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Isonzo-Front in Italien
Grab der Jugend, Friedhof der Bataillone

Während des Ersten Weltkriegs bekämpften entlang des Isonzo italienische Soldaten die Truppen der Mittelmächte. Noch immer sind die Schlachten in der Region Friaul-Julisch Venetien allgegenwärtig. Aber heute sind die Gräber der Jugend zu besten Weinlagen geworden.

Von Manfred E. Schuchmann | 18.10.2015
    Presente - Angetreten! steht über den Namenstafeln der Gefallenen. Ein letzter makabrer Appell der Toten des Ersten Weltkriegs an der Isonzo-Front. Propagandistisch in Dienst genommen von Benito Mussolini, der entlang der großen Kriegsschauplätze von 1915 bis 1917 eine Kette pathetischer Gedenkstätten errichten ließ.
    Presente - Angetreten! steht über den Namenstafeln der Gefallenen. Ein letzter makabrer Appell der Toten des Ersten Weltkriegs an der Isonzo-Front. (Manfred Schuchmann)
    Eine gigantische Stufenanlage hat Benito Mussolini in die Felsen des Karsts bei Redipuglia hauen lassen, 22 Plattformen aus hellgrauem Stein, eine über die andere geschichtet, breiter als ein Fußballfeld und zu beiden Seiten von dunklen Zypressen flankiert. Drei Kreuze überragen den Abschluss dieser Riesen-Treppe, von der ich weit hinaussehen kann in die dunstige Ebene des unteren Friaul, bis hinüber zum spitzen Campanile der Basilika von Aquileia. Diese Anhöhe kontrollierte im Ersten Weltkrieg den Zugang nach Triest, der wichtigsten Hafenstadt der österreich-ungarischen Doppelmonarchie. Abertausende verloren in den Kämpfen um Redipuglia ihr Leben.
    "Il Silenzio" tönt aus den Lautsprechern, der italienische Zapfenstreich. Unten, am Fuße des Monuments, wehen zwei riesige italienische Trikoloren im Wind - Grün und Weiß und Rot. "Il Silenzio" erklingt an jedem Tag des Jahres, Punkt 17 Uhr. Zu Zeiten Mussolinis hielten sogar die Schnellzüge nach Triest auf der Strecke bei Redipuglia für eine Schweigeminute an - zum Gedenken an die Gefallenen der Isonzo-Schlachten der Grande Guerra, des Großen Krieges, die hier begraben liegen. Der Isonzo durchfließt des östliche Friaul, jene Region, die an Slowenien und Kärnten grenzt, und mündet nur wenige Kilometer entfernt von Redipuglia in die Adria.
    "Diese riesige Stufenanlage gehört zum größten Militärfriedhof nicht nur in Italien, sondern in ganz Europa. Sie birgt die sterblichen Überreste von über einhundert Tausend italienischen Soldaten - im Kampf gefallen bis zum Ende des Krieges."
    Ein italienisches Verdun
    Fabio Pascolutti ist pensionierter Lehrer und passionierter Militärhistoriker aus der Gemeinde Fogliano-Redipuglia. Jeder Quadratmeter Boden seiner Heimat war zwischen dem Juni 1915 und dem Herbst 1917 blutig umkämpft - ein wahnsinniger Stellungskrieg, ein italienisches Verdun. Fabio Pascolutti begleitet mich zu den immer noch sichtbaren Schützengräben des Kriegs im Karst, hinauf zum Dorf San Martino del Carso, das in Italien nahezu jeder Schüler kennt, und natürlich hier, am Sacrario di Redipuglia, dem gewaltigen Toten-Ehrenmal.
    "Alle Gefallenen kommen von den Schlachtfeldern dieser Gegend und aus Triest, wo Lazarette für Verwundete und Seuchen-Infizierte eingerichtet waren. 1938 wurden sie hierher überführt. Zwei Jahre Bauzeit hat das Mahnmal gebraucht: ein sehr eindringliches, symbolisches Bild - die drei Kreuze sollen natürlich an Golgatha erinnern. Am Anfang der Schlacht musste der italienische Soldat von hier unten losrennen und diesen Hügel hinauf. Und dort lief er genau in die Stacheldrahtverhaue und das feindliche Feuer der Maschinengewehre."
