"Ich hoffe, dass Sie ein bißchen mehr Lateinisch können als diese zwei Wörter. (Applaus) Mit tiefer innerer Bewegung und Dank gegenüber der göttlichen Vorsehung betrete ich heute deutschen Boden, dessen Volk und Land ich schon durch frühere Besuche persönlich kennen- und schätzengelernt habe."
Heute kann man sich die Aufbruchstimmung von damals kaum noch vorstellen. Der polnische Kardinal Woityla aus Krakau, der 2 Jahre zuvor, am 16. Oktober 1978, zum Papst gewählt worden war und sich den Namen Johannes Paul II gegeben hatte, galt als Hoffnungsträger. Große Erwartungen hatte nicht nur die Katholiken, sondern - weit über Deutschland hinaus - auch die Juden in aller Welt. Denn mit Christentum und Kirche, gleich ob evangelisch oder katholisch, verban-den viele Juden eher negative Erfahrungen. Und jetzt war da ein Papst gewählt worden, der sehr bewußt seinen Besuch in Deutschland als Ort einer theologisch-politischen Demon-stration wählte: der Begegnung mit den Vertretern des Zentralrates der Juden in Deutschland. Der Münsteraner Theologieprofessor Erich Zenger:
"Aber es ist zunächst einmal ein Kennzeichen des Pontifikates dieses Papstes, dass er immer, wo es möglich war, die direkte Begegnung mit jüdischen Gemeinden, mit Juden in den Ländern, die er besucht hat, wenn es dort jüdische Gemeinden gibt, dass er dort den persönlichen Kontakt gesucht. Das wissen wir nicht nur von Deutschland her. Aber dass er damals, 1980, vor Juden, vor Vertretern der deutschen Juden, seine Botschaft klar formuliert hat, dass Gott den Bund nicht gekündigt hat."
Der "ungekündigte Bund" wurde zu einem Begriff, der das Verhältnis der Christen zum Judentum beschreiben soll: Die Anerkennung der simplen Tatsache, dass Juden weiterhin als Juden leben, neben und trotz der Kirchen. Doch mit dieser Erkenntnis konnten viele Christen nichts anfangen.
Auch nicht der Vatikan. Denn zu den wenigen Ländern auf dieser Welt - und der Vatikan ist ja auch ein Staat -, die dem Staat der Juden, Israel, die Anerkennung verweigerten, zählte der Vatikan. Der frühere Botschafter Israels in der Bundesrepublik und heutige Vizepräsident der Universität Tel Aviv, Avi Primor:
"Als Zionisten waren wir natürlich sehr oft über den Vatikan verzweifelt. Der Vatikan wollte die zionistische Bewegung nicht unterstützen, und das konnten wir aus religiösen Gründen vielleicht verstehen, aber das hat uns doch betrübt. Also, wir dachten, die Theologen im Vatikan würden meinen, dass die Juden kein Recht hätten, wieder ein normales Volk zu werden, wieder ein politisches Wesen zu werden, wieder ihre Unabhängigkeit und Souveränität zu erzielen, solange sie sich nicht taufen ließen."
Von Anbeginn an, lehnte Rom den Zionismus ab. Zionismus, das war der Traum von der Rückkehr der Juden in ihre biblische Heimat, nach Zion, nach Jerusalem.
Der Gedanke einer Rückkehr der Juden in Heilige Land wurde von der katholischen Kirche, vor allem von Rom und dem Papsttum, als Infragestellung der eigenen Ansprüche be-trachtet. Im Gegensatz zu vielen protestantischen Kirchen, lehnte Rom den Zionismus ab. Wenn die Juden, so die katholischen Befürchtungen, die Jesus als Messias leugne-ten, die den Anspruch der katholischen Kirche, allein seligmachend zu sein, ablehnten, die deshalb von Gott verworfen seien, die als Strafe ihr Land verloren hatten, jetzt in eben dieses biblische Land zurückkehrten, was würde dann aus der Kirche? Wäre das nicht der Beweis, dass ihr Anspruch zu Unrecht besteht? Dass eben sowohl das Volk der Juden als auch der Staat in einem "ungekündigten Bund" lebten, wie es später heißen sollte?
