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Ist der Helgoländer Hummer noch zu retten?

Biologie. - Vor Helgoland sind Hummer rar geworden. Statt wie früher Tausende fangen die Fischer heute nur noch wenige 100 im Jahr. Warum der Hummerbestand in der Nordsee so gesunken ist, erforscht die Biologische Anstalt Helgoland in einem zehnjährigen Programm. Zur Halbzeit liegen bereits erste Erkenntnisse vor.

10.08.2005
    In den Laborgebäuden der Biologischen Anstalt Helgoland züchtet Isabel Schmalenbach Helgoländer Hummer. Jede Larve hat im Zuchtbecken ihr eigenes Separee, damit sich der daumennagelgroße Nachwuchs nicht gegenseitig auffrisst, erklärt die junge Biologin: "Man sieht hier schon diese langen, pfeilartigen Hummerlarven, die setzen wir dann in die einzelnen Becken. Die sind ungefähr drei Wochen alt und die Gesamtlänge ist ungefähr anderthalb Zentimeter."

    Die Biologische Anstalt untersucht seit fünf Jahren, warum sich der Helgoländer Hummer so rar gemacht hat. Friedrich Buchholz, Chef der Einrichtung, erklärt: "Für uns ist der Helgoländer Hummer ein Beispiel für einen sehr starken Einbruch in einem Ökosystem. Die Fangzahlen sind also drastisch heruntergegangen: Von vielen Tausenden vor dem Krieg, mit einem weiteren Einbruch in den 60er Jahren, sind es mittlerweile nur 300, 400 Hummer, die gefangen werden."

    Jedes Jahr wachsen in der Biologischen Anstalt rund 1000 Edelkrebse heran. Genügend Anschauungsobjekte, um die Lebensweise des Hummers genau beobachten zu können. Friedrich Buchholz: "Wobei wir jetzt in der Phase sind, dass wir über Zucht, Markierung und Wiederfang einerseits mehr über den Hummer im Freiland kennen lernen wollen, andererseits im Labor über die Aufwuchsbedingungen, über die Lebensbedingungen und über die Belastung, die aus der Umwelt kommt, Versuche machen." Damit will man herausfinden, ob sich ein Programm für die Wiederaufstockung des Bestandes lohnen könnte.

    Hummerbecken mit unterschiedlichen Temperaturen von zwölf bis 18 Grad simulieren den Saisonzyklus der Nordsee. Die Wissenschaftler beobachten in den Wechselbädern die Entwicklung der Larven. Nach einem Jahr wird der Hummernachwuchs ausgesetzt, zuvor aber markiert. "Mit einer Spritze wird da Fluoreszenzfarbstoff eingespritzt, zwischen Muskel und Abdomen, am Hinterteil", zeigt Isabel Schmalenbach. "So kann man sie wieder erkennen."

    Das ist der Job der Helgoländer Fischer, die in das Projekt eingebunden sind. Sie bringen etwa jedes zehnte Exemplar nach dem Auswildern wieder zurück zu den Biologen. Im Labor werden die Tiere vermessen und untersucht. Auch alle Eier tragenden Weibchen liefern die Fischer ab, damit das Zuchtprogramm weitergehen kann.

    Inzwischen glauben die Helgoländer Biologen herausgefunden zu haben, warum die Hummerpopulation nur noch herumkrebst. Das Nordseewasser hat sich in den vergangenen Jahrzehnten um über ein Grad erwärmt - mit fatalen Folgen für die Scherentiere: So haben sich Paarung und Abgabe der Larven zeitlich verschoben. Buchholz: "Durch diese Erwärmung kommt da im Feld draußen der Schlupf deutlich früher, während die Phytoplanktonblüte später kommt." So entstehe ein Fenster, in dem der Hummer nicht die richtige oder gar keine Nahrung findet. Die Klimaänderung scheint also Ursache dafür zu sein, dass die Bestände zurückgegangen sind.

    Ein weiterer Grund: Obwohl der Europäische Hummer zwischen Nordkap und Adria auftritt, führen die Helgoländer Artgenossen ein echtes Inseldasein - so das Ergebnis von genetischen Untersuchungen. Mit kriminalistischen Methoden wie dem genetischen Fingerabdruck haben die Wissenschaftler herausgefunden, dass der Helgoländer Hummer sehr "heimatverbunden" ist. "Wir haben früher vermutet, dass vom Ärmelkanal regelmäßig ein Zuzug von Hummern stattfindet", so Buchholz. "Das ist nicht der Fall. Das ist tatsächlich ein standorttreues Tier." Ein wichtiger Faktor, wenn der Bestand der Krustentiere nun wieder aufgebaut werden soll. Das soll ein kommerzielles Fischzuchtunternehmen erledigen. Leicht steigende Fangzahlen geben Anlass zur Hoffnung, dass der Helgoländer Hummer noch zu retten ist.

    Als nächstes wollen die Buchholz und seine Kollegen herausfinden, welche Bedeutung der Krebs für das Nahrungsnetz auf dem unterseeischen Felssockel der Roten Insel hat. Dafür benötigen sie noch etwas Zeit: "Ein Hummer wird etwa 50 Jahre alt, wächst also entsprechend langsam. Wenn man also das Wachstum im Feld untersuchen will, braucht man einen langen Atem."

    [Quelle: Folkert Lenz]