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Ist Coesfeld überall?

Seit zwei Wochen wird über die Misshandlungen von Bundeswehrsoldaten berichtet und diskutiert. Nach den uns vorliegenden Unterlagen handelt es sich mittlerweile um 14 gemeldete Vorgänge, die CDU/CSU-Opposition im Bundestag spricht schon von 20. Nicht jede Meldung ist aber ein Fall, denn die Meldung setzt ja erst die Ermittlungen in Gang. Einige der Vorgänge sind auch schon abgeschlossen.

Von Rolf Clement und Stefan Maas |
    Eine Kaserne im westfälischen Coesfeld geriet als erstes in den Blick der Öffentlichkeit. Von hier wurden mehrere Fälle von Rekrutenmisshandlung gemeldet: Achtzehn Ausbilder, so der Vorwurf, wollten ihren Untergebenen beibringen, was sie bei einer Geiselvernehmung erwartet. Die jungen Soldaten wurden mit Kabelbindern gefesselt und mit Stiefelsäcken über dem Kopf in die Kaserne transportiert. Dort wurden die Rekruten nach Angaben des Magazins "Der Spiegel" mit Wasser bespritzt. Zwei der "-Übungs-Geiseln" sollen mit Stromstößen im Hals-, Leisten- und Bauchbereich gequält worden sein. Nachdem diese Übungen bekannt geworden waren, wurden Vorfälle aus dem Juni, August und September untersucht, die 17 Unteroffiziere und der eine Offizier vom Dienst suspendiert und die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Vier der beschuldigten Ausbildern wurden entlassen, sagte Verteidigungsminister Struck. Insgesamt wird gegen mehr als 30 Ausbilder wegen dienst- oder strafrechtlicher Vergehen ermittelt. Denn nach den neuen Ausbildungsrichtlinien, die im Oktober diesen Jahres in Kraft getreten sind, dürfen die Themen Tod, Verwundung und Geiselnahme nur noch im Unterricht abgehandelt werden, keinesfalls aber in einer Übung.

    Ende Januar 2002 ist nach Angaben eines frühren Soldaten in einer Kaserne im westfälischen Ahlen eine Geiselnahme simuliert worden, bei der die Teilnehmer schikaniert worden sein sollen. Wegen fehlender konkreter Angaben wurde bisher niemand beschuldigt. Die Untersuchungen dauern an.

    In Hamm werden Vorfälle vom Januar und Oktober diesen Jahres in einem Sanitätsregiment untersucht. Auch hier dauern die Ermittlungen an. Ähnlich gelagert ist der Fall in einer Dornstädter Kaserne. Hier wurde während einer Geiselübung ein Bus mit Manövermunition beschossen. Mehrere Teilnehmer erlitten ein Knalltrauma. Die Folge: Gegen den Hilfsausbilder wurde eine Disziplinarmaßnahme verhängt.

    Auch aus Baden-Württemberg sind bisher mehrere Fälle bekannt geworden: Bei einer Übung von Ulmer Feldjägern auf dem Flughafen von Stuttgart seien die Teilnehmer des Lehrgangs, während eines nachgestellten terroristischen Überfalls in einem Flugzeug eingesperrt worden. Die Geisel-Statisten, eine Gruppe Grundwehrdienstleistender, hatten sich für diese Übung freiwillig gemeldet, ohne genau zu wissen, was sie erwartete. Den Betroffenen wurden nach Zeugenaussagen Jutesäcke über den Kopf gestülpt, sie mussten sich zwei Stunden mit über den Kopf gehaltenen Händen hinknien. Dann wurden sie nach Medienberichten im Nacken und Genitalbereich mit Wasser überschüttet. Luftwaffeninspekteur Stieglitz berichtete, die Grundwehrdienstleistenden seien bei der Übung so hart geschlagen worden, dass mehrere von ihnen anschließend eine Woche krank gewesen seien. Zeitungsberichte über Schein-Erschießungen von Piloten und Passagieren wurden inzwischen aber vom baden-württembergischen Innenministerium dementiert. An dem Einsatz waren der Flugmedizinische Dienst der Luftwaffe und ein Sondereinsatzkommando der Polizei beteiligt. Die Ermittlungen gegen die Schuldigen seien abgeschlossen, hieß es aus dem Verteidigungsministerium.