Seit drei Jahrzehnten ist Edna Brocke, die Leiterin der Alten Synagoge in Essen, eine der wichtigen jüdischen Gesprächspartner im christlich-jüdischen Dialog:
"Der Gedanke, dass Juden eine Form eine Form der Selbstbe-stimmung gesucht haben und formuliert haben, ist sicherlich sehr ambivalent aufgenommen worden, jetzt mal ungeachtet von dem geographischen Ort, wo ein solcher Staat entstehen würde. Die Ambivalenz liegt darin, dass die Beziehung des Christentums zum Judentum bis heute eine ungeklärte ist."
Der erste große Versuch, eine neue Haltung zum Judentum zu entwickeln, war das 2. Vatikanische Konzil. Es wurde von Papst Johannes XXIII im Oktober 1962 eröffnet.
Johannes XXIII gilt als einer der bedeutendsten Erneuerer der katholischen Kirche. Er war der erste Papst, der voller Liebe und Offenheit auf Juden zuging. Er begründet die Tradition des Dialogs auf höchster Ebene. Bei einem dieser Treffen ging er mit ausgebreiteten Armen auf die jüdischen Vertreter zu: "Ich bin Josef, euer Bruder."
"Denn das 2. Vatikanische Konzil hat die erste große kirch-liche Stellungnahme überhaupt abgegeben, die versucht, das Verhältnis der Kirche zum Judentum bibelgemäß und in Ver-antwortung vor der Geschichte überhaupt zu überdenken. Die erste große Erklärung, die das Judentum nicht zunächst ein-mal nicht negativ an den Rand drängt, sondern die die Bin-dung der Kirche zum Judentum betont. Das hat es in keinem der Konzilien bis dahin gegeben, und das hat es auch nicht gegeben in der theologischen Tradition eigentlich, die im Umfeld des 2. Vatikanischen Konzils lebendig war. Ich selbst erinnere mich, ich habe in der Zeit ja Theologie studiert: Das, was das 2. Vaticanum über das Verhältnis der Kirche zum Judentum und über das Judentum selbst gesagt hat, kam in meiner Theologie, die ich gehört habe, nicht vor."
Trotzdem war die Empörung über die 1965 verkündete Erklärung des Verhältnisses zum Judentum in der arabischen Welt enorm. Sie sahen insbesondere in der Verurteilung des Anti-semitismus eine "pro-zionistische" Haltung des Vatikans. Unverhohlen wurde mit Konsequenzen für die Christen in den arabischen Ländern gedroht. Tatsächlich war die Druck so stark, dass die Konzilserklärung mehrfach abgeschwächt wurde und letztlich nur noch einer Absichtserklärung glich. Dennoch galt sie als sensationell. Prof. Erich Zenger:
"Das Neue, kann man sagen, liegt in drei Punkte. Es ist zum einen die dezidierte Erklärung, dass der Bund Gottes mit Israel nicht gekündigt ist. Das zweite: Zum ersten Mal wird versucht, auch, sagen wir, den Tod Jesu historisch diffe-renzierter zu sehen und damit auch die Frage nach der Ver-antwortung, die historische Verantwortung und die theologi-sche für den Tod Jesu neu zu sehen. Die immer wiederholte an Karfreitagen, mit aller Emphase vertretene These, dass die Juden Gottesmörder seien, also einmal, "die Juden", kollektiv, von damals bis heute, historisch nicht differen-ziert, dass an der Hinrichtung Jesu ja zunächst einmal die römischen Behörden das entscheidende Wort gesprochen haben, wenngleich natürlich unter Mitwirkung der jüdischen Tempel-aristokratie, ist der Versuch gemacht, hier wirklich diffe-renzierter die Dinge zu sehen und auch klar zu erklären, weder den Juden damals noch den Juden heute kann kollektiv die Hinrichtung Jesu, der Kreuzestod, angelastet werden. Und drittens: Das Konzil sieht auch so etwas wie eine theologische Zeitgenossenschaft zwischen heutigem Judentum und heutige Kirche."
Doch der politische Schritt hin zu einer Anerkennung des Staates Israel bleibt aus. Auch Johannes Paul II mied diesen Schritt, bis eine Isolation des Vatikans, der Ausschluß von den politischen Gesprächen um Frieden im Nahen Osten drohte.
Die Position des Papstes aus der Sicht von Edna Brocke und Avi Primor.
