Donnerstag, 28. März 2024

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Island-Muschel
Leben in Zeitlupe

Die älteste Island-Muschel ist mindestens 500 Jahre alt. Max-Planck-Forscher beschäftigen sich mit diesem Tier, um mehr über ihr Altern zu erfahren. Die Lebenspanne der Muschel unterscheidet sich drastisch je nachdem, ob sie in der Ostsee oder im kalten Nordatlantik lebt.

Von Volker Mrasek | 08.09.2016
    Island-Muschel an einem Strand von Deutschland.
    Erstaunlich ist, dass die Island-Muschel nie aufhört zu wachsen. (imago/blickwinkel)
    Der Nordatlantik rund um Island. Nicht gerade eine verlockende Region. Das Meer ungemütlich und kalt. Aber: "Irgendwas gibt's da, was einen wahnsinnig alt macht." Die beiden Methusaleme der Meere leben dort. Alexander Scheuerlein kennt sie beide. Da ist zum einen der bis zu acht Meter lange Eis- oder Grönland-Hai. Schon er lebt unfassbar lange: "Da haben sie jetzt welche gefunden, die bis zu 400 Jahre alt werden."
    Doch selbst das wird noch übertroffen - von Arctica islandica, der Island-Muschel: "Arctica islandica ist das älteste, nicht-koloniale Tier, das es gibt auf der Welt." Also die langlebigste Art, die man kennt und die keine Kolonien bildet wie zum Beispiel Korallen.
    "Die Älteste ist jetzt 500 plus Jahre alt. Es ist durchaus vorstellbar: Wenn man noch länger sucht, findet man sicher noch Ältere."
    Muscheln aus rund 600 Metern Tiefe
    Scheuerlein und sein Kollege Ralf Schaible waren in Island. Dort fischten die beiden Biologen vom Max-Planck-Institut für Demografische Forschung in Rostock rund 600 der Muscheln aus dem Meer. Doch nicht, um vielleicht noch ältere Exemplare zu erwischen und sich mit Ruhm zu schmücken. Sondern um sie mit Artgenossen in der Ostsee zu vergleichen. Denn auch dort gibt es Bestände der Island-Muschel. Hier untersuchten die Forscher noch einmal 700 Tiere.
    Wie Ralf Schaible jetzt in Marburg berichtete, wachsen die Tiere in beiden Meeresregionen zunächst gleichermaßen schnell. Vermutlich, damit ihre Schalen rasch so groß und hart werden, dass Seesterne sie nicht mehr knacken können. Nur: In der Ostsee kommen die Muscheln anschließend kaum über das Teenager-Alter hinaus.
    "Ganz extrem ist die maximale Lebensspanne. Dort haben wir ganz klare Unterschiede in den Populationen. Also, unsere Studie zeigt: Die maximale Lebenspanne in der Island-Population ist 236 Jahre, in der Ostsee nur 36 Jahre. Das sind 200 Jahre Unterschied."
    Die Ostsee ist ein sehr launisches Meer. Temperatur und Salzgehalt schwanken ständig. Und auch der Gehalt von Kalziumkarbonat im Wasser, dem Baumaterial von Muschelschalen.
    "Und dementsprechend dann, wenn's eigentlich da sein sollte, also wenn die Muschel wachsen möchte, vielleicht nicht ausreichend vorhanden ist. Und dann die Muschel nicht so dick oder so gut gebaut werden kann, dass sie dann auch wirklich hält."
    Ganz anders die Umweltbedingungen im Nordatlantik vor Island, wo die Muscheln zeit ihres Lebens auf dem sandigen Meeresgrund hocken und von Algen leben, die sie aus dem Wasser filtrieren.
    "Dort, wo sie leben, scheint alles sehr konstant zu sein. Und das scheint relevant zu sein, um alt zu werden und auch sehr alt zu werden. Wenn die dort leben und sich gut angepasst haben in der Evolution an diese Bedingungen, dann ist das lange Leben, solange nichts passiert, möglich."
    Von einem Leben in Zeitlupe spricht auch Alexander Scheuerlein:
    "Es gibt ja diesen Eis-Hai, der in den gleichen Gefilden lebt. Die leben bei sehr niedrigen Temperaturen. Die Stoffwechselrate ist sehr niedrig. Die Saisonalität in den Lebensräumen ist wahrscheinlich ziemlich konstant. Gerade in diesen Niedrigtemperatur-Lebensräumen gibt es Organismen, die sehr alt werden."
    Keine üblichen Anzeichen von Altersschwäche
    Erstaunlich ist, dass die Island-Muschel nie aufhört zu wachsen. Und dass sie dennoch nicht die üblichen Anzeichen von Altersschwäche zeigt. Ralf Schaible konnte jedenfalls keine entdecken, als er auf molekularer Ebene nach genetischen Mutationen und anderen Zellschädigungen bei den Tieren suchte:
    "Man denkt, da muss sich doch irgendwo etwas ansammeln! Aber bisher, muss ich sagen, haben wir - zumindest in Island in den Individuen - mit all unseren Altersmarkern keinen so richtigen Marker gefunden, der uns sagt: Das ist es, das könnte das Altern bedeuten!"
    Der Methusalem der Meere bleibt also weiter rätselhaft. Aber eines lehrt er uns: In der Ruhe liegt die Lebenskraft. Daher auch Ralf Schaibles Empfehlung:
    "Vielleicht das Leben mehr relaxter zu betrachten. Schließlich lebt dieser Organismus in einem sehr langweiligen Habitat, hat ein sehr langweiliges Leben. Und vielleicht sollte man als Mensch nicht alles so ernst nehmen, was um einen passiert. Dann ist es vielleicht möglich, dass man einfach ohne viel Aufwand länger leben kann."