    In einer Kaserne in Bruchsal bei Karlsruhe sollen junge Soldaten bei einer Geiselübung im September von ihren Ausbildern malträtiert worden sein. Hier dauern die Ermittlungen noch ebenso an, wie in einem Fall in Kempten im Allgäu. Dort waren Rekruten im April diesen Jahres nach einem Nachtmarsch mit verbundenen Augen in einen feuchten Keller eingesperrt worden.

    Im Februar 2000 wurden bei einer Übung der Luftlandebrigade Wildeshausen in einem extra eingerichteten Gefangenensammelpunkt Befragungen unter harten Bedingungen durchgeführt. Details sind nicht bekannt, jedoch wurden nach Abschluss des Falls Disziplinarbußen gegen drei Beschuldigte verhängt. Die Staatsanwaltschaft wurde nicht eingeschaltet.

    2003 sollen in Doberlug-Kirchheim Soldaten während einer Übung mit Elektroschock-Halsbändern gequält worden sein. Zwar dauern die Ermittlungen noch an, allem Anschein nach haben die Soldaten die Schocks aber freiwillig über sich ergehen lassen.

    Ebenfalls im Frühjahr 2003 soll es in Brandenburg bei einer Übung zu einem Zwischenfall gekommen sein, bei dem Soldaten mit Waffengewalt gezwungen wurden, sich auf den Erdboden zu legen. Ermittlungen haben mittlerweile ergeben, dass die Soldaten während ihrer eigenen Übung in eine gleichzeitig stattfindende Scharfschützenausbildung gerieten. Auch hier dauern die Untersuchungen noch an.

    Auch in einem Fall in Sonthofen, bei dem ein Rekrut mit Klebeband gefesselt wurde, wird weiter ermittelt.

    In Nienburg wurden im Oktober diesen Jahres Soldaten von Angehörigen einer anderen Kompanie gefangen genommen und gefesselt. Ein gerichtliches Disziplinarverfahren wird geprüft. Der Fall wurde wegen des Verdachts auf Freiheitsberaubung und Nötigung an die Staatsanwaltschaft Verden übergeben.

    In Wittmund beklagte sich ein Grundwehrdienstleistender über seine Maßregelung in Form von Kniebeugen. Der Unteroffizier wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Strafverfahren gegen den Teileinheitsführer wurde eingestellt: wegen Geringfügigkeit.

    Bundesverteidigungsminister Peter Struck ist sicher, dass die Ausbilder, die so etwas machen, in Kenntnis der Tatsache gehandelt haben, dass solche Befehle nicht gegeben werden dürfen:

    Es gibt gar keinen Zweifel daran, dass auch die Ausbilder, die Soldaten misshandelt haben, genau wussten, welche Rechte sie haben und welche Ausbildungsmaßnahmen sie nicht durchführen dürfen. Sie haben, aus welchen Motiven heraus auch immer, diese Pflichten verletzt und deshalb auch die entsprechenden rechtlichen Konsequenzen.

    Es gab zu Beginn dieser Diskussion auch eine Debatte darüber, ob die Rekruten, die misshandelt wurden, dies nicht schneller durch Beschwerden oder Eingaben an den Wehrbeauftragten des Bundestages hätten bekannt machen müssen. Dies trifft auf den Fall in Coesfeld zu. Die später bekannt gewordenen Vorgänge gehen jedoch auf Beschwerden der betroffenen Soldaten zurück.
    Das Beschwerderecht ist für das innere Gefüge der Bundeswehr von hoher Bedeutung. Verteidigungsminister Struck:

    Sie bekommen von uns auch schon, wenn sie in die Armee eintreten, wenn sie kommen, entsprechende Unterlagen ausgehändigt - wo man sich beschweren kann, dass man einen rechtswidrigen Befehl nicht zu befolgen braucht, dass man sich unter Umständen auch beim Wehrbeauftragten des Bundestages beschweren kann. Sie wissen um ihre Recht. Dass es da gewisse Gruppenzwänge gibt, dass man sich nicht traut am Anfang und nicht auffallen will, das kann ich alles nachvollziehen. Aber ich kann nur die jungen Rekruten ermutigen, die jungen Soldaten ermutigen, von diesem Recht auch Gebrauch zu machen.

