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Islamistische Attentate
"Der Terrorismus hat enorm von der Pandemie profitiert"

Europa wurde jüngst von mehreren islamistische Anschlägen erschüttert. Doch warum gerade jetzt diese verstärkten Aktivitäten? Der CSU-Auslandsverband in Brüssel hat Islamismus-Fachleute eingeladen, um zu fragen: Gibt es einen Zusammenhang von Terror und Corona-Pandemie?

Von Thomas Klatt | 27.11.2020
Gedenken an den Terroranschlag am 5.11.2020 in der Wiener Innenstadt, bei dem vier Menschen gestorben sind und mehr als 20 verletzt wurden
Gedenken an die Opfer des islamistischen Terroranschlags in der Wiener Innenstadt (imago images / Kyodo News)
Der Münsteraner Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide beobachtet einen Strategiewechsel in islamistischen Kreisen: "Drei Sachen haben sich geändert in der Strategie. Erstens: Man erkennt nach außen demokratische Grundprinzipien, man erkennt Regierungen an, nach außen, nicht nach innen. Pragmatisch, um zum Ziel zu kommen. Zweitens: Man verzichtet auf die Rhetorik der Gewalt. Und drittens: Kaum ein Muslimbruder wird in Europa sagen: Hallo, ich bin Muslimbruder."
Temporärer Verzicht
Khorchide ist seit kurzem auch wissenschaftlicher Leiter der Dokumentationsstelle politischer Islam in Österreich. Schon in den 1980er- und 90er-Jahren seien Muslimbrüder aus Ägypten verstärkt nach Europa eingewandert. Ihr Ziel sei die Islamisierung der Gesellschaft. Das könne man aktuell etwa auf Homepages von Moscheegemeinden lesen, die der Idee der Islamisierung nahe stünden. Wenn es beispielsweise um Körperstrafen im Koran gehe, etwa Handabhacken oder Enthauptungen.
"Dann schreiben sie nicht, dass diese nicht gelten oder im historischen Kontext des 7. Jahrhunderts zu verorten sind. Sondern sie sagen: Wenn wir eine Minderheit sind in einer Gesellschaft, dann folgen wir den Gesetzen des Staates. Nur ein islamischer Staat darf diese Körperstrafen in die Praxis umsetzen. Das heißt: Sie werden temporär auf die Seite gelegt, bis man die Mehrheit hat, bis man die Gesellschaft soweit geändert hat."
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Bis dahin werde von Kreisen, die den Muslimbrüdern nahestehen, eine Strategie der scheinbaren Anpassung betrieben. Das solle vor allem junge Muslime ansprechen: "Europa ist das Feindbild. Integriert euch, im Bildungssystem, auf dem Arbeitsmarkt. Aber nicht, wenn es um die Integration im Sinne der Identität geht. Damit man das System von innen unterwandert."
Lebensraum online
Das beobachtet auch Rechtsanwältin Seyran Ateş, Mitbegründerin der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin. Der Lockdown sei eine Art Katalysator für die Werbeaktivitäten der Radikalen. Jetzt in der Corona-Pandemie werde das Internet vor allem für Jugendliche zum bestimmenden Lebensraum. Und das werde von Islamisten gekonnt ausgenutzt:
"Ein weiterer Faktor ist die politische Marginalisierung von jungen Menschen. Dass die Jugend sich vernachlässigt und von politischen Führern auch getäuscht fühlt. Vor allem jetzt in der isolierten Zeit sind Online-Bilder, Instagram-Bilder und Chatrooms und religiöse Fernsehsender aus verschiedensten islamischen Ländern zu wichtigen Komponenten in diesen modernen Radikalisierungsprozess geworden."
Seyran Ates, Gründerin der Ibn Rushd-Goethe Moschee in Berlin
Seyran Ates, Gründerin der Ibn Rushd-Goethe Moschee in Berlin (dpa-Bildfunk / Bernd von Jutrczenka)
Die Kontaktbeschränkungen in der Pandemie machten es Propagandisten im Internet leicht, mehr Einfluss zu gewinnen. Zudem werde die Pandemie selbst ideologisch ausgeschlachtet. Denn das Coronavirus sei verursacht worden durch "die Dekadenz des Westens. Die COVID-19-Pandemie sei ja eine Strafe Gottes dafür, dass der Westen so dekadent wäre. Einer unserer Imame hat in einer Schule von Schülern gehört, dass die Pandemie eine Strafe wäre, weil China sich zu den Uiguren so schlecht verhalten habe", sagt Seyran Ateş.
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Fehlende Schutzorte
Susanne Schröter, Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam beobachtet, dass in der Pandemie vor allem in traditionellen Familien mehr Druck ausgeübt werde:
"Ich leite in Hessen im Justizministerium eine Arbeitsgruppe zu Ehrgewalt. Da ist sehr klar: Die Schutzeinrichtungen können nicht mehr so viele Personen aufnehmen. Die Jugendzentren sind entweder zu oder beschränkt in Hinsicht auf die Teilnehmer. Das heißt, die Frauen, Mädchen und Jugendlichen werden auf ihre Familien zurückgeworfen und die Fluchtorte, die sie hatten, die sind ihnen jetzt mehrheitlich genommen."
Zudem wurde in der Pandemie in mehr als hundert Gemeinden der öffentliche Muezzin-Ruf erlaubt. Das werde von einigen Muslimen als Sieg und beginnende Islamisierung Deutschlands gefeiert.
Susanne Schröter kommt in das Veranstaltungsgebäude an der Goethe-Universität.
Die Ethnologin Susanne Schröter (picture alliance / dpa / Boris Roessler)
Islamistische Kreise gewännen so schneller Oberwasser, befürchtet Susanne Schröter. Zudem beherrsche die Pandemie die öffentliche Wahrnehmung. Der islamistische Terror sei nicht mehr Top-Thema. Saïda Keller-Messhali aus Zürich ist Präsidentin des "Forum für einen fortschrittlichen Islam":
"Ich habe das Gefühl, dass der Terrorismus von der Pandemie enorm profitiert hat, weil unsere Aufmerksamkeit ganz dem COVID oder Corona gewidmet ist. Es vergeht kein Tag, an dem nicht alle Zeitungen, alle Sender überall nur von der Pandemie sprechen. Dass die europäische Öffentlichkeit sich in einer falschen Sicherheit wähnt und meint der IS sei verschwunden."
Im Gegenteil sei derzeit ein Wiedererstarken des Islamischen Staates IS im Irak und Syrien zu beobachten. In Deutschland wie in ganz Europa müsse man daher wachsamer sein. Es gebe einen schleichenden Prozess der Unterwanderung, der durch COVID-19 noch verstärkt werde. In Frankreich habe die Radikalisierung schon erhebliche Folgen, warnt Susanne Schröter.
"Dass Lehrerinnen nicht akzeptiert werden. Dass bestimmte Lehrstoffinhalte nicht mehr unterrichtet werden können. Die Shoah, der Nahostkonflikt, die Evolutionstheorie. 150 Kommunen sind weitgehend in der Hand von Islamisten. Da findet kein normaler Schulunterricht mehr statt. Da sind die Frauen nicht mehr auf der Straße. Da lebt man nach der Scharia."