"Ich glaube, man muss mit Eindeutigkeit feststellen, dass er einen neuen Akzent in die Beziehung des Vatikans zum Staat Israel eingeführt hat, das ist evident. Dieser veränderte Akzent ist allerdings aus meiner Sicht begrenzt auf die zwischenmenschliche Erfahrung. Dieser Papst kommt aus einem Land, in dem er in der Zeit vor der Shoah ganz, ganz viele Juden persönlich gekannt hat. Und all das, was in der Zeit des Nationalsozialismus geschehen ist, in Polen im Besonderen, aber in Europa insgesamt, hat biographisch bei diesem Papst einen ganz tiefen Eindruck hinterlassen. Und vor diesem sehr individuellen und persönlichen Hinter-grund setzt er seine Akzente. Leider sehe ich parallel dazu nicht eine Entwicklung im Theologischen, die dem Schritt halten könnte."
Primor: "Nach dem, was jetzt im Vatikan geschah, freut man sich auf den Besuch. Was man erwartet, ist, dass diese, sagen wir Ergebnisse, die wir schon erlebt haben, die wir schon er-zielt haben, jetzt fruchtbar werden. Fruchtbar im Sinne, dass wir die Beziehungen tatsächlich auch im Alltag ent-wickeln können. Ich glaube, dass der Papst wahrscheinlich uns noch Überraschungen für seinen Besuch vorbereitet. Ich freue mich sehr auf den Besuch, weil ich weiß, dass das ein neuer Anfang für uns ein wird."
Brocke: "Ich vermisse den theologischen Akzent, was aber nichts mindern soll an dem Schritt, den er bereits getan hat und den ich für sehr wichtig halte. Es soll jetzt nicht so klingen, als wäre das gar nichts. Nur, es ist eben nicht alles, es ist nicht der Punkt, den ich persönlich für entscheidend halte. Ich vermisse eine Einsicht in die christlich-theologische Position der Jahrhunderte seit Entstehen des Christentums. Ich vermisse eine Einsicht, dass das Christentum von seiner Entstehung an nicht definieren konnte, wie es sich dem Judentum gegenüber verhält. Und aus dieser inneren Schwäche heraus folgten ganz viele theologische dogmatische Sätze, die bis heute, speziell im theologischen Raum, virulent sind."
Primor: "Wir haben ja immer mit dem Gefühl gelebt, dass es eigent-lich keinen Dialog gibt, keinen Dialog geben kann zwischen der katholischen Kirche und, ja, ich sage schon, der jüdi-schen Religion, aber bestimmt mit dem jüdischen Staat. Man hat sich gegenseitig, wenn ich eine Untertreibung benutzen darf, nicht sehr geliebt und nicht vertraut. Aber jetzt, wo der Papst den Geistlichen des Staates Israel einen Dialog anbietet, wo er auch den Hintergrund dazu vorbereitet hat und wo die Geistlichen in Israel so ein Treffen diesmal mit Optimismus erwarten, glaube ich, dass wir tatsächlich einen neuen Anfang haben werden."
In der Tat. Die Reise des Papstes Anfang kommender Woche ins Heilige Land hat einen überdeutlichen israelischen Schwerpunkt. Prof. Erich Zenger:
"Wenn der Papst sagt, dass diese Reise so etwas wie ein Höhepunkt seines päpstlichen Amtes, seines Pontifikates sein soll, ein emotionaler und spiritualer Höhepunkt, und dass er schon seit Jahren die Sehnsucht hat, wie er das immer etwas pathetisch sagt, nach Israel zu fahren, dass das nun endlich geschieht, dann würde ich nicht die Rede von Normalität gebrauchen. Dann würde man der Bedeutung dieses Besuches nicht gerecht werden. Nein, nein, ich glaube, das ist ein Mann, der Zeichen setzen kann. Und er will damit ein Zeichen setzen, dass dies eine ganz zentrale Aufgabe auf dem Weg in das neue Jahrtausend ist, dass sich hier die grundlegenden Netze, in denen Kirche entstanden ist und in denen sie lebt, dass sie die bewusst macht, dass sie die anerkennt."
Dem diente auch die Erklärung "Meta Culpa" vom vergangenen Sonntag, in der erstmals die römisch-katholische Kirche ihr eigenes Versagen beklagte. Hat diese Stellungnahme den Boden für den Papst in Israel bereitet, das alte Mißtrauen gemildert?
