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Israel: Literatur und Politik

Die Nächte sind für alle leer, schreibt die israelische Autorin Batya Gur, wer aber sind die "Feinde"? Wer die "Guten"? Längst geht es in Jerusalem, in Tel Aviv und in der Westbank auch um die Hoheit der Ideen, längst tobt die Schlacht um die Symbole und auch die Wirklichkeit ist heut ein Palimpsest. Die Nacht ist ein Vexier-hörspiel, sagt Batya Gur:

Jochanan Shelliem |
    Am Vorabend des letzten Unabhängigkeitstags, vor einem Jahr, beim Beginn des feierlichen Eröffnungsakts um Punkt 20 Uhr, hörten wir Furcht erregende Detonationsgeräusche. Als wir auf den Balkon traten, stellte sich heraus, dass wir einen Kontrapunkt für zwei Stimmen vernahmen: zum einen die Explosionen der Feuerwerkskörper über dem Jerusalemer Zionsplatz, zum anderen die Geschützsalven von Bait-Dschallah auf Gilo und das Geballer des Gegenfeuers. Das bunte Feuerwerk zur Feier des 53. Unabhängigkeitstags des Staates Israel sahen wir fern, über den Baumwipfeln, wenige Kilometer nördlich von uns. Das andere Feuer war nicht zu sehen, aber sein Lärm, der von den Bethlehemer Bergen herüberschallte, klang sehr nah. Der Wind wehte von Süden.

    "Duett" nennt Batya Gur, diesen Abschnitt ihrer Intervention in der israelischen Zeitung Ha'aretz. Die Wirklichkeit hat ein bedrohliches Gesicht. "Avoid public places." sagt Zeruya Shalev, als ich sie in Jerusalem besuche. Mit ihren Romanen "Mann und Frau" und "Liebesleben" wurde sie als shooting star und Galionsfigur einer neuen nahöstlichen Weiblichkeit auch in der Bundesrepublik gefeiert und geehrt. Angespannt wirkt sie in ihrer Wohnung in Jerusalem. Zündet sich eine Zigarette an der anderen an, als wir uns in das Kinderzimmer ihrer Tochter zum Interview zurückgezogen haben, plötzlich aber blickt sie zum Fenster, hinter dem der Garten liegt. Zeruya Shalev:

    Hören Sie die Ambulanz? Ich habe Angst. Ich hoffe, es ist nichts passiert. Vor zwei Wochen saß ich mit meiner Freundin, die ihren Mann bei einem Terroranschlag verloren hat, in einem Café. Es war eine surreale Szene. Sie sprach von Ihrem Elend, wir weinten miteinander und dann hörten wir die Ambulanzen und sie sagte, "Noch ein Anschlag" Ich sagte, "Nein, das kann nicht sein." Und dann mussten wir uns eingestehen, daß sie Recht behalten hatte. Nur einen Kilometer von dem Café entfernt, in dem wir saßen, war es schon wieder geschehen und ich sagte, sollten wir vielleicht die Kinder aus der Schule holen. Und sie sagte, wir sollten sie dort lassen, um sie nicht zu beunruhigen." Jetzt hört man wieder Sirenen. Sollen wir das Radio einschalten ?

    Früher floss es mir aus der Feder. Ich muss gestehen, daß mir die Leidenschaft beim Schreiben, dieser kreative Jagdinstinkt, in den letzten beiden Jahren abhanden gekommen ist. Heute habe ich beim Schreiben Angst um meine Kinder. Ich bin der Außenwelt stärker verhaftet, als früher. Den ganzen Tag höre ich Nachrichten, weiß, was geschehen ist, fürchte, was kommt. Es macht keinen Spaß mehr.

    Wenn der Nachrichtensprecher vor Anschlägen warnt, dann bleibt mein kleiner Sohn zu hause", sagt Zeruya Shalev, "und ich belüge ihn, sage, ich hätte frei, ich würde mit ihm spielen."

