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Israel
Auf den akustischen Spuren von Jesus

Mark Andre, bislang hervorgetreten als Autor feinsinniger neuer Kammermusik, zeichnete in Israel an mutmaßlichen Orignalschauplätzen des Lebens von Jesus Geräusche auf - als transzendente Spuren des Heiligen Geistes. Als "Wunderzaichen" fluten sie gerade das Web.

Von Frieder Reininghaus | 03.03.2014
    Seit Tagen schwappt eine Flut der Produkte des "embedded journalism" zu den "wunderzaichen" ins Netz. Kein Spam-Filter hilft. Fassen wir das Wichtigste der offiziellen und offiziösen Mitteilungen zusammen: Mark Andre, bislang hervorgetreten als Autor feinsinniger neuer Kammermusik, in der sich allemal wundersam glaubensgenährte Gedankenspuren finden, wurde eingeladen, als Opernkomponist zu debütieren. Im Zuge der Vorbereitung reiste er zusammen mit einem auch bei der Uraufführung tätigen Elektroakustiker und dem Dramaturgen nach Israel. Sie zeichneten an mutmaßlichen "Originalschauplätzen" des Lebens Jesu den aktuell anzutreffenden Geräuschpegel auf, um nach eigener Auskunft "transzendente Spuren des Heiligen Geistes" zu suchen. Als die Künstler bei der Ausreise von Mitarbeiterinnen der israelischen Grenzpolizei nach dem Zweck ihrer Pilgerfahrt befragt wurden, hatten sie einige Mühe, "ihre Identität und geistige Gesundheit" zweifelsfrei nachzuweisen. Doch das Wunder geschah: Man ließ die drei wackeren Heiliggeisttonspurensucher zurück ins Schwabenland entkommen.
    Die Grenzerfahrung auf dem Airport Ben Gurion schlug sich im Handlungsrahmen von "wunderzaichen" nieder und in der ziemlich getreu ans Original angelehnten Rauminstallation von Anna Viebrock. Jossi Wieler inszenierte in ihr das Warten: Das Warten in Schlangen, die sich auflösen. Das Warten, das auf den unbequemen Sitzgelegenheiten in die Länge und Breite geht, eine Zeit lang in den Hintergrund tritt, weil der Souterrain hochfährt mit seinen Leitern und Ersatzbänken und seinem bedrohlichen Vernehmungsraum, dann aber wiederkehrt und einen finalen, subtil von christlichen Wartebotschaften durchwirkten Exzess erfährt. Vernommen wird seitens der Mädels vom Mossad eine zwischen den Zeiten changierende Figur, der André Jung mit intellektueller Sprechstimme Würde verleiht: Es handelt sich um jenen aus dem Spätmittelalter konvertierten Johannes Reuchlin, der sich nach einer Herztransplantation seiner Identität nicht sicher ist - ganz wie in Leon de Winters Mode-Roman "Ein gutes Herz". Das hört dann auch auf zu schlagen. Doch irgendwie überlebt Bruder Johannes, ersteht als Christusfigur auf.
    Das von einer Riesenpartitur subtil vorbereitete und mit Raumelektronik wundersam erweiterte Klangband wird nicht nur von den besser verständlichen Sentenzen der Reuchlin-Abarbeitung durchschossen, sondern auch vom Murmeln des zu einer immensen Leistung veranlassten Chors angereichert.
    Bleibt die Frage nach den "transzendenten Spuren des Heiligen Geistes". Wir wollen nicht kleingläubig sein, möchten sie in der Partitur und – mehr noch – im elektronisch-akustischen Gebetsteppich vermuten (obwohl die Sache etwas von des Kaisers neuen Kleidern hat). Vielleicht ist davon auszugehen, dass der so tief gläubige Komponist irgendwo Punkte dafür bekommt, dass er seine "Message" an ein größeres Publikum bringt - und je subtiler, desto mehr Punkte. Da der seit Langem ziemlich stumme "Heilige Geist" für seine Offenbarungen nach katholischer wie nach protestantischer Lehre nicht an bestimmte Orte und Räume gebunden ist, ergibt sich allerdings die Frage, warum das Kreativ-Team keine Dienstreise nach Pforzheim unternommen hat, in die Geburtsstadt Reuchlins (die liegt im Einzugsbereich des Stuttgarter S-Bahn-Netzes). Die Wassertöne hätten sich preisgünstig auch am Ufer der Enz aufzeichnen lassen, da hat es das Tote Meer selbst unter immanent musikalisch-technischen Gesichtspunkten gar nicht gebraucht. Aber mit dem Aroma des einst heiligen Landes ist das "wunderzaichen" sehr schick geworden. Geprägt nur von ein bisschen viel Debütantismus. Das Resultat kann es nicht verhehlen.