    Der Kommandeur des Zentrums Innere Führung, General Robert Bergmann, macht sich dennoch Sorgen:

    Wir haben das Beschwerderecht, und unsere Soldaten machen davon auch Gebrauch wenn sie meinen, dass es angezeigt ist. Mit der Frage, warum diese Dinge nicht sofort gemeldet worden, müssen wir uns noch weiter und tiefer beschäftigen, dass besorgt mich auch.

    Dass die junge Menschen sich still verhalten, wenn ihnen Unrecht geschieht, will der Sprecher des Beirates für Fragen der Inneren Führung, der den Verteidigungsminister in diesen Fällen berät, Professor Rainer Pommerin nicht glauben:

    Wer ein Bild entwirft von der heutigen Generation, der 19 und 20 jährigen als Duckmäuser und jungen Menschen, die ihre Meinung nicht sagen und die, wenn man ihnen auf den Fuß tritt nicht sofort darauf reagieren, eher dünnhäutig als das meine Generation gemacht hat, der irrt sich. Ich finde, ich habe sehr kritische junge Menschen seit vielen Jahren. Und ich muss wirklich sagen, dass ist ne Freude und man weiß genau, wenn etwas nicht verstanden wird, wenn etwas nicht klar gesagt wird, wenn es etwa Verletzungen gibt, dann gibt es sofort Interventionen und es ist schön, dass man eine solche Generation hat.
    In den diesem Jahr wurde die Ausbildung der Bundeswehr umgestellt. Vor allem die Grundausbildung sollte einsatznäher werden. Generalinspekteur Schneiderhan nannte die Schwerpunkte der Reform auf einer Veranstaltung des Beirats für Fragen der Inneren Führung am 25. Mai in Berlin, aus die wir zitieren:

    "Die Einsatzrealität und die Einsatzerfahrungen bestimmen die Regelausbildung aller Soldaten. Dabei sehe ich fünf Kernbereiche, welche die Ausbildungsinhalte generell bestimmen.

    1. Die Waffen- und Schießausbildung mit den jeweiligen Handwaffen. Dies hat so zu geschehen, dass damit die Anforderungen für den Wachdienst erfüllt werden, damit ist der Soldat zum Objektschutz und zur Anwendung von Regelungen in Auslandseinsätzen befähigt.

    2. Einsatzbezogene Gefechtsausbildung. Diese Inhalte werden auch durch die Einsätze bestimmt, also Checkpointbetrieb: was ist an einer Kasernenwache zu Hause denn anders? Controlpointbetrieb, Patrouillentätigkeit, Schutz vor Minen, Erkennen von Sprengfallen, Verbindung halten, Meldeketten sicherstellen usw. Dazu gehören auch Aufgaben, die alle Mannschaften im Betrieb von Feldlagern und Flüchtlingslagern, Feldlazaretten erfüllen müssen.

    3. Sanitätsausbildung mit Schwerpunkt bei der Selbst- und Kameradenhilfe.

    4. Körperliche Leistungsfähigkeit zum Bestehen unter psychischen und physischen Dauerbelastungen.

    5. Innere Führung, Soldatische Ordnung, Wehr- und Völkerrecht. Auf diese Besonderheit unserer Ausbildungs-, Führungs- und Einsatzkultur werden wir auf keinen Fall verzichten."
    Diese neuen Ausbildungsrichtlinien gelten seit Oktober, so dass die meisten der Vorfälle in die Zeit vor Inkrafttreten der neuen Bestimmungen, aber nach Beginn der Diskussion darüber fielen. Die Motivation der Vorgesetzten, die jetzt die Verantwortung für die Misshandlungen tragen müssen, mag also gewesen sein, die sich in dieser Diskussion abzeichnende Neuausrichtung schon vorzunehmen, bevor die Richtlinien erarbeitet waren. Der General für Erziehung und Ausbildung in der Bundeswehr, der im Auftrag des Generalinspekteurs darauf achten soll, dass in der Truppe die Richtlinien im Sinn der Spitze der Bundeswehr umgesetzt werden, hält das für einen notwendigen Reformansatz:

    Ich denke, ein Einsatz in der Ausbildung ist unverzichtbar. Logischerweise muss man überprüfen, ob jeder Teil an seinem richtigen Ort ist. Aber das entscheidende ist, wir brauchen eine einheitliche Ausbildung, die Stein für Stein aufbaut. Und in der Grundausbildung, so wie ja der Name schon sagt, soll ja nur die Basis gelegt werden, und das bedeutet zum Thema Verhalten in komplexen Situationen, Stressbewältigung, Geiselhaft eigentlich nur ein erster grundlegender Unterricht. Das eigentliche Handlungstraining, ist erst dann vorgesehen unmittelbar vor dem Einsatz durch speziell geschultes Personal aber auch unter zur Hilfenahme von Ärzten oder Psychologen.

    Verteidigungsminister Struck geht da etwas auf Distanz:

    Einsatznahe Ausbildung ist nur erforderlich für diejenigen, die wirklich in den Auslandseinsatz gehen. Und wir tun das in Hammelburg im Gefechtübungszentrum des Heeres und anderswo. Da wird geübt, wie man mit Demonstranten umgeht, wie man sich in einer Geiselnamesituation verhalten soll. Das betrifft dann wirklich alle die, die nur in den Auslandseinsatz gehen. Das muss ein normaler Grundwehrdienstleistender nicht lernen und er soll es auch nicht lernen.

    In einem Brief an seine Kommandeure wies Schneiderhan in dieser Woche darauf hin, dass diese Ausbildung
    sich an den Werten, die in der Bundeswehr gelten, orientieren muss:

    Mit der Notwendigkeit unsere Ausbildung stärker als bisher an den realen Einsätzen auszurichten steigt im selben Maße die sittliche Verantwortung und Aufmerksamkeit, mit der vor allem Sie tagtäglich diese einsatzorientierte Ausbildung begleiten müssen. Es geht dabei nicht um eine Tabuisierung von Themen. Die Risiken eines Einsatzes wie Tod, Verwundung, ja auch das Risiko einer Gefangennahme und Geiselhaft werfen Fragen für Soldatinnen und Soldaten auf, für die die Ausbildung am Ende eine angemessene Antwort geben muss. Das gebietet schon die Fürsorge des Dienstherrn. Für die Umsetzung dieser Art von Ausbildung gibt es aber enge Vorgaben, die aus gutem Grund einer Verselbständigung und Überinterpretation vorbeugen. Leitbild ist dabei, dass eine derartige Ausbildung vorrangig fachliche Betreuung, umsichtige Anleitung und vor allem Hilfestellung bedeutet. Für sinnloses Kujonieren, einschüchternes Gebaren und rüden Umgangston von Vorgesetzten war und wird dabei niemals ein Platz sein. Ein derartiges Verhalten unterhöhlt das Vertrauen unserer Soldatinnen und Soldaten in die Fähigkeiten ihrer Vorgesetzten zur Menschenführung. Gerade dieses Vertrauen ist insbesondere im Einsatz von überragender Bedeutung.

    General Bach, zieht eine erste positive Bilanz:

    Wir haben diese einsatznahe Grundausbildung seit 1. Oktober eingeführt und natürlich muss man am Anfang bei der Einführung eines neuen Systems von neuen Grundsätzen auch mit Fehlern rechnen. Aber meine ersten Erfahrungen zeigen, dass das eigentlich gut angenommen wird und die Ausbilder und die Chefs sich an die Vorgaben und Regelungen grundsätzlich halten.

    Und er hat erlebt, dass in der Truppe die Ereignisse, über die öffentlich gesprochen wird, mit großem Unmut gesehen werden.