    Während manche meiner Freunde fest daran glauben, daß für jeden seine Stunde kommt, andere die Nachrichten ignorieren, ertappe ich mich immer wieder bei der Konstruktion absurder Kausalketten, um unser Überleben zu kalkulieren. Ob wir nun diese Straßenseite oder jenen Umweg nehmen sollten. Vor den Purimfeiertagen, an denen man sich traditionellerweise verkleidet, habe ich mich lange damit beschäftigt, darüber nachzudenken, wo ich meinem Sechsjährigen ein Kostüm kaufen könnte. Welches Geschäft das sicherste sei. Ich kann meinem Sohn doch nicht erklären, es sei grad' zu gefährlich ein Kostüm zu kaufen und Purim fiele aus. Ich habe also eine Liste von Geschäften zusammengestellt und dann den kleinsten Laden in der schmalsten Gasse herausgesucht. Ich habe versucht, so viele Gefahren, so viele Unwägbarkeiten wie möglich, zu vermeiden. Ständig aber ist mir bewußt gewesen, daß man nie wissen kann, was wird. Mit Kindern ist es doppelt schwer. Vor allem von dem Kleinen kann ich doch nicht erwarten, daß er die Wirklichkeit versteht. Also betrüge ich ihn. Wenn ich das Gefühl habe, daß es ein sehr gefährlicher Tag werden könnte und ich möchte, daß er zuhause bleibt, sage ich ihm, die Schule fiele aus. Es ist ein seltsames Gefühl, Kinder auf solche Weise groß zu ziehen.

    Für viele Israelis ist das Land in dieser Zeit der Selbstmordattentate kleiner geworden. Busse fahren halb leer und wer es vermeiden kann, geht nicht mehr auf den Markt. Ich ertappe mich dabei, wie ich die Bauarbeiten an der Jaffaroad auf ihren Hintergrund abklopfe: Sanierung oder Selbstmordanschlag. Die Sbarro Pizzeria blinkt und blitzt, so nagelneu ist alles hergerichtet worden nach dem Attentat. Das Szenecafé an der Ben Jehuda in Jerusalem aber wirkt aber auch ein Jahr nach dem doppelten Selbstmordattentat vom 1. Dezember 2001 wie ein Verband aus Rohbeton und Latten. Wo sich sonst Tenies sonnten, flirtet niemand mehr. Und im Tower Hotel könnte ich alle Zimmer haben.

    Nur der Berufsverkehr staut sich vor meinem Taxi. Ich gehe nicht in die Altstadt und anders als in Tel Aviv mag ich hier auch nicht auf den Markt. Es ist so, wie es immer ist, wenn was passieren könnte. Alles scheint wie anderswo, an jedem anderen Ort, nur haben alle Schulterblättern Augen, und wer rempelt, kriegt vor der Berührung schon Platz gemacht. Wer korpulent ist, gilt eh als verdächtig. Als ich meine Falafelpita am Schnellimbiss gegenüber der Ben Jehuda mit dem zweiten Peperoni garniere, wird lautstark nach dem Besitzer meiner roten Tasche gefragt. Normalität im Kriegszustand. Wütend beteuert die Erfolgsautorin Batya Gur im alten Deutschen Viertel, daß ihr jüngster Roman "Denn die Seele ist in Deiner Hand" keinen Hinweis auf die Zerstörung des zivilen israelischen Alltags enthält:

    Seit die palästinensischen Selbstmordattentäter begonnen haben, in israelischen Cafés auf ihre Art Simsons Spruch "so mag ich denn mit den Philistern sterben" in die Tat umzusetzen, ist man dazu übergegangen, an jedem Kaffeehauseingang einen Wachmann zu postieren. Aber das hat nicht gleich geholfen. Die Palästinenser sehen den Israelis sehr ähnlich. Es gibt keine Rassenunterschiede zwischen ihnen (bekanntlich sind sie Brüder). Die Unterscheidung fällt auch deswegen schwer, weil das Küchenpersonal, die Boten der Lebensmittellieferanten und die Arbeiter, die die Gehwege ausbessern, Araber sind und auch weiter ihrer Arbeit nachgehen. So hat es in weiteren vier Cafés Anschläge gegeben, bei denen noch ein paar Dutzend Menschen umkamen. Daraufhin hat man vor jeder Jerusalemer Kaffeehaustür eine Eisenbarriere errichtet und einen ausgebildeten Sicherheitsbeamten, bewehrt mit Pistole und Metalldetektor, davor gestellt. Jetzt werden die Cafébesucher überprüft und geschützt, als beträten sie einen Kernreaktor. Aber die Köche, die Boten der Gemüsehändler, die Gehilfen des Elektrikers und die Straßenarbeiter, die den Gehweg vor dem großen Café neben unserem Haus flicken, sind nach wie vor Palästinenser. (In eben diesem Café hatte ein Kellner sich im allerletzten Moment auf den Selbstmordattentäter geworfen und ihn so daran gehindert, sich in die Luft zu sprengen.). Einige dieser Palästinenser sind gewiss Verwandte oder Nachbarn von Selbstmordattentätern. Aber sie gehen weiter ihrer Tätigkeit im Café nach, denn das ist ihr Arbeitsplatz.

