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Islamisches Leben in Berlin

Eine neue Broschüre des Berliner Senats gibt einen Überblick über das islamische Leben der Stadt. Erstellt haben ihn zwei Forscherinnen, die Mitglieder von 80 in Vereinen organisierten Moscheegemeinden über ihr religiöses und soziales Leben befragt haben. Ganz von null mussten die beiden Wissenschaftlerinnen mit ihrer Untersuchung nicht beginnen: Schon 1999 hatte der Senat eine ähnliche Studie in Auftrag gegeben, auf deren Grundlage nun weiter geforscht werden konnte.

Von Eva-Maria Götz |
    Alexa Färber, Islamwissenschaftlerin und Mitarbeiterin am Institut für europäische Ethnologie der Humboldt Universität Berlin, sagt:

    " Uns war wichtig, dass wir einen guten Überblick über die Landschaft der islamischen Vereine in Berlin bekommen und haben deswegen vor allem die Neugegründeten und nicht in Verbänden... organisierten Vereine befragt, wir haben uns bewusst dafür entschieden, weil wir einen guten Zugang und Überblick über die verbandlich organisierten Verein haben... der Schwerpunkt der Umfrage lag auf den nicht verbandlich organisierten. "

    Zu 80 in Vereinen organisierten Moscheegemeinden hat sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Riem Spielhaus Kontakt aufgenommen und die Gemeindemitglieder über ihr vielfältiges religiöses und soziales Leben befragt. Ganz von null mussten die beiden Wissenschaftlerinnen mit ihrer Untersuchung nicht beginnen: schon 1999 hatte der Senat eine ähnliche Studie in Auftrag gegeben, auf deren Grundlage nun weiter geforscht werden konnte.

    Günter Piening, Beauftragter des Berliner Senats für Integration und Migration:

    " Es ist zum ersten Mal in einer deutschen Großstadt, dass wir eine Längsschnittuntersuchung haben, dass wir einen Vergleich haben zwischen der Zeit von vor acht Jahren und heute und in diesen acht Jahren hat sich doch eine gewaltige Veränderung ergeben. Die Ergebnisse vor acht Jahren waren ja, dass man doch sehr isolierte abgeschlossene Gemeinden vorgefunden hat, die ein Leben jenseits des Berliner Alltags lebten, die kaum Verschränkungen in die Nachbarschaft hinein hatten. Welche gewaltigen Veränderungen es gegeben hat, dass war für mich unterm Strich überraschend. "

    Drei Schwerpunkte setzten die Autorinnen bei ihrer Untersuchung. Sie fragten nach der Bedeutung von islamischer Religion für die Bürger, nach der Vielfalt religiöser Praxis und nach ihrer Präsenz im städtischen Leben. Wichtig war den Autorinnen, Veränderungen aufzuspüren, die sich in den letzten acht Jahren entwickelt haben. Alexa Färber:

    " Da sind schon Themen dazu gekommen und wenn's ich's richtig überlege, dann sind das eigentlich Themen, die mit der neuen Generation, der Folgegeneration muslimischer Gläubiger zu tun hat, dann auch die Frage der Imame war in der letzten Studie nicht so präsent, weil das in den Gemeinden anders diskutiert wird als früher. Der Koranunterricht ist neu als Thema dazugekommen. "

    Riem Spielhaus, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Asien- und Afrikaforschung der Humboldt- Universität, nennt außerdem den Moscheebaukonflikt:

    " Heute stellen sich die Fragen: wie geht man mit Moscheebaukonflikten in einer Stadt wie Berlin um. "

    Konflikte und lautstarke Proteste von Seiten der nicht- muslimischen Nachbarschaft bei Moscheebauvorhaben resultieren, so eine weit verbreitete Meinung, oft aus dem mangelnden Wissen darüber, was eigentlich hinter den Mauern der Moschee passiert und wie genau die Muslime ihre Religion praktizieren. In Berlin haben mehr als die Hälfte der angefragten Gemeinden auf diese Unsicherheit reagiert, indem sie versuchen, ihre Arbeit und ihre Inhalte stärker als bisher zu vermitteln.

