Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Islamischer Philosoph
Muhammad Iqbal und seine mystische Dichtung

Muhammad Iqbal (1877-1938) zählt zu den bedeutendsten islamischen Philosophen der Neuzeit. Die meisten seiner Schriften sind in persischer Sprache verfasst. Sein Ziel war es, die Solidarität zwischen den verschiedenen muslimischen Gruppen zu stärken. Er gilt heute als der geistige Vater Pakistans, dessen Gründung er allerdings nicht mehr erlebte.

Von Horst Blümel | 30.09.2014
    Eine Kinderhand hält eine Lampe vor der pakistanischen Flagge.
    Mit der Gründung Pakistans wurde Iqbals Vorstellung von einem muslimischen Staat 1947 Wirklichkeit. (dpa / Shahzaib Akber)
    "O Gott, hör einmal nur den Schrei der Treusten, Besten!
    Gewöhnt an Lobgesang, lausch einmal den Protesten! ...
    Doch all die Fremden trifft so reichlich Dein Erbarmen,
    Und Deines Zornes Blitz die Muslims nur, die armen!"
    "Muhammad Iqbal war einer der wichtigsten islamischen Denker des 20. Jahrhunderts. Er war ein facettenreicher Philosoph, Dichter und Theologe. Iqbal war mit den islamischen Denktraditionen, aber auch mit der westlichen Kultur- und Geisteswelt, bestens vertraut."
    Sagt der Islamwissenschaftler Prof. Ahmad Karimi von der Universität Münster. Der in Indien geborene Muhammad Iqbal lebte von 1877 bis 1938. Im englischen Cambridge studierte er Jura und Philosophie, danach vertiefte er seine Studien in Heidelberg und München.
    Einer der wichtigsten islamischen Denker
    Iqbal beschäftigte sich unter anderem mit den Philosophen Kant und Nietzsche, aber der französische Denker Henri Bergson beeinflusste Iqbals Philosophie am deutlichsten. Genau wie Bergson sah Iqbal in allem Lebendigen eine schöpferische Kraft. Der Mensch war für ihn der Gestalter der Welt. Dies kommt immer wieder in seinen Gedichten zum Ausdruck.
    "Du schufst die Nacht, doch ich der Lampe Glanz;
    Du schufst den Ton, ich den Pokal zum Tanz;
    Du schufst die Wüsten, Steppen, Berge ganz-
    Ich die Alleen und der Gärten Kranz..."
    Nach seiner Rückkehr aus Europa veränderten sich Iqbals Gedichte. Die westlichen Eindrücke zeigten sich deutlich in seinem weiteren Schaffen. Johann Wolfgang von Goethe hatte ihn tief beeindruckt. 1924 erschien Iqbals Gedichtband "Botschaft des Ostens". Dies war die Antwort des Poeten auf Goethes "West-Östlichen Diwan". In den Gedichten verwendet Iqbal bereits bekannte Symbole – der Falke steht für den freien Menschen, der nicht um die Hilfe anderer bittet. Und der Glühwurm symbolisiert den Menschen, der aus eigener Kraft erstrahlt.
    "Ich hörte einst, wie sich der Glühwurm rühmte:
    Bin kein Insekt, das dich zum Klagen sticht!
    Ich brenne, ohne anderer zu bedürfen -
    Dass ich vom Stamme der Falter sei, denk nicht.
    Sind Nächte dunkler als Gazellenaugen,
    Entzünd' ich mich, bin selbst mein Wegeslicht!"
    Eines Tages hatte Iqbal eine Vision
    Wie viele religiös orientierte Dichter vor ihm wählte auch Iqbal den persischen Dichter Dschalaladdin Rumi als seinen mystischen Begleiter.
    "Rumi war eine sehr prägende Gestalt für Muhammad Iqbal. Der Gedanke, dass unsere Heimat nicht hier in einem geografischen Raum ist, ist zutiefst von Rumi beeinflusst. Rumi ist derjenige, der sagt: 'Du musst dein Haus, deine Familie und deine Nation verlassen. Denn das, was dann bleibt, ist Chudi, das Selbst. Insofern ist Rumi für ihn auf der mystischen Ebene unglaublich stark."