    Ein Russischer Roman hieß das Buch, mit der sich Meir Shalev seinen Platz in der internationalen Literatur gesichert hat. Durch seine ebenso humorvollen, wie präzisen und facettenreichen Schilderungen der Wirklichkeit in den Kibbuzzim der Gründerzeit befreite Meir Shalev die Geschichte russischer Utopisten in Palästina vom Staub der zionistischen Legenden und rückte die verlogenen Epen der Vergangenheit zurecht. Geradeaus und kämpferisch, kritisch und klar ist Meir Shalev bis heute geblieben. Angeschossen wurde er 1967 im Golan - versehentlich und von den eigenen Leuten. Auf die Frage, ob er wegen der Selbstmordattentate seine Gewohnheiten verändert habe, reagiert Meir Shalev empört:

    Ich gestatte niemandem, derart in mein Leben einzugreifen. Wegen der politischen Dummheit der israelischen Regierung habe ich immense Steuern zu bezahlen. Wegen des Verhaltens israelischer, wie palästinensischer Politiker ist mein Leben jeden Tag in Gefahr. Ich weiß, daß ich in Europa ein weitaus komfortableres Leben führen könnte. Das weiß ich, weil es mir angeboten worden ist. Sehen Sie, ich bin Schriftsteller. Ich lebe in Israel. Ich schreibe in hebräischer Sprache. Außerhalb von Israel kann ich nicht leben. Das habe ich ganz konkret herausgefunden. Ich brauche diesen Ort, ich brauche diese Erde, ich brauche die Gerüche Israels, die Landschaften und auch die Sprache, die mich umgibt. Ich bin ein hier verwurzelter Schriftsteller. Ich glaube an die Kraft einer an den Ort ihrer Entstehung gebundenen Literatur, ich lese gern die Bücher anderer Schriftsteller, die von ihrer Stadt berichten. Die besten Bücher beziehen sich immer auf den eigenen Erfahrungshintergrund. Erich Kästner hat einmal gesagt, es war in der Einleitung von "Pünktchen und Anton", daß ihm der Kellner eines Restaurants einen Rat gegeben habe: "Schreiben Sie nicht über die Südsee. Schreiben Sie über Dinge, von denen Sie etwas verstehen, schreiben Sie von Städten, in denen Sie selbst leben." Ich schreibe über meine Familie, mein Dorf, meine Stadt und meine Landschaften. Das ist die Art von Literatur, mit der ich umgehen kann. Insofern begebe ich mich jeden Morgen in das Zentrum von Jerusalem, zunächst, weil ich von Natur aus nicht ängstlich bin. Außerdem bin ich Optimist, ich wüßte also nicht, warum ich meinen täglichen Fußmarsch in das Zentrum von Jerusalem in Frage stellen sollte.

    Für Ephraim Kishon, 72 Jahre alt, politisch ein Rechtsaußen, hat sich seit 1948 wenig verändert. Immer lebten wir zwischen den Kriegen, sagt er und zeigt mir, als wolle er zum Wesentlichen übergehen, seine Regale voller Übersetzungen. Mehr als drei Dutzend Sprachen haben den Witz des Satirikers rund um die Welt getragen. Drei Mal erhielt Kishon den Golden Globe. Zwei Spielfilme, deren Drehbuch er geschrieben hatten, wurden für den Oscar nominiert. Zwischen all den Urkunden aber hängt ein Bild aus dem Dritten Reich. Ein Paar an einem Pranger .. Ich bin ein Judenschwein, ich lasse mich mit Juden ein." - warum hat sich der stolze Ungar diese Erinnerung in seine festungsartige Villa gehängt ? "Damit ich's nicht vergesse." Kishon:

    Ich bin in der ganzen Welt bekannt.. der anerkannteste Satiriker der Welt, aber zuhause bin ich nur hier... Ich habe keine Ideologie. Was ist gut für Israel, ist gut für mich. Es gibt für mich keine anderen Standpunkt..als Überlebender des Holocaust.. als alles was ist gut für den jüdischen Staat ist gut.. ich bin nicht bereit.. Menschenrechte.. alles wurscht.. ich bin in Mitteleuropa gestanden.. schöne blonde Ungarn.. bin geflohen mit zwei anderen überlebt habe ich für mich können sie reden, was sie wollen. Die Welt hat gewußt, daß man hat mich gebracht zum Verbrennen, 137 niemand hat es interessiert. So interessiert mich also NUR WAS IST GUT ZU MEINEM LAND. Bitte es zu verstehen.