    Tausende und abertausende Namen sind an den Wänden der Giganten-Stufen zu lesen, alphabetisch geordnet: Soldat Baldassini, Ernesto; Soldat Baldelli, Giovanni; Gefreiter Baldieri, Arturo; Korporal Baldini, Attilio. Doch von über 60.000 ihrer Kameraden, die mit ihnen hier die letzte Ruhe gefunden haben, blieb kein Name, blieb nichts zu identifizieren - 60.000 unbekannte Tote! Und über ihnen allen ist vielhundertfach in übergroßen Lettern das Wort Presente in den Stein gemeißelt - Presente heißt beim italienischen Militär Angetreten. Es ist ein makabrer letzter Appell der Toten.
    "Ja, das gilt heute noch. Beim Appell, wenn die Namen der Soldaten aufgerufen werden, melden sie sich korrekt mit ‚Presente' und salutieren."
    Indienstnahme der Toten durch das Mussolini-Regime
    Fabio Pascolutti zeigt mir die erhaltenen italienischen Schützengräben am Fuß des Sacrario di Redipuglia, enge, niedrige Gänge, unter ungeheueren Menschenopfern von den Brigaden Siena, Savona und Cagliari in den Fels gesprengt und ausbetoniert, ständig unter Beschuss durch die österreichisch-ungarische Artillerie, die ihre Positionen oben auf dem Hügelkamm hielt. Am Ausgang fotografiere ich eine Steintafel mit Inschrift: "O viventi che uscite / se per voi non duri / e non cresca la gloria della patria / noi saremo morti invano."
    Zona sacra, heiliger Bezirk, heißt das gesamte Areal offiziell. Und die Inschrift auf der Tafel besagt: "O ihr Lebenden, die ihr diesen Ort verlaßt: wenn für euch der Ruhm des Vaterlandes nicht fortdauert und noch wächst - so sind wir umsonst gestorben." Mir bleibt ein ziemlich ungutes Gefühl von dieser Indienstnahme der Toten durch das Mussolini-Regime, von diesem hohlen Pathos, dem düsteren Schwulst.
    Fabio Pascolutti hat mich in seinen Wagen gepackt, die schmale Asphaltstraße windet sich hinauf auf die Hochfläche des Karsts. Niedriger Buschwald, grauer Fels, Weinberge dazwischen - und hier und dort alte Gefechtsstellungen, Schützengräben, restaurierte Kanonen. Sentieri della Pace heißen diese Wege heute, Wege des Friedens. Immerhin.
    Die Kriegsschauplätze entlang des Isonzo, der als Soča in den slowenischen Alpen entspringt und sein wunderbar blaugrünes Wasser hinunterschickt in die Ebenen des östlichen Friaul.
    All diese Schauplätze sind bei uns viel weniger bekannt als die spektakulären Kriegsereignisse in den Bergen der Dolomiten oder des Trentino. Aber sie haben sich tief ins italienische Nationalbewusstsein eingegraben. Ein Dorf mehr als alle anderen, dorthin ist Fabio Pascolutti mit mir unterwegs: San Martino del Carso. Er hat einen Band mit den frühen Gedichten des Giuseppe Ungaretti dabei.
    //San Martino del Carso
    Di queste case / non è rimasto / che qualche / brandello di muro
    Di tanti / che mi corrispondevano / non è rimasto / neppure tanto
    Ma nel cuore / nessuna croce manca
    È il mio cuore / il paese più straziato//
    Übersetzung:
    //San Martino del Carso
    Von diesen Häusern / ist nichts geblieben / als ein paar / Fetzen Mauer
    Von so vielen / die mit mir waren / ist nicht einmal / soviel geblieben
    Aber im Herzen / fehlt kein Kreuz
    Es ist mein Herz / das zerstörteste Land//
    Giuseppe Ungaretti hat diese Verse im August 1916 unmittelbar an der Front geschrieben, es sind die berühmtesten Zeilen der literarischen Moderne in Italien. Und wie viel wahrhaftiger als jedes patriotische Pathos - obwohl Ungaretti in späteren Jahren dem Faschismus durchaus nahe stand. Die österreichische Dichterin Ingeborg Bachmann hat seine Verse übrigens übertragen.
