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Ist das eine Art?

Biologie. - Seit Charles Darwins epochemachenden Werk "Die Entstehung der Arten" gehört es zu den Aufgaben der Biologen, Arten voneinander zu unterscheiden.Allerdings ist es nicht immer einfach, exakt zu bestimmen, wann etwas eine Strauch- oder Zwergbirke, eine Nebel-oder Saatkrähe ist. Schon heute sollen über 20 verschiedene Artbegriffe in Umlauf sein. Das Problem könnte sich in Zukunft noch einmal verschärfen. Denn Berner Wissenschaftler haben die erste künstliche Art erschaffen.

Von Martin Hubert | 06.09.2013
    "So just put them, put them to sleep!"

    Im Labor des Instituts für Zellbiologie der Universität Bern klopft Professor Eduardo Moreno ein Glasröhrchen mehrfach auf einen Tisch. Mehrere Exemplare von Drosophila melanogaster fliegen darin herum, zwei bis zweieinhalb Millimeter kleine "schwarzbauchige Taufliegen". Vom Klopfen ermattet liegen die Tiere schließlich auf dem Boden des Röhrchens. Eduardo Moreno schüttelt einige vorsichtig unter ein Mikroskop. Dort sieht man, dass diese Fliegen ein anderes Flügeladermuster haben als die normale Taufliege. Außerdem sind sie blind. Eduardo Moreno hat die erste synthetische Art der Welt geschaffen, indem er gezielt in die genetischen Merkmale der Fliege eingriff. Er nennt sein Geschöpf "Drosophila synthetica"

    "Normalerweise sind wir Wissenschaftler Detektive. Wir versuchen herauszufinden, was in der Natur passiert. Aber das ändert sich und wir werden zu Ingenieuren oder Architekten."

    Eduardo Moreno hat in der herkömmlichen Taufliege einen Genfaktor entfernt, der nötig ist, um ihre Augen auszubilden. So wurden die Fliegen blind. Außerdem veränderte sich das Adermuster ihrer Flügel. Eduardo Moreno baute in die Tiere aber auch noch etwas anderes ein: einen Tötungsmechanismus, auslösbar durch den entfernten Genfaktor.

    "Wir haben also diese blinden Tiere, bei denen dieser Genfaktor und damit der Tötungsmechanismus ausgeschaltet ist. Wenn diese Tiere sich aber mit der alten Drosophila kreuzen, besitzen die Nachkommen diesen Genfaktor ja wieder. Das löst den Tötungsmechanismus aus und die Tiere sterben. Die natürliche und die synthetische Drosophila können sich daher niemals miteinander erfolgreich fortpflanzen."

    Eduardo Moreno glaubt, auf diese Weise mehr Akzeptanz für die Biotechnologie schaffen zu können. Wenn die Nachkommen gentechnisch veränderter Organismen sterben, sobald sie sich mit ihrer natürlichen Schwesterart kreuzen, würden die Menschen weniger Angst vor ihnen haben. Moreno träumt von einem ganzen Reich solcher künstlicher Arten.

    "Wir wollen den Mechanismus jetzt verallgemeinern. Wenn es bei Drosophila geklappt hat, kann ich das auch nutzen, um neue Arten von Pflanzen, Hunden, Katzen oder Schafen zu kreieren. Mich interessiert ein übertragbarer Mechanismus, der in verschiedenen Arten funktioniert."

    Es gäbe dann also Katzen, Hunde, Pflanzen oder Schafe in doppelter Ausführung: die natürliche und die künstliche Art. Ist das legitim, nun plötzlich künstliche Arten ins Reich der Natur einzugliedern? Darwin hatte noch von der Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl gesprochen. Der Genetiker Werner Kunz von der Universität Düsseldorf meint zwar, dass künstliche Fortpflanzungsschranken wie die natürlichen nie absolut sei können. Aber er hat keine prinzipiellen Einwände, künstliche Arten anzuerkennen.

    "Selbstverständlich ist das künstlich, aber es ist vollkommen logisch gerechtfertigt, das als eine neue Art zu bezeichnen."

    Schon wenn Biologen heute natürliche Arten unterscheiden, verwenden sie häufig ganz unterschiedliche Artbegriffe: mal vergleichen sie äußere Merkmale, mal den Verwandtschaftsgrad, mal genetische Unterschiede oder das Fortpflanzungsverhalten den Lebewesen. Eine einheitliche Theorie darüber, wie der Artbegriff einzusetzen sei, besitzen sie nicht. Wenn nun auch noch künstliche Arten in Aussicht stehen, stellt sich die Frage, wie sinnvoll der Artenbegriff überhaupt noch ist.

    Hinweis: Der Deutschlandfunk sendet am Sonntag, 08.09., 16:30 Uhr, in der Sendung "Wissenschaft im Brennpunkt" das Feature Über Schubladen zum Artbegriff.