    Kishon plädiert für einen einseitigen Rückzug, psychisch mache ihm der Terror nichts aus, statistisch gäbe es mehr Verkehrsunfälle auf den Straßen Israels und trotzdem ließe keiner seinen Wagen stehen. "Wer aber sind die Belagerer", fragt Batya Gur, "und wer ist der Belagerte ?":

    Israel ist belagert. Seine Straßen sind leer. Die Geschäfte sind leer. Zahlreiche Unternehmen machen Pleite. Die vielen Arbeiter aus den besetzten Gebieten, die sonst in Industrie und Landwirtschaft arbeiteten, kommen nicht mehr. Es ist keiner da, der die Früchte pflückt. Das Gemüse verfault auf den Feldern. Die palästinensischen Städte und Dörfer sind abgeriegelt, die Einwohner in ihren Häusern eingesperrt. In einigen Ortschaften herrscht Ausgangssperre, die - mit Unterbrechungen - über ein Jahr andauert. Das Einkommen, das zum Großteil aus Arbeit in Israel stammte, bleibt aus. Die Agrarprodukte, die zu einem erheblichen Teil für israelische Märkte bestimmt waren, türmen sich an den Feldrainen und verrotten. Die Hotels stehen leer, auf beiden Seiten. Sogar die armen Pilger und Pilgerinnen aus griechischen und bulgarischen Dörfern, die früher in der Osterzeit die Höfe Jerusalemer Kirchen und Klöster bevölkerten, sind ausgeblieben. In der Grabeskirche ist es still. Die Altstadtbasare sind menschenleer und vom Regen reingewaschen.

    Jerusalem wirkt wie ein Gemälde von De Chirico. Palästinenserinnen in den Wehen werden an den Straßensperren aufgehalten - Israel riegelt die palästinensischen Autonomiegebiete ab. Kranke und Säuglinge sterben am Zaun. Die belebten Verkehrsadern werden eine nach der anderen abgeschnitten. Not und Armut sind auf der palästinensischen Seite natürlich größer und vor allem augenfälliger. Aber der Schaden auf der israelischen Seite ist hoch und schwerwiegend: das Wirtschaftsgefüge bröckelt, und das kulturelle Leben erstirbt. Agnon schrieb in seinem Roman "Gestern, vorgestern": So saß der Maler "vor einer Leinwand, die vier Ellen maß, der Größe eines Grabes, und malte darauf einen Panther, um den sich eine Schlange windet, die ihn mit ihren buntschillernden Windungen zusammenpresst. [...] Er schlägt mit seiner Tatze nach deren Kopf, ihr das Gehirn zu zerschmettern; jene schlingt sich um ihn, ihn zu erdrücken."

    Die Schriftstellerin Judith Katzir hat diesen Druck nicht länger ausgehalten. "I don't write fiction anymore" sagt sie in ihrem Studio, einer kleinen Zweizimmerwohnung an der Ben Jehuda Street in Tel Aviv. "Matisse hat die Sonne im Bauch" hieß eine der sensibelsten Liebesgeschichten Israels, mit der sie in vor Jahren ihre Schriftstellerkarriere begann. Katzir

    Ich wünschte, ich könnte die Wirklichkeit ignorieren, aber ich kann es nicht. Ich kann nicht mehr schreiben. Ich habe einen Roman über eine Beziehung zwischen Frauen in den Siebzigern angefangen, in den letzten beiden Monaten kam ich aber damit nicht weiter. Wegen der Lage, wegen der Angst. Das Thema des Romans erschien mir mehr und mehr unwesentlich, wem wollte ich was erklären ? Und vielleicht könnte auch ich wichtigeres tun, Artikel über die Lage im Land schreiben, beispielsweise.