    Die ersten Stimmen die wir aus der Truppen haben, müssen wir feststellen, dass die große Mehrheit der Ausbilder und der verantwortlichen Vorgesetzten, aber auch der Soldaten sich eigentlich mehr ärgert über solche Vorfälle und betroffen ist, weil einige wenige mit ihrem Fehlverhalten die eigentlich tagtägliche sehr gute Arbeit der anderen mehr beschädigen. Ich glaube, der größte Teil der Ausbilder und auch der Verantwortlichen haben schon verstanden, was unsere Ausbildungsziele sind, und sie haben auch verinnerlicht, die Grenzen, die wir jeweils in der Ausbildung haben und die Prinzipien der inneren Führung sind eigentlich allen deutlich vor Augen. Dennoch werden wir trotz aller Vorbereitungsmaßnahmen nicht das Fehlverhaltne komplett ausschließen können.

    Eine ganz andere Gefahr will Struck nun auch untersuchen: Er befürchtet, dass Soldaten, die im Auslandeinsatz waren, nach ihrer Rückkehr das dort Erfahrene an ihre Rekruten weitergeben wollen. Je frischer die Eindrücke aus dem Einsatz sind, desto heftiger, so der Verdacht, fällt dann die Ausbildung aus. Verteidigungsminister Struck:

    Wenn plötzlich jemand aus dem Auslandseinsatz zurückkommt und anfängt hier in Coesfeld Afghanistan und Kabul zu spielen.

    Die Bundeswehr hat mit dem Prinzip der Inneren Führung ein System eingeführt, das solche Vorfälle, wenn sie schon passieren, schnell an die Vorgesetzten und auch die Öffentlichkeit gelangen lassen sollen. Der Soldat, so das Prinzip, ist auch während des Dienstes Staatsbürger in Uniform. Er hat einen Anspruch auf menschenwürdige Behandlung. Er darf Befehle nicht erteilen, auch nicht befolgen, die rechtswidrig sind oder gegen die Menschenwürde verstoßen. Wenn ihm solches dennoch widerfährt, hat er das Recht, sich zu beschweren, entweder bundeswehrintern über den Dienstweg oder direkt beim Wehrbeauftragten des Bundestages. Das betrifft alle Beteiligten, also Vorgesetzte wie Rekruten. Das Prinzip der Inneren Führung wird international mit großem Interesse verfolgt. Beirats-Sprecher Reiner Pommerin:

    Seit es die Bundeswehr gibt, sind wir von vielen unserer Alliierten gerade wegen dieses zivilen Tons und des Miteinander Umgehens Herr und Dienstgrad, Name und so weiter was überall anderswo als überflüssig angesehen wurde, ein wenig verspottet worden. In der Anfangszeit der Streitkräfte hat man auf uns herabgesehen, auf die Bundeswehr, weil man sagte, wie können die mit einem solchen, eben nicht militärischen Umgangston eigentlich Erfolge haben, und erst die Auslandseinsätze haben gezeigt, dass unser vorsichtiges, sagen wir mal würdevolleres Auftreten gegenüber dem Staatbürger in Uniform, der für kürzere oder längere Zeit in Uniform ist, dass wir eben damit auch Erfolge erzielen. Und das hat bei vielen Streitkräften auch zum Nachdenken geführt. Und natürlich würde die eine oder andere alliierte Streitkraft ein wenig von dem zivilen Ton der Bundeswehr übernehmen gern, denn es wird ihnen unterstrichen und bewiesen, dass man damit auch gute und vielleicht auch bessere Leistung, wie ich immer sage, erzielen kann.

