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Islamische Theologie
Anspruch und Wirklichkeit

Ein Diskurs über die Religion von vier Millionen Muslimen in Deutschland - dazu soll ein neues Studienfach an den Universitäten beitragen: die Islamische Theologie. Die vier Zentren für Islamische Theologie an deutschen Hochschulen stecken noch in den Kinderschuhen, sehen sich aber schon jetzt mit riesigen Erwartungen konfrontiert. Eine Bestandsaufnahme.

Von Burkhard Schäfers | 22.04.2015
    Mouhanad Khorchide, Leiter Zentrum für Islamische Theologie Münster, vor dem Schloss.
    Mouhanad Khorchide, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie, vor dem Schloss in Münster. (Rolf Vennenbernd / picture alliance / dpa)
    Die Hoffnungen sind groß - gerade nach Anschlägen wie in Paris und immer neuen Schreckensnachrichten über Terrorgruppen im Irak, in Syrien oder Nigeria. Bülent Ucar, Direktor des Instituts für Islamische Theologie der Universität Osnabrück:
    "Die Erwartungshaltungen, die teilweise von Politik und Medien aufgebaut werden, sind einfach nicht zu leisten. Wir sind in der Aufbauphase, noch lange nicht in der Etablierungsphase. Es gibt große Probleme, Konflikte, es gibt auch sehr, sehr viele Vorbehalte von muslimischer wie nichtmuslimischer Seite. Man muss der Islamischen Theologie viel mehr Zeit geben, bis sie sich verfestigt im wissenschaftlichen System."
    Ucar und seine Kollegen sollen am besten alles gleichzeitig tun: Lehren und Forschen, Studienordnungen entwickeln, neue Vorlesungen und Seminare konzipieren, Literatur in deutscher Sprache veröffentlichen.
    Große Erwartungen
    Vergleicht man das Fach mit einem neugeborenen Kind, müsste es eigentlich erst einmal laufen lernen. Allerdings würden manche es am liebsten schon an der weiterführenden Schule anmelden. Und jeder, der etwas zu sagen hat, verfolgt eigene Ziele: Politik, die Unis selbst, die Studierenden und nicht zuletzt die islamischen Verbände, sagt Bülent Ucar:
    "Es ist nicht nur so, dass die Mehrheitsgesellschaft uns sehr kritisch beäugt, sondern auch islamische Institutionen sind sehr kritisch. Man hat Sorgen, dass der Islam im universitären Rahmen hier in Deutschland verflüssigt wird, dass die Grundsätze hybridisiert werden, dass ein zahnloser Euro-Islam durch die Theologen geschaffen werden soll. Ein Staats-Islam, der genehm ist, ein Hof-Islam, der aber nicht mehr authentisch ist."
    Die Beteiligten müssen also einen doppelten Kraftakt leisten: nach innen, in die muslimische Community. Und nach außen, in die sogenannte Mehrheitsgesellschaft.
    "Wir sind noch ganz am Anfang, Wissenschaft funktioniert langsam. Man kann nicht innerhalb weniger Jahre die großen Lösungen der weltweiten Umma von der Islamischen Theologie in Deutschland erwarten."
    Die Umma - der arabische Begriff für die Gemeinschaft der Muslime - sieht sich konfrontiert mit grundsätzlichen Fragen: Welches Gewaltpotenzial steckt in der Religion? Wie steht es um das Verhältnis von Religion und Politik? Wie wörtlich ist der Koran zu verstehen? Die Islamische Theologie sucht nach differenzierten Antworten. Studierende befassen sich etwa mit Koran-Exegese, islamischem Recht, den Propheten und der Ideengeschichte des Islams.
    Interesse bei den Studierenden wächst
    Knapp 1.500 Studierende sind an den Zentren für Islamische Theologie eingeschrieben - Tendenz steigend. Sie können den Bachelor- oder Master-Abschluss machen, im Erweiterungsfach studieren oder auf Lehramt. Die Lehrerausbildung ist derzeit ein Schwerpunkt des Faches. Für viele junge Muslime sei die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Religion neu, sagt Harry Harun Behr, Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Frankfurt.
    "Wer das Fach unterrichten will, der muss es aushalten, dass im Rahmen des akademischen Studiums alles, was für gesichert geglaubt, erklärt wird, auch hinterfragt wird. Ich lupfe so ein bisschen den Tupper-Deckel, das da Luft reinkommt in den Kopf, und man auf den Islam, die eigene Identität aus einer anderen Perspektive, der wissenschaftlichen und der pädagogischen Anwendungsperspektive blickt. Der Islamunterricht in der Schule ist nicht der verlängerte Arm des Koranunterrichts in der Moschee."
    Rund 700.000 muslimische Schüler gibt es in Deutschland, aber nur ein kleiner Teil kann den Islamunterricht besuchen. Denn es fehlen hunderte Lehrer. Rund 2.000 wären nach einer Schätzung des Bundesbildungsministeriums nötig, damit ein flächendeckender Islamunterricht möglich ist. An den Hochschulen gehen sie sogar von höheren Zahlen aus.