    Judith Katzir will mit palästinensischen Frauen reden, deren Leid aufzeichnen, aber auch von ihren Hoffnungen berichten, wenn die israelische Bevölkerung davon erführe, bekomme die Unterdrückung der Palästinenser ein Gesicht, sagt sie.

    Wir alle sind sehr deprimiert. Vielleicht bin ich zu sensibel, doch das Leben ist sehr schwer. Jeder empfindet das in diesen Tagen. Eine sehr gute Freundin wird in zwei, drei Monaten nach Toronto gehen. Sie hat vier Kinder und die doppelte Staatsbürgerschaft. Wir kennen uns seit unserer Kindheit in Haifa...und sie hat nun beschlossen mit ihrer gesamten Familie nach Kanada auszuwandern. Sie wird es tun. Ich bin darüber sehr traurig, doch ich verstehe ihre Wahl, denn sie hat eine Wahl, ich habe keine.

    Jeder fünfte Israeli denke über die Möglichkeiten einer Auswanderung nach, ermittelte die Tageszeitung Ma'ariv. Zeruya Shalev:

    Aus Israel weggehen ? Nie. So was könnte ich nicht tun. Ich bin Schriftstellerin, ich kann überall schreiben, könnte mit meiner Familie überall leben. Manche meiner Freunde fragen mich, warum gehst du nicht weg. Deine Kinder wegen. Geh' ein paar Jahre weg und komm' zurück, wenn alles wieder ruhiger ist. Ich kann darüber gar nicht erst nachdenken. Ich würde es mir nie verzeihen. Ich würde mich so schuldig fühlen. Dies ist mein Land, ich kann es nicht verlassen, wenn alles im Argen liegt und wiederkommen, wenn alles wieder leichter ist. Mein Schicksal ist eng mit dem Land verbunden. Hier bin ich geboren worden. Wenn alle Israelis, die es sich leisten können, emigrieren würden, verlöre das jüdische Volk sein Heimatland. Und ich weiß, daß wir einen Staat benötigen, sonst wird es noch gefährlicher für uns. Insofern also ist es meine Pflicht zu bleiben. Nur wenn ich an die Kinder denke, wird mir bewußt, wie sehr mich die Verantwortung bedrückt. Wenn ihnen etwas geschähe.... aber man kann sich nicht ständig das Schlimmste ausmalen. Ich kann ja nicht einmal Jerusalem verlassen. Auch wenn es in Jerusalem gefährlicher ist als anderswo. Dies aber ist die Stadt, in der ich lebe, der Ort, wo ich hingehöre, und da sitze ich jetzt fest.

    Zum Schreiben weggegangen ist bereits seit 1994 Amos Oz. Vier Jahre schrieb er, abgeschirmt vom Terror der Nachrichten im Stundentakt an seinem Romanpoem "Allein das Meer", der in diesem Herbst bei Suhrkamp erschienen ist. Oz:

    Als ich das Alter von sechzig Jahren erreicht hatte, habe ich festgestellt, daß einige Kategorien für mich bedeutungslos geworden waren. Lange wurde mir erzählt, ich schriebe eine poetische Prosa, einige meiner Freunde wurden gefeiert für ihre prosaische Poeme. Diese Unterscheidung hat mich gestört. Und ich entsinne mich, wie ich mich über mehrere Jahre in ein Bergdorf auf die Insel Zypern zurückgezogen habe, wo ich an meinem Roman arbeitete. Diesem Roman, der ursprünglich als Prosatext erscheinen sollte, am Ende eines jeden einsamen Arbeitstages aber notierte ich in dieser kleinen Bergpension den Handlungsverlauf, der für den nächsten Tag anstand. Diese Zeilen warf ich in Reimen auf's Papier. Vielleicht habe ich mir eine Freude machen wollen, vielleicht auch meine Einsamkeit zerstreuen. Vielleicht hatte ich nur wach bleiben wollen. Nach einigen Tagen aber hatte ich das Gefühl, daß dies die Form war, in der dieser Roman "Allein das Meer" geschrieben werden wollte. Dieser Roman wollte nicht bloß eine Geschichte erzählen, er wollte tanzen, singen, eine musikalische Komposition ebenso sein, wie ein Stück Literatur.