Brocke: "Das glaube ich mit Sicherheit, denn in Israel ist die Wahrnehmung von all dem, was im Kontext von religiösem Christentum geschieht, eine periphere Erscheinung. Und von daher ist ein Papst, der sich öffentlich entschuldigt für Dinge wie Kreuzzüge, wie Inquisition, wie das Schweigen zur Zeit der Shoah, das sind mit Sicherheit Dinge, die in Israel großen Eindruck gemacht haben und atmosphärisch dazu beitragen werden, das der Besuch besser verläuft, als wenn diese "Meta Culpa"-Messe nicht gehalten worden wäre."
"Aber es ist keine Frage, dass der Papst bewußt vor seiner Reise dieses große Schuldbekenntnis ablegen wollte für die Kirche, das natürlich einen besonderen Schwerpunkt auch in Blick auf das Heilige Land hat und dort ja gerade auf zwei Feldern: einmal im Blick auf die Kreuzfahrerzeit, aber dann natürlich nun, besonders wichtig für Israel, nämlich das Versagen der Kirche gegenüber den Juden und das Vergessen der jüdischen Wurzeln des Christentums mit all den Folgen, die die 2000jährige Geschichte bis zum Holocaust hin gezeigt hat."
Dennoch hat die Erklärung auch heftige Kritik ausgelöst. Zu vage, zu milde, zu wenig selbstkritisch. Zu den Kritikern zählt auch Erich Zenger:
"Meine Kritik geht eigentlich tiefer. Die ganze Schuld-erklärung und die innerkirchliche Diskussion über dieses Schuldbekenntnis geht ja über die Frage: Das Schuldbekennt-nis spricht immer nur von der Schuld der Söhne und der Töchter der Kirche. Aber die Kirche selbst, heißt es, als die Braut Christi ist makellos. Wenn man schon sagt, wir beklagen nur die Sünde Einzelner, die Kirche als Ganze kann nicht sündigen, dann hätte ich mir gewünscht, dass wenig-stens deutlicher nicht nur von Söhnen und Töchtern gespro-chen worden wäre. Im normalen Sprachgebrauch ist das immer das einfache Kirchenvolk. Dann soll man sagen: Söhne und Töchter und in besonderer Weise die kirchlichen Amtsträger sind schuldig geworden, vor allem, weil sie auch geschwiegen haben. Und was mir fehlt: Ich kann nicht unterschreiben die von der 'Mea Culpa'-Erklärung gegebene Unterscheidung, die auch schon in dem vatikanischen Dokument 'Wir erinnern' vom letzten Jahr gegeben war, dass es keinen Zusammenhang zwischen der theologischen Judenfeindschaft und dem Antisemitismus gibt. Natürlich ist das keine klare, sozusagen genetische Linie, die von der theologischen Judenfeindschaft zum Antisemitismus führt, aber das ist doch keine Frage. Das ist doch eine theologische Binsenwahrheit, und Rom verdrängt das immer nur. Es ist eine Binsenwahrheit, dass die theologische mit eine der Ursachen war, die zum Antisemitismus geführt haben, da dürfen wir uns doch nichts vormachen."
Dennoch hebt Avi Primor die positiven Auswirkungen hervor:
"Nach 2000 Jahren von Hass, Verfolgung, Verdacht kann man nicht so von einem Tag auf den anderen von ganz offenen, vertraulichen und sogar freundlichen Beziehungen sprechen. Aber das ist der erste Schritt, ein sehr, sehr wesentlicher Schritt. Es gibt natürlich Leute bei uns und in den jüdi-schen Gemeinschaften in aller Welt, die sagen, der Papst ist nicht weit genug gegangen, er hat den Holocaust nicht unmittelbar erwähnt, er hat seinen Vorgänger Pius XII. nicht unmittelbar erwähnt usw. Man kann es immer besser machen, man kann immer mehr machen, aber der Papst kann ja auch nicht alles machen ohne Rücksicht zu nehmen auf Leute, die darauf noch nicht psychologisch vorbereitet sind in seinem Lager. Also hat er einen sehr, sehr wesentlichen Schritt eingeleitet, es soll jetzt weitergehen."
Neben dem rein religiösen Programm mit vielen Messen an den heiligen Stätten der Christenheit in Jordanien, Palästina und Israel, stehen die Begegnung im jüdische Staat im Zentrum. Noch einmal Erich Zenger:
"Das ist eine Mischung aus Politik, Erinnerung an Jüdisches und Verlebendigung christlich-jüdischer, jüdisch-christli-cher Bindungen, aber ein Aufsuchen originär authentisch jüdischer Stätten, Treffen mit den Muslimen, insgesamt eigentlich, finde ich schon, so etwas wie eine Summe des Kampfes dieses Papstes. An diesem Punkt ist er wirklich progressiv für einen Frieden unter den Religionen."