    Für alle Beteiligten war dies die größte Überraschung bei dieser Untersuchung, so Spielhaus:

    " Viele Gemeindemitglieder haben sich darauf bezogen, dass sie sich in einer anderen Situation fühlen seit dem 11. September oder was danach passiert ist und sie haben das einfach wahrgenommen, dass es ein Bedürfnis gibt, darüber was zu erfahren in der Öffentlichkeit, was in den Moscheen los ist, so dass sie sehr offen waren, dass auch zu zeigen und auch stolz zum Teil zu zeigen, wie schön sie ihre Moschee in ihren Feierabendsstunden hergerichtet haben und man stolz ist auch darüber, was man alles leistet und das ist wirklich eine Wahrnehmung, die sich auch in den Gemeinden verändert hat. Vor acht, neun Jahren haben die Gemeinden sich noch nicht als Teil dieser Gesellschaft wahrgenommen, die auch ein Beitrag in dieser Gesellschaft leisten. "

    Die sich meist in Hinterhöfen, Ladenlokalen, Wohnungen oder Gewerbegebieten befindenden Berliner Moscheen sind nach Angabe der Autorinnen offen, können besucht und besichtigt werden, mit ihren Vertretern kann man reden und sich über das religiöse und soziale Angebot informieren. Das die Außendarstellung vieler Moscheevereine sich verändert hat, liegt aber auch daran, dass zunehmend jüngere, gut ausgebildete und sprachkundige Mitglieder in den Gemeinden aktiv werden. Günter Piening:
    " Man sieht, dass in den letzten Jahren eine jüngere Generation herangewachsen ist, die sich dieser Herausforderung stellt und die es auch kann von ihren intellektuellen Kompetenzen her. Man darf ja nicht vergessen: der Islam in der Bundesrepublik ist ein Islam der ländlichen Regionen gewesen, es ist ein Islam auch der Armut gewesen, dass wir überhaupt mal wieder eine islamisch geprägte Mittelschicht haben ist ja eine neuere Entwicklung. "

    Spielhaus:
    " Die Generation der hier Aufgewachsenen sehen sich in Deutschland verankert, suchen nach einem Weg den Islam und das Deutschsein in Einklang zu bringen und in Einklang zu sehen und wollen dann auch so wahrgenommen werden. "

    Was die öffentliche Wahrnehmung der muslimischen Religionsgemeinden jedoch wieder erschwert, ist die Tatsache, dass sie keinen Generalvertretung haben. Jede Gemeinde mit mindestens sieben Mitgliedern steht für sich und die Ausdifferenzierung nimmt zu. Spielhaus:

    " In den letzten acht Jahren hat es eine Pluralisierung gegeben und das macht diese Vertretungsebene so schwierig. Es gibt eine Pluralisierung zum einen durch neu nach Berlin gekommene Migranten vor allem aus dem arabischen Bereich, aus dem Libanon, aus palästinensischen gebieten und aus Bosnien. Das heißt, es gab Neugründungen von arabischen und bosnischen Moscheen und es gab Neugründungen von religiösen differenzierten Mosche, das heißt von schiitischen, von suffitischen Moscheegemeinden, die sind eine zu dem Spektrum dazugekommen und die sind schwierig einzufügen in die gewachsenen Strukturen, die ja im Prinzip auch erst seit 20 Jahren gewachsen sind. "

    Ebenfalls neu ist, dass es erste deutschsprachige Gemeinden gibt. Eines aber hat sich in den letzten Jahren nicht verändert: in Sachen Islamische Religionsgemeinschaften ist Berlin immer noch eine geteilte Stadt: im Westen gibt es mehr als 80 Gebetsräume und drei repräsentative Moscheebauten, im Osten dagegen nur einen Gebetsraum, eine Moschee befindet sich im Bau. Obwohl die Anzahl im Ostteil der Stadt arbeitender und wohnender Muslime stark zugenommen hat, fahren zum Beten alle in den Westen. Spielhaus:

    " Das ist uns zum Ende der Studie aufgefallen, als wir das alles noch mal visualisiert haben und im Prinzip ist das eine Frage, mit der wir uns in die nächste Forschung stürzen werden. "