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Israel
Umstrittene Werbung um Einwanderer

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat nach den Anschlägen von Paris Juden in aller Welt eindringlich dazu aufgerufen, nach Israel auszuwandern. Die jüdischen Gemeinden der Diaspora sind von der Aufforderung nicht gerade begeistert.

Von Christian Wagner | 07.03.2015
    Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu
    Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu (imago/UPI Photo)
    Wenn der israelische Ministerpräsident die Juden weltweit dazu aufruft, nach Israel auszuwandern, dann ist das nichts Überraschendes. Das Recht auf die israelische Staatsbürgerschaft für jeden Juden ist in Israel per Gesetz verankert. Israel wirbt schon immer um jüdische Zuwanderer.
    Bemerkenswert allerdings war es, wie eindringlich Benjamin Netanjahu die französischen Juden noch bei seinem Trauer-Besuch nach den Terror-Überfällen von Paris Anfang Januar aufforderte, nach Israel zu kommen. Denn es werde noch mehr antisemitische Überfälle geben, so Netanjahu:
    "Natürlich haben Juden ein Recht auf Schutz, wo immer sie auch leben. Aber wir sagen unseren jüdischen Brüdern und Schwestern: "Ihr seid in Israel zuhause." Wir stellen uns auf eine Massen-Einwanderung aus Europa ein."
    In den vergangenen Jahren hatte sich die Zahl der jüdischen Einwanderer aus Frankreich von Jahr zu Jahr verdoppelt. 2013 waren es noch knapp dreieinhalb Tausend, im vergangenen Jahr - nach offiziellen Angaben - 7.000. Die Juden aus Frankreich stellen damit zum ersten Mal die größte Gruppe der Neu-Einwanderer. Aus der Ukraine kamen unter dem Eindruck der Separatistenkämpfe dort rund 6.000 Menschen.
    Insgesamt mehr als 26.000 Juden aus aller Welt haben im vergangenen Jahr ihr Recht zur Einwanderung in Anspruch genommen. Die gestiegenen Zahlen will Regierungschef Netanjahu nicht nur als Folge von Judenfeindlichkeit verstanden wissen, sondern auch als Beleg für die Attraktivität Israels. Vor einer Sitzung seines Kabinetts wandte er sich an die Juden Frankreichs - nach den USA ist das die zweitgrößte Diaspora-Gemeinde:
    "Ich möchte euch sagen: Ihr betet nicht nur für Israel, es ist auch eure Heimat. Wir werden beraten, wie die Einwanderung aus Frankreich gefördert werden kann. Aber auch aus all den anderen europäischen Ländern, in denen die Judenfeindlichkeit zunimmt. Jeder Jude, der nach Israel einwandern will, wird hier herzlich und mit offenen Armen empfangen. Wir werden euch helfen, Fuß zu fassen in unserem Land, das auch euer Land ist."
    Neu-Einwanderer haben es in Israel nicht leicht
    Zu schaffen macht ein solcher Aufruf den jüdischen Gemeinden, vor allem in Europa. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, formulierte nach dem Anschlag von Kopenhagen vorsichtig, er sehe "keinen Anlass für Juden, sich mit Abwanderungsgedanken zu befassen".
    Und der französische Oberrabbiner Haim Korsia beklagt zwar, Frankreich sei zu lange gleichgültig gewesen gegenüber judenfeindlicher und rassistischer Gewalt. Aber gleichzeitig bemühte er sich, Netanjahus Auswanderungs-Aufrufen etwas entgegenzusetzen:
    "Der israelische Ministerpräsident sagt, was er sagen muss. Der Punkt ist aber doch, egal wie wir uns entscheiden, es soll eine freie Entscheidung sein. Das ist wichtig. Wenn die französischen Juden ihr Land jetzt verlassen würden, dann würden sie ein Land verlassen, in dem sie gerne leben. Sie lieben die französische Gesellschaft. Es gibt bei uns ein altes Sprichwort: "So glücklich wie ein Jude in Frankreich" Das zeigt: Der jüdischen Gemeinde in Frankreich geht es gut."
    Und einfach ist es für die Neu-Einwanderer in Israel nicht. Sie müssen auf einem schwierigen Wohnungsmarkt eine Bleibe finden und Hebräisch lernen, einen Job finden. Und sie treffen auf eine Gesellschaft, die gerade eine heftige Diskussion über die Lebensumstände und über Auswanderer führt.
    Angestoßen hat sie Naor Narkis, der einige Monate in Berlin gelebt hat. Über Facebook rief er andere junge Israelis auf, es genauso zu machen, hat ihnen Wohnungen und Jobs vermittelt. Denn Naor sagt: Nur so könne man noch protestieren gegen die hohen Lebenshaltungskosten und die Wohnungskrise in Israel.
    "Mit meiner Aktion habe ich zwei Tabus gebrochen. Erstens: Das Land zu verlassen. Und Zweitens: Auch noch nach Deutschland zu gehen. Dass jemand Israelis dazu aufruft, Israel zu verlassen, ist für viele ältere Israelis eine Schande. Sie haben schließlich so hart dafür gearbeitet, an einem Ort zu leben, wo sie sicher sind."
    Wie viele Israelis dauerhaft oder auch nur zeitweise ihrer Heimat den Rücken kehren, lässt sich schwer sagen. Die Statistik führt nur diejenigen als Auswanderer auf, die ein ganzes Jahr lang nicht mehr nach Israel eingereist sind.