    "Da ist also für die nächsten zwei, drei Generationen Entwicklungsbedarf da - und Arbeitsplätze."
    Weitere Arbeitsfelder für muslimische Theologen: Wohlfahrtsverbände etwa, oder die Wissenschaft oder Moschee-Gemeinden. Viele wünschen sich, dass aus der Islamischen Theologie die künftigen Imame hervorgehen. Deutschsprachige Religionsgelehrte ersetzen Hassprediger - so ein verbreiteter Wunsch. Doch das sei nicht die Aufgabe der Hochschulen, stellt der Osnabrücker Professor Bülent Ucar klar:
    "Das ist ein Missverständnis. Ich weiß, dass das medial gut ankommt, wenn man sagt, die Universitäten bilden jetzt Imame aus. Aber de facto bilden die Unis ja auch keine Pfarrer aus, sondern lediglich katholische, evangelische, jüdische oder orthodoxe Theologen. Und diese Theologen bekommen dann eine Fachausbildung, das nennt sich dann Vikariat oder Priesterseminar oder auch ein Rabbiner-Seminar."
    Dieses Pendant fehlt im Islam bislang. Zwar gibt es einzelne Akademien der muslimischen Verbände, aber keine Verzahnung mit den Hochschulen.
    Für Toleranz, gegen Gewalt
    Harry Behr aus Frankfurt sieht noch ein anderes Problem: Längst nicht alle seien für das Studium geeignet. Deshalb fordert er härtere Auswahlkriterien und strengere Prüfungen. Denn manche der Studierenden seien kaum bereit, sich mit verschiedenen Sichtweisen auseinanderzusetzen.
    "Sehr viele betrachten das so ein bisschen als einen Zulieferbetrieb mit akademischem Abschluss für die Dinge, die sie sowieso schon glauben. Es gibt tatsächlich Studierende, die während eines Seminars die Ohrstöpsel im Ohr haben und Koransuren hören, damit sie nicht hören müssen, was diskutiert wird. Die sagen mir ganz kaltschnäuzig ins Gesicht: Ich hole mir hier meinen Schein ab, aber das, was ihr hier lehrt, das teile ich nicht."
    Der islamische Religionspädagoge Harry Behr will das Fach in eine andere Richtung entwickeln als diese Studierenden - und er ist ein Mann der klaren Worte:
    "Was es braucht, ist eine dezidierte, theologisch formulierte Position für Toleranz, gegen Gewalt, gegen die Todesstrafe. Wenn man mit Moschee-Imamen diskutiert - eigentlich sind wir für die Todesstrafe, das steht ja im Koran - dann kommt man an den Punkt, wo man über die Theologie mit den Leuten streiten muss, wie wörtlich oder wie sinnorientiert sie beispielsweise den Koran auslegen."
    Und es gibt weiteres Konfliktpotenzial. Das hängt mit der Struktur des Islams zusammen: Zwar existieren in Deutschland vier große Dachverbände und mehrere kleine Organisationen, sie repräsentieren aber gerade einmal zehn bis 20 Prozent der Muslime.
    Wer entscheidet über Inhalte?
    Wer also legt die Inhalte der Islamischen Theologie fest, für die nicht der Staat, sondern die Religionsgemeinschaft verantwortlich ist? Wer wirkt seitens der Muslime an der Berufung von Professoren mit?
    Dafür wurde ein Hilfskonstrukt geschaffen: so genannte Beiräte, in denen vor allem Vertreter aus den Verbänden sitzen. Manchen sind diese Beiräte ein Dorn im Auge. Bekir Alboga rechtfertigt das Verfahren. Er ist Generalsekretär von DITIB, dem Dachverband der türkisch-islamischen Moscheegemeinden:
    "Es geht ja um die Theologie. Und die Inhalte des Theologiestudiums, auch die Ernennung der Lehrstuhlinhaber, werden ja mit den katholischen und evangelischen Kirchen abgestimmt. Was wäre falsch, wenn man auch diese ganzen Inhalte und Lehrstuhlinhaber mit uns abstimmt?"
    Dieses Prozedere hat an der Universität Münster nicht funktioniert: Dort tobte ein Streit zwischen Mouhanad Khorchide, dem Leiter des Zentrums für Islamische Theologie, und dem Beirat. Vertreter der Verbände sprachen Khorchide ab, islamische Lehren zu vertreten. Die Verbände argumentieren, sie wollten lediglich die Qualität von Forschung und Lehre sichern. Kritiker halten ihnen entgegen, sie würden zu viel Einfluss auf die Lehrinhalte nehmen.
    Die Islamische Theologie sucht ihren Platz im deutschen Wissenschaftsbetrieb, in der Gesellschaft und bei den Muslimen. Sie gilt einerseits als Prestige-Projekt, ist aber doch eine Art ungeliebtes Stiefkind: eigenwillig, sperrig, manchmal vielleicht frühpubertär.
    Vieles deutet darauf hin, dass der Bund die Standorte der Islamischen Theologie in einer zweiten Runde noch einmal fördert. Allen Widrigkeiten zum Trotz.