit sich selbst und ihrem Körper auseinandersetzt. In einer muslimischen Familie, sagt sie, müssen Frauen sich zurücknehmen, auch körperlich. Umso entsetzter sind die Eltern, als sie Ajus erste Zeichnungen sehen.
    "Ich habe früher, sehr früh schon Aktzeichnungen gemacht. Aber ich bin in einem muslimischen Haushalt groß geworden, da war das nicht so gern gesehen, wenn überhaupt nackt. Meine Eltern waren natürlich geschockt."
    Homosexuelle Einwanderer halten Beziehungen versteckt
    In den meisten muslimischen Familien ist eine Sexualität außerhalb der konventionell-heterosexuellen Ehe nicht denkbar, selbst wenn sie schon jahrelang im vergleichsweise liberalen Deutschland leben. Während zwei von ihren Schwestern sich mit Männern verheiraten, hält Aju ihre Beziehungen vor der Familie versteckt.
    "Ich weiß nicht, ob meine Eltern was geahnt haben oder so. Meine Mutter hat irgendwann aufgehört, zu sagen: Du wirst jetzt heiraten und einen Partner finden oder ich suche dir einen Partner. Das wundert mich selber, aber es war nicht so."
    Bis heute hat Aju nur einer Schwester von ihrer Bisexualität erzählt. Ein Thema, das totgeschwiegen wird – und äußerst heikel ist. Auf die Frage, wovor sie Angst habe, weicht Aju aus und erzählt stattdessen, wie sie in Köln Zeugin eines Vorfalls wurde: ein homosexuelles Pärchen, das auf eine Gruppe muslimischer Jugendlicher traf.
    "Es waren zwei schmächtige Jungs, die verliebt am Rhein spazieren wollten, erstmal Händchen haltend und dann sich gelöst haben, weil sie die Gruppe gesehen haben. Und schon eine Angst empfunden haben, und ich auch. Ich lief hinter denen. Und meine Angst war, dass sie angegriffen werden, diskriminiert werden, verletzt werden."
    Es passiert nichts – zum Glück. Viele Muslime verurteilen Homosexualität als schwere Sünde und berufen sich dabei auf den Koran, der sich jedoch an keiner Stelle direkt dazu äußert. Dennoch kommt es immer wieder zu Beschimpfungen oder Übergriffen auf gleichgeschlechtliche Paare.
    Projekt Baraka soll helfen
    Eine Stelle, an die sich bi-, trans- und homosexuelle Menschen mit internationalem Hintergrund wenden können, ist das Projekt Baraka in Köln. Seit zehn Jahren gibt es den internationalen Treffpunkt, seit vier Jahren arbeitet Gema Rodriguez Diaz hier.
    "Ja, und im Eingangsbereich, wo keiner hier reinkommt, ohne zu klingeln. Da muss man an die Tür kommen und erst einmal sich trauen. Das ist auch als Schutz. Deswegen sind wir auch in einer Seitenstraße."
    Die gebürtige Spanierin kümmert sich gemeinsam mit ihren Kollegen um Einwanderer, die sich nicht nur mit der neuen Umgebung in Deutschland auseinander setzen müssen, sondern nebenbei noch mit ihrer eigenen Sexualität. Sei es wegen eines Coming Outs oder einfach nur, um Gleichgesinnte kennenzulernen - zu Baraka kommen Menschen aus vielen Ländern.
    "Es gibt Länder, wo Homosexualität existiert, aber es gibt keinen Begriff, die das beschreibt. In fast allen arabischen Ländern gibt es schon immer Homosexualität. Aber die Menschen kommen nach Europa und die kennen zum ersten Mal, dass das, was die machen, Homosexualität in Europa heißt. Erst, wenn wir diesen Begriff geben, dann ist das, wo das Ganze problematisch wird."
    Homosexualität wird in vielen arabischen Ländern als Erfindung des Westens abgelehnt. Rodriguez-Dias wird jedoch nicht müde zu betonen, dass es keine Frage der Religion ist, in welchem Maß Homosexualität in einer Gesellschaft akzeptiert wird oder nicht – auch viele Christen würden gleichgeschlechtlichen Sex ablehnen. Auch sei nicht die gesamte islamische Welt homophob; Homosexualität werde aber kaum offen gelebt. Vor allem Frauen seien oft stark eingeschränkt in ihrer sexuellen Selbstbestimmung.
    "Als Frau kann man das Doppelleben nicht führen, aber als Mann eher. Da rede ich natürlich von Ländern, wo vielleicht eine Frau verheiratet wird, und wenn sie lesbisch ist, sie hat schlechte Karten. Weil sie wird in dieser Ehe stecken, vergewaltigt werden. Und wenn als man Mann verheiratet wird, dann wahrscheinlich er wird seine Aufgaben als Ehemann erfüllen und trotzdem weiter sein Leben doppelt führen können als Mann."
    Drakonische Strafen für Homosexualität in manchen Ländern
    In einigen Ländern steht auf Homosexualität die Todesstrafe, wie etwa dem Iran, dem Irak und Teilen Nigerias und Sudans. Seit November 2013 gilt Homosexualität als Asylgrund; Zahlen, wie viele Menschen deswegen schon nach Deutschland gekommen sind, gibt es nicht. Einer von ihnen ist Faris. Auch er möchte auch anonym bleiben. Faris kommt aus dem Libanon, ist Mitte 40 und lebt seit drei Jahren in Deutschland. Obwohl der Libanon als vergleichsweise offener Staat gilt, werden dort Homosexuelle zu Geld- oder Haftstrafen verurteilt. Faris stammt aus einer gutbürgerlichen Familie.
    "Nicht sehr streng, eine tolerante Familie. Sie akzeptiert die Leute aus verschiedenen Religionen, aus verschiedenen Mentalitäten, aber bleibt dieses Thema ein bisschen ein Tabu."
    Das Thema ist seine Homosexualität. Seine Familie weiß bis heute nicht, warum er geflohen ist. Und obwohl er noch guten Kontakt zu ihr hält, will er ihr nicht den wahren Grund verraten, warum er das Land für immer verlassen hat
    "Der Schwule hat immer so ein bisschen Angst. Er lebt ein bisschen unsicher. Besonders in einem Land, wo das verboten ist."
    Einen Freund hatte Faris im Libanon immer nur für kurze Zeit. Lange Beziehungen sind für ihn nicht möglich gewesen, denn das hätte auch bedeutet, ein Doppelleben führen zu müssen.
    "Es gibt keine Freiheit. Das ist auch innerlich. Das ist unerträglich mit der Zeit. Wenn man sehr jung ist, kann man so ein bisschen lockerer leben vielleicht, aber mit der Zeit ist das anstrengend. Man kann nicht das ganze Leben so führen."