Heute kann man sich die Aufbruchstimmung von damals kaum noch vorstellen. Der polnische Kardinal Woityla aus Krakau, der 2 Jahre zuvor, am 16. Oktober 1978, zum Papst gewählt worden war und sich den Namen Johannes Paul II gegeben hatte, galt als Hoffnungsträger. Große Erwartungen hatte nicht nur die Katholiken, sondern - weit über Deutschland hinaus - auch die Juden in aller Welt. Denn mit Christentum und Kirche, gleich ob evangelisch oder katholisch, verban-den viele Juden eher negative Erfahrungen. Und jetzt war da ein Papst gewählt worden, der sehr bewußt seinen Besuch in Deutschland als Ort einer theologisch-politischen Demon-stration wählte: der Begegnung mit den Vertretern des Zentralrates der Juden in Deutschland. Der Münsteraner Theologieprofessor Erich Zenger:
"Aber es ist zunächst einmal ein Kennzeichen des Pontifikates dieses Papstes, dass er immer, wo es möglich war, die direkte Begegnung mit jüdischen Gemeinden, mit Juden in den Ländern, die er besucht hat, wenn es dort jüdische Gemeinden gibt, dass er dort den persönlichen Kontakt gesucht. Das wissen wir nicht nur von Deutschland her. Aber dass er damals, 1980, vor Juden, vor Vertretern der deutschen Juden, seine Botschaft klar formuliert hat, dass Gott den Bund nicht gekündigt hat."
Der "ungekündigte Bund" wurde zu einem Begriff, der das Verhältnis der Christen zum Judentum beschreiben soll: Die Anerkennung der simplen Tatsache, dass Juden weiterhin als Juden leben, neben und trotz der Kirchen. Doch mit dieser Erkenntnis konnten viele Christen nichts anfangen.
Auch nicht der Vatikan. Denn zu den wenigen Ländern auf dieser Welt - und der Vatikan ist ja auch ein Staat -, die dem Staat der Juden, Israel, die Anerkennung verweigerten, zählte der Vatikan. Der frühere Botschafter Israels in der Bundesrepublik und heutige Vizepräsident der Universität Tel Aviv, Avi Primor:
"Als Zionisten waren wir natürlich sehr oft über den Vatikan verzweifelt. Der Vatikan wollte die zionistische Bewegung nicht unterstützen, und das konnten wir aus religiösen Gründen vielleicht verstehen, aber das hat uns doch betrübt. Also, wir dachten, die Theologen im Vatikan würden meinen, dass die Juden kein Recht hätten, wieder ein normales Volk zu werden, wieder ein politisches Wesen zu werden, wieder ihre Unabhängigkeit und Souveränität zu erzielen, solange sie sich nicht taufen ließen."
Von Anbeginn an, lehnte Rom den Zionismus ab. Zionismus, das war der Traum von der Rückkehr der Juden in ihre biblische Heimat, nach Zion, nach Jerusalem.
Der Gedanke einer Rückkehr der Juden in Heilige Land wurde von der katholischen Kirche, vor allem von Rom und dem Papsttum, als Infragestellung der eigenen Ansprüche be-trachtet. Im Gegensatz zu vielen protestantischen Kirchen, lehnte Rom den Zionismus ab. Wenn die Juden, so die katholischen Befürchtungen, die Jesus als Messias leugne-ten, die den Anspruch der katholischen Kirche, allein seligmachend zu sein, ablehnten, die deshalb von Gott verworfen seien, die als Strafe ihr Land verloren hatten, jetzt in eben dieses biblische Land zurückkehrten, was würde dann aus der Kirche? Wäre das nicht der Beweis, dass ihr Anspruch zu Unrecht besteht? Dass eben sowohl das Volk der Juden als auch der Staat in einem "ungekündigten Bund" lebten, wie es später heißen sollte?
Seit drei Jahrzehnten ist Edna Brocke, die Leiterin der Alten Synagoge in Essen, eine der wichtigen jüdischen Gesprächspartner im christlich-jüdischen Dialog:
"Der Gedanke, dass Juden eine Form eine Form der Selbstbe-stimmung gesucht haben und formuliert haben, ist sicherlich sehr ambivalent aufgenommen worden, jetzt mal ungeachtet von dem geographischen Ort, wo ein solcher Staat entstehen würde. Die Ambivalenz liegt darin, dass die Beziehung des Christentums zum Judentum bis heute eine ungeklärte ist."