    Dorf an anderer Stelle wieder aufgebaut
    San Martino wurde von der Artillerie beider Seiten tatsächlich so restlos zermörsert, dass man es nach dem Krieg nicht mehr an gleicher Stelle wieder aufbauen konnte, man musste es verlegen. Ein hübsches, bescheidenes Dorf heute, mit einem eigenen kleinen Museum (jedes Dorf, jeder Ort entlang des Isonzo hat sein eigenes kleines Museum der Grande Guerra, des Großen Krieges).
    Ein paar Minuten unterhalb San Martinos liegt an der Straße, auf der wir gekommen sind, eine alte Villa aus österreichischem Besitz mit einem verwunschenen, schattigen Park. Überall ist Ungaretti, sagt Fabio Pascolutti, überall und nirgends - mal offensichtlich, mal versteckt stehen Tafeln mit seinen Gedichten, abstrakte Skulpturen, sein Porträt.
    Und der Blick schweift zwischen den Säulen eines Tempelchens hindurch, zwischen den dunklen Fackeln der Zypressen über das junge, lebendige Grün der Weinfelder und verliert sich in der fernen Ebene - eine bukolischer Perspektive. Eine Zeit lang hatte die Villa als italienisches Befehlszentrum gedient.
    Wenn der Isonzo sein enges Gebirgstal verlässt, verläuft sich das blaugrüne Wasser im breiten Kiesbett der Ebene, nur an einigen Wehren und Staustufen rafft er sich noch einmal zu einem kräftigen Rauschen und Brausen auf.
    Italien stand vor 1914 eigentlich in einem Dreibund mit Österreich und Deutschland, verhandelte insgeheim aber bald mit der Entente (England, Frankreich und Russland) um künftige Gebietsgewinne bei einem eventuellen Kriegseintritt gegen die eigenen Bündnispartner. Am 24. Mai 1915 erklärte Italien Österreich schließlich den Krieg. Der italienische Generalstab war felsenfest überzeugt: ein paar Tage nur, und Triest wäre erobert; ein paar Wochen, und die Italiener stünden in Wien, ein Spaziergang. Das war ein blutiger Irrtum, der zwölf schreckliche Schlachten über das Land am Isonzo brachte - mit dem ganzen Arsenal damals modernster Kriegsführung: Trommelfeuer, Sturmangriffe, Giftgas.
    Allein 500.000 Italiener gefallen
    Ich bin nach Gorizia gefahren, hinauf in das alte Castello-Viertel, unterhalb der mittelalterlichen Burg der Grafen von Görz. Nirgendwo ist die mörderische Wirklichkeit der Isonzo-Schlachten anschaulicher nachzuvollziehen als im Museum der Provinz Gorizia, Abteilung Grande Guerra, Erster Weltkrieg. Dottoressa Alessandra Martina ist die Kustodin:
    "Mit jeder der Schlachten am Isonzo, sagen wir heute, stieg die Zahl der Opfer. Insgesamt gab es hier 500.000 Tote - allein auf italienischer Seite. Von Schlacht zu Schlacht stieg die Zahl der Verluste, jedes Mal 20.000, 30.000, 50.000 - dann hat hat man schnell die Gesamtrechnung der zwölf Isonzo-Schlachten."
    Das Museum in Gorizia hat die Hinterlassenschaften des Großen Krieges am Isonzo nicht einfach gesammelt, sortiert und beschriftet - es hat sie zu Schaubildern des Soldaten-Alltags arrangiert, in Unterständen, Feldküchen, Schützengräben, Drahtverhauen. Szenen des notdürftigen Überlebens und des allgegenwärtigen Sterbens. Unterlegt mit der nicht enden wollenden Geräuschkulisse der Geschütze aller Kaliber.
