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"Israel hat einen enormen Schaden angerichtet"

Die in Beirut lebende deutsche Filmemacherin Monika Borgmann spricht nach den Angriffen Israels auf den Libanon von einer äußerst schwierigen Situation für die Intellektuellen des Landes. Gegner der Hisbollah hätten es nach den Kämpfen besonders schwer. Wer sich gegen die Hisbollah und Syrien äußere, gelte fast schon als Kollaborateur.

    Schmitz: Der israelische Dramatiker Joshua Sobol ist seit Jahrzehnten ein Kritiker der Politik seines Landes. Ein Jude, der Juden weh tut, wird ihm vorgeworfen. Das Stück "Das Jerusalemsyndrom" macht jüdischen Fundamentalismus für eine zukünftige Katastrophe im Nahen Osten verantwortlich. Und "Die Palästinenserin" erzählt frei nach Shakespeares Romeo und Julia eine verbotene Liebesgeschichte zwischen einem Israeli und einer Palästinenserin.

    Zum aktuellen Konflikt im Libanon aber sagt Sobol kürzlich: "Jeder, der jetzt einen Waffenstillstand fordert, unterstützt damit indirekt die Hisbollah." Er habe sich geirrt als er glaubte, ein israelischer Rückzug auf anerkannte Grenzen würde Frieden bringen. Die Zerstörungen auf beiden Seiten gehen jedenfalls weiter. In Beirut ist gestern unter anderem ein Gebäude zerstört worden, in dem sich eine Filmproduktionsfirma befand und ein Zentrum zur Aufarbeitung des Bürgerkrieges im Libanon samt wertvollem Archiv. Die deutsche Dokumentarfilmerin Monika Borgmann hat beides zusammen mit ihrem Mann Lokman Slim begründet und leitet es heute. Frau Borgmann, wie groß ist die Zerstörung und was ist vor allem in Ihrem Zentrum zur Aufarbeitung des Bürgerkrieges zerstört worden, habe ich sie zuerst gefragt.

    Borgmann: Das Haus, das von einer Rakete getroffen wurde, das ist ein zehnstöckiges Haus, das neben unserem Haus liegt. Und das Haus, das wurde sozusagen in zwei Teile gespalten. Der eine Teil steht bisher noch, bricht aber gerade langsam zusammen und der andere Teil ist explodiert und von der Wucht dieser Explosion sind bei uns alle Türen, auch Metalltüren, die wir zur Sicherheit des Archivs hatten, heraus gefallen. Alle Fenster sind explodiert. Ein kleiner Teil des Archivs ist völlig zerrissen im Endeffekt, aber das meiste ist da. Dem audiovisuellen Archiv ist bisher nichts passiert. Ich hoffe, dass die Israelis genug Informationen haben, um zu wissen, wo sie bombardieren, so dass sie auch wissen, dass wir mit der Hisbollah nichts zu tun haben, so dass unser Haus nicht direkte Zielscheibe wird. Ich hoffe, dass das das letzte Mal war, dass direkt neben uns bombardiert wurde.

    Schmitz: Frau Borgmann, über das Archiv und auch als Dokumentarfilmerin, aber auch über Ihren Mann, Lokman Slim, der als Publizist die Hisbollah immer wieder heftig kritisiert hat, sind Sie sehr gut mit der intellektuellen Szene in Beirut vernetzt. Wie steht die zum Konflikt?

    Borgmann: Die intellektuelle Szene in Beirut ist heute extrem gespalten. Und zwar geht es im Endeffekt darum, inwieweit man auch der Hisbollah die Verantwortung für den derzeitigen Krieg gibt. Es steht außer Frage, dass Israel eine immense Verantwortung hat, weil es einfach irgendwo kein Maß der Mitte mehr kennt, aber der Streit verläuft dort, inwiefern wirklich der Hisbollah die Verantwortung für diesen Krieg gegeben wird. Um Ihnen einfach nur ein Beispiel zu nennen: Sonntag, gestern vor einer Woche hat eine Gruppe von Intellektuellen eine Petition verfasst. Das war an dem Tag, an dem Kana bombardiert wurde und diese Petition besagte im Endeffekt, wir Intellektuelle, die uns für einen Rückzug der Syrer und für ein Ende der syrischen Besatzung im Libanon ausgesprochen haben, wir verurteilen heute das Massaker von Kana und all das, was Israel hier anrichtet in diesem Land. Und dann gab es eine heftige Diskussion, ob heute der richtige Zeitpunkt ist, wieder über die syrische Besatzung des Libanons zu sprechen oder nicht und leider muss ich sagen, hat sich da die Mehrheit der Intellektuellen durchgesetzt.

    Schmitz: Was hätte die Minderheit gern in dieser Petition stehen gehabt?

    Borgmann: Die Minderheit hätte gerne gewollt, dass das Wort Syrien bleibt. Da die Mehrheit sich aber leider durchgesetzt hatte, wurde das Wort Syrien herausgenommen und damit, ich sage dabei auch ganz klar, dass Lokman Slim da zu der Minderheit gehört hat und nicht zu der Mehrheit.

    Schmitz: Verzeihen Sie Frau Borgmann, wie groß ist denn diese Minderheit?

    Borgmann: Diese Minderheit ist eigentlich ziemlich groß, nur es wagen immer weniger Leute heute noch öffentlich etwas zu sagen und das ist wirklich auch ein Punkt, wo die Israelis anscheinend überhaupt nichts von diesem Land verstanden haben. Die Intellektuellen, die es gewagt haben, sich vor diesem Krieg gegen die Hisbollah auszusprechen waren nicht viele. Das waren sehr vereinzelte Stimmen, aber es gab diese Stimmen, die den Mut hatten, sich zu äußern. Heute sich gegen Hisbollah und damit auch gegen Syrien auszusprechen bedeutet eigentlich sich schon fast zu Kollaborateur Israels zu machen. Und im Endeffekt ist das eine Katastrophe für das Land und da hat Israel wirklich eine enormen Schaden angerichtet und wirklich bewiesen, dass es von der libanesischen Realität so gut wie nichts versteht.

    Schmitz: Das heißt, die kritischen Geister im Libanon aber sind sehr wohl der Ansicht, dass der Libanon nicht nur Opfer Israels, sondern auch der Hisbollah und Syriens und möglicherweise auch Teherans ist.

    Borgmann: Viele denken so und wir persönlich fühlen uns heute als doppelte Opfer. Wir fühlen uns einmal als Opfer der ganzen israelischen Aggression. Wir fühlen uns natürlich auch als Opfer der Hisbollah und um so mehr, da unser Zentrum, das heißt, das Archiv und unsere kulturellen Aktivitäten liegen in den südlichen Vororten und wir werden sehen, wie wir heute auch unsere Arbeit wieder aufnehmen können.

    Schmitz: Welche Lösungsmöglichkeiten sehen denn Sie und ihre Kollegen im aktuellen Konflikt?

    Borgmann: Wir werden sehen, was vor dem Sicherheitsrat passiert, aber wir alle hoffen, dass der Libanon so schnell wie möglich der UN-Resolutionen zustimmen wird, damit der Krieg einfach ein Ende findet.

    Schmitz: Über die libanesische Intelligenz und den Krieg klärte Monika Borgmann auf, deutsche Dokumentarfilmerin in Beirut.