Der erste große Versuch, eine neue Haltung zum Judentum zu entwickeln, war das 2. Vatikanische Konzil. Es wurde von Papst Johannes XXIII im Oktober 1962 eröffnet.
Johannes XXIII gilt als einer der bedeutendsten Erneuerer der katholischen Kirche. Er war der erste Papst, der voller Liebe und Offenheit auf Juden zuging. Er begründet die Tradition des Dialogs auf höchster Ebene. Bei einem dieser Treffen ging er mit ausgebreiteten Armen auf die jüdischen Vertreter zu: "Ich bin Josef, euer Bruder."
"Denn das 2. Vatikanische Konzil hat die erste große kirch-liche Stellungnahme überhaupt abgegeben, die versucht, das Verhältnis der Kirche zum Judentum bibelgemäß und in Ver-antwortung vor der Geschichte überhaupt zu überdenken. Die erste große Erklärung, die das Judentum nicht zunächst ein-mal nicht negativ an den Rand drängt, sondern die die Bin-dung der Kirche zum Judentum betont. Das hat es in keinem der Konzilien bis dahin gegeben, und das hat es auch nicht gegeben in der theologischen Tradition eigentlich, die im Umfeld des 2. Vatikanischen Konzils lebendig war. Ich selbst erinnere mich, ich habe in der Zeit ja Theologie studiert: Das, was das 2. Vaticanum über das Verhältnis der Kirche zum Judentum und über das Judentum selbst gesagt hat, kam in meiner Theologie, die ich gehört habe, nicht vor."
Trotzdem war die Empörung über die 1965 verkündete Erklärung des Verhältnisses zum Judentum in der arabischen Welt enorm. Sie sahen insbesondere in der Verurteilung des Anti-semitismus eine "pro-zionistische" Haltung des Vatikans. Unverhohlen wurde mit Konsequenzen für die Christen in den arabischen Ländern gedroht. Tatsächlich war die Druck so stark, dass die Konzilserklärung mehrfach abgeschwächt wurde und letztlich nur noch einer Absichtserklärung glich. Dennoch galt sie als sensationell. Prof. Erich Zenger:
"Das Neue, kann man sagen, liegt in drei Punkte. Es ist zum einen die dezidierte Erklärung, dass der Bund Gottes mit Israel nicht gekündigt ist. Das zweite: Zum ersten Mal wird versucht, auch, sagen wir, den Tod Jesu historisch diffe-renzierter zu sehen und damit auch die Frage nach der Ver-antwortung, die historische Verantwortung und die theologi-sche für den Tod Jesu neu zu sehen. Die immer wiederholte an Karfreitagen, mit aller Emphase vertretene These, dass die Juden Gottesmörder seien, also einmal, "die Juden", kollektiv, von damals bis heute, historisch nicht differen-ziert, dass an der Hinrichtung Jesu ja zunächst einmal die römischen Behörden das entscheidende Wort gesprochen haben, wenngleich natürlich unter Mitwirkung der jüdischen Tempel-aristokratie, ist der Versuch gemacht, hier wirklich diffe-renzierter die Dinge zu sehen und auch klar zu erklären, weder den Juden damals noch den Juden heute kann kollektiv die Hinrichtung Jesu, der Kreuzestod, angelastet werden. Und drittens: Das Konzil sieht auch so etwas wie eine theologische Zeitgenossenschaft zwischen heutigem Judentum und heutige Kirche."
Doch der politische Schritt hin zu einer Anerkennung des Staates Israel bleibt aus. Auch Johannes Paul II mied diesen Schritt, bis eine Isolation des Vatikans, der Ausschluß von den politischen Gesprächen um Frieden im Nahen Osten drohte.
Die Position des Papstes aus der Sicht von Edna Brocke und Avi Primor.