    "Das erzählt viel über die Situation damals - diese Unerträglichkeit des alles betäubenden Lärms, die Soldaten auf engstem Raum eingeschlossen und ständig dieser ohrenbetäubende Krach. Manchmal ist einer einfach raus aus den Gräben und Unterständen ins Freie, obwohl das der sichere Tod war."
    Das Trommelfeuer der gegnerischen Artillerie dauerte Stunden an, manchmal Tage, Tag und Nacht. In der sechsten der zwölf Isonzo-Schlachten überschritt die Terza Armata, die Dritte Armee, den Isonzo und eroberte die Stadt Görz, die seit dem Mittelalter erst unter Herrschaft der Grafen von Görz stand, dann für 500 Jahre unmittelbar habsburgisch war. Die Einnahme von Görz war der größte militärische Erfolg der italienischen Armee während des gesamten Krieges. Aber, man weiß das auch aus Schilderungen von den Schlachtfeldern in Flandern und Nordfrankreich: viele haben unter diesem Trommelfeuer im Schützengraben den Verstand verloren. Und viele haben am ganzen Körper unkontrollierbar zu zittern begonnen - und dieses Zittern nie wieder verloren.
    "Die Schützengräben waren unvorstellbar dreckig, man hockte mit unzähligen Toten zusammen, die von draußen zurückgebracht wurden, weil man sie während der Schlacht nicht begraben konnte. Dazu die Verwundeten. Wir können uns die sanitären Bedingungen gar nicht vorstellen. Inmitten von Blut und Scheiße?! Genau, ja ja ja. So war es."
    Caporetti - ein nationales Trauma
    Gorizia wurde von den Italienern genau vierzehn Monate lang gehalten, dann wurde es von der Gegenoffensive der Österreicher und Deutschen überrollt. Die nahm von Caporetto im heutigen Slowenien ihren Ausgang und ist ein nationales Trauma. Wenn wir in Anspielung auf Napoleons letzte Schlacht sagen, jemand erlebe sein Waterloo, so steht im Italienischen Caporetto als Synonym für eine vernichtende Niederlage.
    Auf den alten Schwarzweiß-Fotografien im Museum von Dottoressa Martina kann man übrigens sehen, dass die Burg und das Castello-Viertel von Gorizia im Krieg nahezu vollständig zerstört waren. Was heute dort steht, sind Rekonstruktionen und mitunter recht fantasievolle Interpretationen der Vergangenheit.
    Ich fahre durch die Straßen von Gorizia, von denen viele nach den Brigaden aus allen Landesteilen Italiens heißen, die seinerzeit am Isonzo gekämpft haben, nach den Namen von Generälen und den Orten der Kämpfe - Via Brigata Pavia, Via Duca d'Aosta, Via Vittorio Veneto. Ich fahre durch baumbestandene, schattige Alleen, an schönen, alten Jahrhundertwende-Villen vorbei und über die steinerne Isonzo-Brücke Richtung Collio. Die slowenische Grenze ist hier immer auf Tuchfühlung. Nach den ersten Serpentinen ragt riesig das Sacrario von Oslavia vor mir auf. Als architektonische Vorlage mag ihm das Mausoleum des Theoderich in Ravenna gedient haben - Oslavia ist ein hoher, strenger Rundbau mit drei vorgelagerten Bastionen. Auch hier eine Treppe, auch hier die feierlichen Zypressen, auch hier Zehntausende Tote, die meisten unbekannt. Aber mit den 57.000 italienischen Soldaten hat man auch 540 Angehörige der österreich-ungarischen Armee bestattet - die Feinde im Tode vereint.
