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Ist da Fleisch in der Fleischwurst?

Kirschjoghurts, die nicht eine Kirsche enthalten. Putenwurst, die zur Hälfte aus Schweinefleisch besteht: Mogelpackungen im Supermarktregal - nur im Kleingedruckten auf der Rückseite offenbaren sie ihren wahren Inhalt. Vieles davon ist ganz legal, eine Anzeige bei den Behörden nutzt da wenig. Aber seit einem Jahr können sich Kunden zumindest öffentlichkeitswirksam beschweren: auf lebensmittelklarheit.de, einem Onlineportal der Verbraucherzentralen.

Von Sven Kästner | 20.07.2012
    Bergidylle auf der Milchverpackung oder saftige exotische Früchte auf dem preiswerten Joghurt: Wer solchen Werbeversprechungen misstraut, kann auf lebensmittelklarheit.de nachsehen, ob sein Produkt bereits aufgelistet ist. Seit Juli 2011 überprüft die Verbraucherzentrale Hessen bundesweit Kundenhinweise auf Lebensmittel in Mogelpackungen.

    "Wir haben seit unserem Start vor einem Jahr etwa 5600 Produktmeldungen von Verbrauchern. Und diese Produktmeldungen haben wir fast alle gesichtet und verarbeitet und konnten mittlerweile 230 Produkte im Internet online stellen."

    Janina Löbel, Koordinatorin des Projektes beim Verbraucherzentrale Bundesverband in Berlin, wertet die Zahlen als Erfolg. 230 Mogelpackungen klingt zunächst wenig - allerdings kommen Klagen über viele Produkte mehrfach. Insgesamt haben die Verbraucherschützer gut 2200 Täuschungsvorwürfe als berechtigt eingestuft. Dann werden auch die Produzenten um eine Stellungnahme gebeten:

    "Ungefähr 90 Prozent der angeschriebenen Hersteller reagieren auch, arbeiten sachgerecht mit. Schicken uns Stellungnahmen, in denen sie darstellen, warum sie ein Produkt so und nicht anders kennzeichnen. Und in 30 Prozent der Fälle ändern die Hersteller auch ihre Produkte."

    Dass Lebensmittel oft verwirrend gekennzeichnet sind, hat auch eine Befragung der Universität Göttingen im Auftrag der Verbraucherzentralen ergeben. 70 Prozent der 750 repräsentativ ausgewählten Kunden fühlten sich von der Aufmachung getäuscht. Koordinatorin Löbel hat die Erfahrung gemacht, dass besonders dick bei Fruchtjoghurts oder Fruchtgetränken aufgetragen wird:

    "Was mich immer wieder überrascht, sind Produkte, die auf der Verpackung mit unheimlich tollen Früchten werben. Und gerade so exotische Früchte wie Acerola oder besondere Früchte wie Pfirsiche oder tolle Kirschen. Und am Ende enthält das Produkt aber eben viel, viel Apfel oder Banane."

    Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner von der CSU, deren Haus lebensmittelklarheit.de mit einer Million Euro fördert, betont den fairen Umgang mit der Wirtschaft. Das sei auch daran zu erkennen, dass im ersten Jahr jeder fünfte Täuschungsvorwurf als unbegründet zurückgewiesen wurde, hieß es in einer Erklärung des Ministeriums. Trotzdem aber fühlt sich die Lebensmittelindustrie an den Pranger gestellt.

    "Also die Kritik bleibt grundsätzlich bestehen, dass so etwas mit Steuergeldern finanziert wird. Das ist für uns nicht akzeptabel", "

    sagt Matthias Horst, Hauptgeschäftsführer des Lobby-Verbands Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde. Und ein weiterer Punkt gefällt den Herstellern nicht:

    " "Dass bestimmte Marken herausgepickt werden und dass man anhand von Marken allgemeine Themen auch mit abhandelt. Das sollte man nicht tun."

    Ginge es nach der Opposition im Bundestag, müsste die Lebensmittelindustrie allerdings mit strengeren Regeln leben. Nicole Maisch, verbraucherpolitische Sprecherin der Grünen, verlangt als Konsequenz aus den Kundenbeschwerden, die Gesetze zu verschärfen.

    "Das Zentrale ist die Forderung nach der Lebensmittelampel, damit man klar erkennt: Ist das jetzt eine fettige Süßigkeit oder ein gesundes Produkt. Und das Zweite ist, dass man gesetzlich regeln muss, dass bestimmte Verbrauchertäuschungen nicht mehr stattfinden dürfen."

    Möglicherweise tragen die Beschwerden der Kunden unter lebensmittelklarheit.de zu neuen Regeln bei. Die Verbraucherzentralen jedenfalls wollen aus ihren Erfahrungen mit dem Portal einen Forderungskatalog an Ministerin Aigner aufstellen.