"Ich glaube, man muss mit Eindeutigkeit feststellen, dass er einen neuen Akzent in die Beziehung des Vatikans zum Staat Israel eingeführt hat, das ist evident. Dieser veränderte Akzent ist allerdings aus meiner Sicht begrenzt auf die zwischenmenschliche Erfahrung. Dieser Papst kommt aus einem Land, in dem er in der Zeit vor der Shoah ganz, ganz viele Juden persönlich gekannt hat. Und all das, was in der Zeit des Nationalsozialismus geschehen ist, in Polen im Besonderen, aber in Europa insgesamt, hat biographisch bei diesem Papst einen ganz tiefen Eindruck hinterlassen. Und vor diesem sehr individuellen und persönlichen Hinter-grund setzt er seine Akzente. Leider sehe ich parallel dazu nicht eine Entwicklung im Theologischen, die dem Schritt halten könnte."
Primor: "Nach dem, was jetzt im Vatikan geschah, freut man sich auf den Besuch. Was man erwartet, ist, dass diese, sagen wir Ergebnisse, die wir schon erlebt haben, die wir schon er-zielt haben, jetzt fruchtbar werden. Fruchtbar im Sinne, dass wir die Beziehungen tatsächlich auch im Alltag ent-wickeln können. Ich glaube, dass der Papst wahrscheinlich uns noch Überraschungen für seinen Besuch vorbereitet. Ich freue mich sehr auf den Besuch, weil ich weiß, dass das ein neuer Anfang für uns ein wird."
Brocke: "Ich vermisse den theologischen Akzent, was aber nichts mindern soll an dem Schritt, den er bereits getan hat und den ich für sehr wichtig halte. Es soll jetzt nicht so klingen, als wäre das gar nichts. Nur, es ist eben nicht alles, es ist nicht der Punkt, den ich persönlich für entscheidend halte. Ich vermisse eine Einsicht in die christlich-theologische Position der Jahrhunderte seit Entstehen des Christentums. Ich vermisse eine Einsicht, dass das Christentum von seiner Entstehung an nicht definieren konnte, wie es sich dem Judentum gegenüber verhält. Und aus dieser inneren Schwäche heraus folgten ganz viele theologische dogmatische Sätze, die bis heute, speziell im theologischen Raum, virulent sind."
Primor: "Wir haben ja immer mit dem Gefühl gelebt, dass es eigent-lich keinen Dialog gibt, keinen Dialog geben kann zwischen der katholischen Kirche und, ja, ich sage schon, der jüdi-schen Religion, aber bestimmt mit dem jüdischen Staat. Man hat sich gegenseitig, wenn ich eine Untertreibung benutzen darf, nicht sehr geliebt und nicht vertraut. Aber jetzt, wo der Papst den Geistlichen des Staates Israel einen Dialog anbietet, wo er auch den Hintergrund dazu vorbereitet hat und wo die Geistlichen in Israel so ein Treffen diesmal mit Optimismus erwarten, glaube ich, dass wir tatsächlich einen neuen Anfang haben werden."
In der Tat. Die Reise des Papstes Anfang kommender Woche ins Heilige Land hat einen überdeutlichen israelischen Schwerpunkt. Prof. Erich Zenger:
"Wenn der Papst sagt, dass diese Reise so etwas wie ein Höhepunkt seines päpstlichen Amtes, seines Pontifikates sein soll, ein emotionaler und spiritualer Höhepunkt, und dass er schon seit Jahren die Sehnsucht hat, wie er das immer etwas pathetisch sagt, nach Israel zu fahren, dass das nun endlich geschieht, dann würde ich nicht die Rede von Normalität gebrauchen. Dann würde man der Bedeutung dieses Besuches nicht gerecht werden. Nein, nein, ich glaube, das ist ein Mann, der Zeichen setzen kann. Und er will damit ein Zeichen setzen, dass dies eine ganz zentrale Aufgabe auf dem Weg in das neue Jahrtausend ist, dass sich hier die grundlegenden Netze, in denen Kirche entstanden ist und in denen sie lebt, dass sie die bewusst macht, dass sie die anerkennt."
Dem diente auch die Erklärung "Meta Culpa" vom vergangenen Sonntag, in der erstmals die römisch-katholische Kirche ihr eigenes Versagen beklagte. Hat diese Stellungnahme den Boden für den Papst in Israel bereitet, das alte Mißtrauen gemildert?
Brocke: "Das glaube ich mit Sicherheit, denn in Israel ist die Wahrnehmung von all dem, was im Kontext von religiösem Christentum geschieht, eine periphere Erscheinung. Und von daher ist ein Papst, der sich öffentlich entschuldigt für Dinge wie Kreuzzüge, wie Inquisition, wie das Schweigen zur Zeit der Shoah, das sind mit Sicherheit Dinge, die in Israel großen Eindruck gemacht haben und atmosphärisch dazu beitragen werden, das der Besuch besser verläuft, als wenn diese "Meta Culpa"-Messe nicht gehalten worden wäre."