    Am Fuße der großen Treppe hinauf zum Monument gibt es einen kleinen, pinienbestandenen Parkplatz mit einer steinernen Stele, darin eingemeißelt diese Verse:
    "Oslavia, verlorener Weiler. / Niemand kannte dich, / und heute kennen dich / die Mütter und die Bräute / so vieler Länder. / Grab der Jugend, / Friedhof der Bataillone. / Oslavia, düsterer Name, / wie der Oktobernebel."
    Diese Zeilen stammen von dem Triestiner Dichter Giulio Camber-Barni, der genau wie Giuseppe Ungaretti den Krieg am Isonzo an vorderster Front erlebte, im Dreck und im Blut der Schützengräben.
    Überall Hinweise auf frühere Stellungen
    Ich lasse den Blick über die Umgebung schweifen: wie kommt es nur, dass die Orte früherer Gemetzel heute so unwiderstehlich friedlich, ja so schön, so anziehend wirken wie diese sanften, weinbewachsenen Hügel des Collio zu beiden Seiten der italienisch-slowenischen Grenze? Eine der herausragenden Weißwein-Regionen Europas, nebenbei, die Bemerkung sei erlaubt. Entlang der schmalen Straße nach San Floriano (oder Števerjan, alle Ortsschilder tragen hier Italienische und slowenische Namen) stehen in Reihe die Hinweisschilder auf frühere Stellungen, auf Monumente und Ehrentafeln mitten in den Weinbergen. Nichts Düsteres ist an Oslavia und dem heiteren Hügelland des Collio.
    Joško Gravner ist einer der berühmtesten Winzer Italiens, seine Weinberge liegen genau hier - und auf der anderen Seite der Grenze. Zu Zeiten seiner Ur-Großeltern und Großeltern lagen sie hüben wie drüben auf dem Territorium Österreich-Ungarns.
    "Wir sind hier in den Weinbergen von Runc, hundert Meter von hier war die Front, während des Krieges gab es hier nur Schützengräben. Sehr viele Tote, die Erde war mit Blut getränkt. Hier war kaum etwas übrig, vielleicht ein paar Rebstöcke, aber nur aus Zufall. Das hier habe ich bei der Arbeit im Weinberg gefunden, beides österreichische Granaten. Und bei denen hat man mir gesagt, dass die eine österreichisch ist und die andere ein italienisches Geschoß."
    Bis heute gibt die Erde von Oslavia immer wieder Überreste der Kämpfe von 1915 bis 1917 frei: alte Munition, ein Gürtelschloss, eine zerdrückte Feldflasche, Knochen. Wie Joško Gravner geht es auch den anderen Winzern im Collio, die Gräber der Jugend, die Friedhöfe der Bataillone, wie es im Gedicht von Giulio Camber-Barni hieß, sind ihre besten Lagen.
    Einen letzten Abstecher will ich noch machen, und zwar wegen eines weiteren literarischen Zeugnisses der Kämpfe am Isonzo. Ich will nach Lignano, den bekannten Adria-Badeort. Hier aber erst einmal ein Ausschnitt aus dem Roman jenes Schriftstellers, um den es geht - vielleicht erkennen Sie ihn ja an seinem Stil:
    "Dann kam das tschu, tschu, tschu, tschu - dann ein Aufflammen, als wenn die Tür einer Dampfschmiede aufgerissen wird, und ein Feuer, das weiß anfing und rot wurde und weiter und weiter anschwoll in einem sausenden Sturm. (...) Ich hörte die Maschinengewehre und die Gewehre über den Fluss und den ganzen Fluss entlangfeuern. Es gab ein großes Aufspritzen, und ich sah (...) Bomben losgehen, all dies in einem einzigen Momente, und dann hörte ich dicht neben mir jemanden sagen ‚Mamma mia! O mamma mia!'"
    Haben Sie ihn erkannt, den Sound des jungen Hemingway? Das war ein kurzer Ausschnitt aus seinem frühen Roman "A Farewell to Arms" ("Ein Abschied von den Waffen"), auf Deutsch unter dem etwas abwegigen Titel "In einem anderen Land erschienen". Hemingway war noch nicht ganz 19 Jahre alt, als er im Juli 1918 als Sanitätsfreiwilliger in Italien verwundet wurde. Der Roman erzählt von einer tragischen Liebschaft mit autobiografischem Hintergrund, und er erzählt von der Etappe und der Front am Isonzo - wie gerade gehört. Aber dort war Hemingway gar nicht eingesetzt.