    Der ehemalige Generalinspekteur Hartmut Bagger sieht drei Stärken bei der Bundeswehr, wenn er sie mit anderen Streitkräften vergleicht:

    Das eine ist die Ausbildung, die hervorragend ist und keinen internationalen Vergleich scheut. Das zweit ist die Führungskultur Innere Führung, der Geist in diesen Streitkräften und das dritte ist die Qualität des Personals. Wir haben Offiziere und Unteroffiziere, die sich in jeder Situation im internationalen Vergleich sehen lassen können und es gibt selten Versager. Wenn wir zum Beispiel in Auslandseinsätzen solche Versager gehabt haben, dann haben wir sie im Prinzip von einem auf den anderen Tag nach Hause geschickt. Wir sind deutlich besser als die anderen, wir haben eine ganz andere Qualität. Wenn ich mir die Auswahl an Offizieren ansehe, die wir heute haben, der Offiziernachwuchs, aber auch der Unteroffiziernachwuchs. Und das hat einen gewichtigen Grund. Wir haben im Vergleich zu vielen anderen Armeen immer noch zum Glück die allgemeine Wehrpflicht und wir ziehen einen großen Teil unseres Nachwuchses an Offizieren und Unteroffizieren aus diesen Grundwehrdienstleistenden Soldaten.

    Ein wichtiges Element der Inneren Führung ist die Dienstaufsicht. Das heißt, dass höhere Vorgesetzte die Pflicht haben, sich am Ort der Ausbildung darüber zu informieren, ob die Regeln der Inneren Führung auch eingehalten werden. Darauf hat der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, der Interessenvertretung der Soldaten, Bernhard Gertz, hingewiesen:

    Wir müssen wieder in der Ausbildung da sein, die Chefs, die Kommandeure dürfen sich nicht hinter ihrem Schreibtisch verstecken, sondern müssen genau wissen, was mit ihren Soldaten passiert.

    Diese Pflicht zur Dienstaufsicht wird oft nicht ausreichend beachtet. Offiziere beklagen sich über eine zu große Belastung durch Bürokratie. Manche sind hier sicherlich auch nachlässig. Aber es gibt auch objektive Gründe, dass diese Dienstaufsicht nicht immer so ausgeführt werden kann wie dies nötig wäre. Beirats-Sprecher Reiner Pommerin:

    Wie ist das eigentlich mit der Dienstaufsicht, wenn wir das haben, was wir seit einigen Jahren haben, dass Einheiten über große Distanzen disloziert sind. Ich bin zum Beispiel nicht sicher, ob überhaupt in Coesfeld der Bataillonskommandeur für diesen Kompaniechef saß oder ob der nicht wieder ein paar hundert Kilometer entfernt ist. Das sind einfach Strukturprobleme die wir haben, die die Dienstaufsicht erschweren, von Bataillonskommandeuren aufwärts und ich hoffe, dass durch die neuen Standsortentscheidungen auch dieses Problem ein wenig geringer werden wird.

    Ein weiteres Problem, z. B. in Coesfeld, war eine unzureichende Vor- und Nachbereitung der dortigen Ausbildung. Zu den Prinzipien einer einsatznahen Ausbildung General Bergmann vom Zentrum Innere Führung:

    Sie wird vorbereitet, sie wird besprochen, sie wird von Psychologen begleitet sie ist unter starker Kontrolle und sie kann von den Teilnehmern jederzeit ohne irgendwelche Nachteile abgebrochen werden.

    Bundeswehrverbands-Chef Gertz weist noch auf einen weiteren Grundsatz hin, der hier verletzt wurde:

    Der Schock bei den Vorgesetzten liegt eben darin, dass hier eigentlich ein Tabu gebrochen worden ist, und das Tabu ist, man fasst keinen Soldaten an. Seit den 50er Jahren müssen die Ausbilder den Soldaten fragen: "Darf ich sie anfassen". Und wenn dann statt dessen Stromstöße aus einem Feldtelefon zugeführt werden oder die Nase zugehalten wird und Wasser in den Rachen eingeflößt wird, dann ist das eben ein grundsätzliches Verkennen der Menschenwürde.

    Die Misshandlungsvorwürfe führen nun zu Recht dazu, dass die Bundeswehr die Ausbildungsvorschriften und ihre Umsetzung nachhaltig durchforstet. Es muss wieder Ordnung geschaffen werden, sagt der Minister, und General Bach, der General für Erziehung und Ausbildung, sagt, wann das System stimmt:

    Wenn jeder Vorgesetzte den Grundsatz im Kopf hat, behandele deine Soldatinnen und Soldaten, wie Du selbst behandelt werden willst, dann kann eigentlich nichts schief gehen.