"Aber es ist keine Frage, dass der Papst bewußt vor seiner Reise dieses große Schuldbekenntnis ablegen wollte für die Kirche, das natürlich einen besonderen Schwerpunkt auch in Blick auf das Heilige Land hat und dort ja gerade auf zwei Feldern: einmal im Blick auf die Kreuzfahrerzeit, aber dann natürlich nun, besonders wichtig für Israel, nämlich das Versagen der Kirche gegenüber den Juden und das Vergessen der jüdischen Wurzeln des Christentums mit all den Folgen, die die 2000jährige Geschichte bis zum Holocaust hin gezeigt hat."
Dennoch hat die Erklärung auch heftige Kritik ausgelöst. Zu vage, zu milde, zu wenig selbstkritisch. Zu den Kritikern zählt auch Erich Zenger:
"Meine Kritik geht eigentlich tiefer. Die ganze Schuld-erklärung und die innerkirchliche Diskussion über dieses Schuldbekenntnis geht ja über die Frage: Das Schuldbekennt-nis spricht immer nur von der Schuld der Söhne und der Töchter der Kirche. Aber die Kirche selbst, heißt es, als die Braut Christi ist makellos. Wenn man schon sagt, wir beklagen nur die Sünde Einzelner, die Kirche als Ganze kann nicht sündigen, dann hätte ich mir gewünscht, dass wenig-stens deutlicher nicht nur von Söhnen und Töchtern gespro-chen worden wäre. Im normalen Sprachgebrauch ist das immer das einfache Kirchenvolk. Dann soll man sagen: Söhne und Töchter und in besonderer Weise die kirchlichen Amtsträger sind schuldig geworden, vor allem, weil sie auch geschwiegen haben. Und was mir fehlt: Ich kann nicht unterschreiben die von der 'Mea Culpa'-Erklärung gegebene Unterscheidung, die auch schon in dem vatikanischen Dokument 'Wir erinnern' vom letzten Jahr gegeben war, dass es keinen Zusammenhang zwischen der theologischen Judenfeindschaft und dem Antisemitismus gibt. Natürlich ist das keine klare, sozusagen genetische Linie, die von der theologischen Judenfeindschaft zum Antisemitismus führt, aber das ist doch keine Frage. Das ist doch eine theologische Binsenwahrheit, und Rom verdrängt das immer nur. Es ist eine Binsenwahrheit, dass die theologische mit eine der Ursachen war, die zum Antisemitismus geführt haben, da dürfen wir uns doch nichts vormachen."
Dennoch hebt Avi Primor die positiven Auswirkungen hervor:
"Nach 2000 Jahren von Hass, Verfolgung, Verdacht kann man nicht so von einem Tag auf den anderen von ganz offenen, vertraulichen und sogar freundlichen Beziehungen sprechen. Aber das ist der erste Schritt, ein sehr, sehr wesentlicher Schritt. Es gibt natürlich Leute bei uns und in den jüdi-schen Gemeinschaften in aller Welt, die sagen, der Papst ist nicht weit genug gegangen, er hat den Holocaust nicht unmittelbar erwähnt, er hat seinen Vorgänger Pius XII. nicht unmittelbar erwähnt usw. Man kann es immer besser machen, man kann immer mehr machen, aber der Papst kann ja auch nicht alles machen ohne Rücksicht zu nehmen auf Leute, die darauf noch nicht psychologisch vorbereitet sind in seinem Lager. Also hat er einen sehr, sehr wesentlichen Schritt eingeleitet, es soll jetzt weitergehen."
Neben dem rein religiösen Programm mit vielen Messen an den heiligen Stätten der Christenheit in Jordanien, Palästina und Israel, stehen die Begegnung im jüdische Staat im Zentrum. Noch einmal Erich Zenger:
"Das ist eine Mischung aus Politik, Erinnerung an Jüdisches und Verlebendigung christlich-jüdischer, jüdisch-christli-cher Bindungen, aber ein Aufsuchen originär authentisch jüdischer Stätten, Treffen mit den Muslimen, insgesamt eigentlich, finde ich schon, so etwas wie eine Summe des Kampfes dieses Papstes. An diesem Punkt ist er wirklich progressiv für einen Frieden unter den Religionen."