    Blick vom Kastell hinunter auf die Stadt Gorizia - auch sie wurde im Krieg schwer in Mitleidenschaft gezogen, hat sich aber in vielen Straßenzügen ihren alten K.u.K.-Charme bewahrt.
    Blick vom Kastell hinunter auf die Stadt Gorizia - auch sie wurde im Krieg schwer in Mitleidenschaft gezogen, hat sich aber in vielen Straßenzügen ihren alten K.u.K.-Charme bewahrt. (Manfred Schuchmann)
    Hemingway zurückversetzt in seine Jugend
    Ich stehe in Lignano Sabbiadoro, im Parco Hemingway. Unter locker wachsenden Kiefern und Pinien gibt es einen Kinderspielplatz, eine Porträtbüste des Literatur-Nobelpreisträgers und eine Reihe von großen Tafeln mit Jugendfotos: Hemingway in Uniform, Hemingway im Lazarett, Hemingway an Krücken. Lignano Sabbiadoro liegt ungefähr auf halbem Weg zwischen dem Isonzo und dem Piave, an dessen Ufer Hemingway verwundet wurde. Immer wieder kehrte er in diesen Landstrich und zu seinen allerersten Kriegserfahrungen zurück, oft als Ehrengast wohlhabender italienischer Familien.
    "Er war ein großer, blonder Bär, der mich weit überragte, sehr eindrucksvoll, aber ich war natürlich auch noch recht klein damals."
    Hemingway besuchte mehrfach Alessandro Graf Kechlers Familie auf deren Anwesen in der Umgebung: "Er kam oft in die Häuser der Familie, um mit ihr auf die Jagd oder zum Fischen zu gehen. Und konnte Hemingway Italienisch? Absolut nicht, vielleicht vier oder fünf Worte. Es wurde viel über den Krieg gesprochen, besonders über den spanischen Bürgerkrieg, an dem mein Onkel als Freiwilliger teilgenommen hatte - aber auf der anderen Seite der Front als Hemingway."
    Kleine Eitelkeit des Schriftstellers: in seinem Roman, der im Ersten Weltkrieg am Isonzo beginnt, spricht sein alter ego Frederic Henry natürlich perfekt Italienisch - Frederic Henry, der in dem oben zitierten Romanausschnitt am Isonzo von Granatsplittern schwer verwundet wird, ganz so wie der Autor selbst am Piave. Dass der weltberühmte Hemingway den Zeitungen in den Vereinigten Staaten damals in den Notizblock diktierte, Lignano sei so etwas wie das Florida Europas, brachte dem Seebad an der Adria mächtig viel Publicity.
    "Ganz bestimmt hing er hier seinen Jugenderinnerungen nach. Auch in Lignano, er fühlte sich wie zurückversetzt auf seine Florida Keys. Die gleiche wilde Natur. Ich denke, deswegen ist er so gerne gekommen."
    Hundert Jahre sind vergangen, seit der Erste Weltkrieg in Italien begann. Die Gegner von einst sind gute Nachbarn, Partner und sogar Freunde in Europa geworden. Der Schrecken des Krieges? Ist allenfalls noch museal gegenwärtig. Nur das schwülstige Pathos lebt immer noch fort in den Monumenten der Mussolini-Ära. Aber es verblasst zusehends. Entlang der Frontlinien von damals führen heute im Friaul und an den anderen Schauplätzen der Grande Guerra die Sentieri della pace, die Friedenspfade - oft durch eine wunderbar wilde Natur. Und in irgendwann in Zukunft soll auch ein Sentiero Hemingway angelegt werden - entlang der Stationen seiner Romane und all der Orte, zu denen er später in seinem Leben so gern zurückgekehrt war.