    Eines Tages hatte Iqbal eine Vision. Darin trug Rumi ihm auf, seine Gedanken in Persisch aufzuschreiben, damit diese von einem breitem Publikum verstanden würden. Er verfasste daraufhin die "Geheimnisse des Selbst".
    Nach deren Veröffentlichung war die Empörung groß. Iqbal übte in den Gedichten Kritik an der bisherigen persischen Lyrik, die stark von dem Dichter Hafiz beeinflusst war. Außerdem betonte er das Individuum, das eigene Selbst sollte gestärkt werden.
    "Das Selbst besitzt sein Sein durch Gottes Sein,
    Das Selbst erscheinet nur durch Gottes Schein.
    Ich weiß nicht – wenn der Ozean nicht wäre,
    Wo würde dann die Perle leuchtend sein?"
    Das Hervorheben des Ego stellte die Traditionen der Mystiker in Frage. Ein Ziel der Mystiker war es doch gerade, das eigene Ich aufzugeben und so die Einheit mit Gott zu erlangen. Als ein tiefgläubiger Muslim hielt Iqbal seine Glaubensbrüder immer wieder dazu an, sich am Leben des Propheten zu orientieren. So soll der spirituelle Muslim die Gemeinschaft suchen, Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen und sich für das Gute einsetzen. Aber immer wieder kritisierte Iqbal die Lethargie und Schwäche der Muslime.
    "Zu schwer für euch ist ja
    das morgendliche Beten!
    Ihr schliefet lieber noch,
    als früh vor Mich zu treten!
    Zu hart das Fasten euch
    Verwöhnten und Verdrehten -
    Sagt selbst: nennt ihr das wohl
    'den Glauben treu vertreten'?"
    Mekka als gemeinsame Heimat der Muslime
    Trotz aller Kritik an seinen Glaubensbrüdern versuchte der Philosoph zeitlebens, die Muslime der verschiedenen Glaubensrichtungen zu einer Gemeinschaft zusammenzuführen. Für ihn spielte es dabei keine Rolle, ob ein Muslim aus dem Iran oder der Türkei kam oder welche Hautfarbe er hatte. Wichtig war für ihn, dass jeder seiner Glaubensbrüder sich nach Mekka orientieren sollte - der gemeinsamen Heimat der Muslime.
    Iqbal sah sich dabei als "Glocke am Kamel des Propheten", die den verirrten Muslimen den rechten Weg weisen sollte.
    "Du bist nicht frei vom Band von Lehm und Wasser,
    Du sagst: 'Ich bin ein Grieche, ein Afghane!'
    Ich bin erst Mensch, ganz ohne Duft und Farbe;
    Erst dann werd ich ein Inder, ein Turane."
    Muhammad Iqbal schrieb nicht nur Gedichte, sondern er hielt auch Vorträge. Berühmt geworden sind die sechs Vorlesungen über die "Wiederherstellung des religiösen Denkens im Islam", die er an indischen Universitäten hielt. Außerdem war Iqbal ein engagierter Politiker. Er gehörte unter anderem der "All India Muslim League" an, einer Vertretung indischer Muslime. Der politische Einfluss der Muslime in Indien wurde Anfang des 20. Jahrhunderts immer schwächer – dies beobachtete Iqbal mit wachsender Sorge. 1930 stellte er in einer Rede die Idee eines muslimischen Staates im Nordwesten Indiens vor:
    "Ich möchte den Pandschab, die nordwestliche Grenzprovinz, Sind und Balochistan in einem einzigen Staat zusammengeschmolzen sehen. Selbstregierung innerhalb oder außerhalb des Britischen Empire, die Bildung eines konsolidierten nordwest-indischen muslimischen Staates scheint mir die endliche Bestimmung der Muslime, zumindest derer in Nordwest-Indien, zu sein."
    Mit der Gründung Pakistans wurde Iqbals Vorstellung von einem muslimischen Staat 1947 Wirklichkeit. Obwohl Muhammad Iqbal zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben war, betrachtet man ihn als den eigentlichen Staatsgründer Pakistans.