    Daß dem Friedenskämpfer und Kolumnisten dies gelungen ist, liegt auch an seiner literarischen Emigration. Entstanden ist auf diese Weise ein Roman, der voller Poesie, beflügelt durch die Phantasie der Lesenden, das Kammerspiel seiner sieben Helden enthält, aber jene Ruhe ausstrahlt, die das Innenleben seiner Protagonisten in ihrem israelischen Alltag mit einer Tiefe versieht, die fasziniert und bindet. Ein neuer Ton im Schreiben des israelischen Schriftstellers, kein postmodernes Stück, sagt Amos Oz, der sich in "Allein das Meer" mit spürbarem Vergnügen des leichtfüßigen Slangs von Tel Aviv bedient, wie mit dem Echo der Sprache des Alten und des Neuen Testaments jongliert:

    Einige der israelischen Kritiker haben diesen Roman als eine postmoderne Etude bezeichnet, da will ich widersprechen. Dies ist kein postmodernes Stück Literatur, sondern ein präarchaischer Roman. Ich habe den Roman dahin zurück gebracht, woher diese Form gekommen ist, zu den Troubadouren, zu den Vagabunden, die vor einem Publikum ihre eigenen Erfahrungen, darunter sehr persönliche, aber auch zeitgeschichtliche Ereignisse, mit der Fiktion verwoben haben. Manchmal begleiteten sie ihre Erzählungen mit Musik und Tanz. So sah der Anfang dieser Gattung aus. Und in "Allein das Meer" habe ich den Roman an seinen Ausgangspunkt zurück gebracht. Dieser Roman ist die Geschichte eines Troubadours und darum tritt auch der Erzähler auf, ich bin ein Teil des Plots: ich sprach mit dem, sah jene Frau, die hat mich angerufen, die mich berührt. In unserer Zeit ist der Roman zu einer sehr bürgerlichen Kreatur geworden, er hat einen psychoanalytischen Keller, ein soziologisches Wohnzimmer, ist mit einer marxistische Küche ausgestattet, besitzt ein Freudsches Schlafzimmer und einen postmodernen Dachboden. Er ist ein Einrichtungs-gegenstand, mein Roman dagegen ist ein Wesen, daß sich nicht einsperren läßt. Ein Vagabund, der in den Himalaya zieht und nach Bat Yam, von meinem Wohnort Arad aus erzählt und auch von Tel Aviv. Stets außerhalb geschlossener Räume, die meiste Zeit auf offenem Feld.

    Dan Tsalka, der mit seinem hohen Ton und mit erfrischender Unbefangenheit und Opulenz in diesem Frühling seine israelische Gründerzeitsaga vorgelegt hat, kommt der von Amos Oz geforderten Emphase und Stilsicherheit derzeit am nächsten. Er schrieb ein Buch, wie aus der Zeit gefallen. "Tausend Herzen" heißt der Roman, den Tsalka jedoch schon 1991 schrieb. Mit elfjähriger Verspätung wird der in Polen geborene Kunstgeschichtler und Sprachjongleur, der 1957 nach Israel eingewandert war, nun in der Bundesrepublik entdeckt. Der israelischen Autorin Judith Rotem, die ihrem orthodoxen Ehemann entfloh und zu ihren neun derweil erwachsenen Kinder die Beziehung halten will, vereitelt der hektische Alltag in der militarisierten oft die kreative Arbeit am Manuskript. "Eine Frau mit Vergangenheit", diese teils autobiographische Geschichte eines jüdischen entfant terrible, einer Frau, die ihres Liebhabers wegen Jerusalem verläßt und nach Berlin auswandert, wo sie in einem Altersheim ihre Erinnerungen resumiert , dieser von List nun vorgelegte Roman, avancierte vor Ausbruch der Tempelberg-Intifada zum israelischen Bestseller. Heute widmet sich die angesehene Autorin vor allem ihrer Familie.

    Nachts wache ich oft auf, bin nass geschwitzt, geweckt von meinem eigenen Schrei. Wie mir ergeht es manchen, viele leiden an diesem Stress, einige meiner Freunde können nicht mehr schreiben. Für mich trifft das nicht zu, die Arbeit tut mir gut. Wenn ich schreibe, kann ich alles kontrollieren, wenn alles in Scherben fällt, dann bleibt mir meine Welt. Wenn ich vom Chaos umgeben bin, sitze ich am Computer, ich bin die Königin und halte alle Fäden in der Hand.