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Ist eine Verschärfung des Waffengesetzes notwendig?

Heinlein: Die Tragödie von Erfurt, sie hinterlässt Spuren. An diesem Wochenende Fahnen auf Halbmast und Schweigeminuten, äußere Zeichen der Trauer und der Anteilnahme mit den Angehörigen. Überall wurden auch Feste und Veranstaltungen ganz abgesagt, unter ihnen eine große SPD-Parteikonferenz in Duisburg. Die Betroffenheit, sie hält an. Gestern am späten Abend entschloss sich die Union zur Verschiebung eines für heute geplanten Termins. In Berlin sollte das gemeinsame Wahlprogramm vorgestellt werden. Doch Angela Merkel und Edmund Stoiber werden statt dessen nun nach Erfurt reisen, um der Opfer zu gedenken. Der Wahlkampf und der Stil der politischen Auseinandersetzung sind an diesem Wochenende ins Gerede gekommen. Auf einer öffentlichen Veranstaltung in Hamburg forderte SPD-Bundesgeschäftsführer Machnig eine Entschuldigung von Stoibers Medienberater Michael Spreng. Als dieser ablehnte, verließ Machnig die Veranstaltung. Hintergrund ist ein Wochenendinterview von Edmund Stoiber. Dort hatte der Kandidat den Kanzler persönlich scharf attackiert. Wahlkampf nach Erfurt, dazu begrüße ich jetzt den stellvertretenden CDU-Parteivorsitzenden Christian Wulff. Guten Morgen!

    Wulff: Guten Morgen Herr Heinlein.

    Heinlein: Herr Wulff, haben Sie noch Lust auf Wahlkampf?

    Wulff: In diesen Tagen hat niemand Interesse an Wahlkampf, sondern allen geht es so, dass man innehalten möchte, dass man der Opfer und ihrer Angehörigen gedenken möchte, dass man eben mitfühlt mit den Hunderten von Schülern in Erfurt, die in ganz besonderer Weise betroffen sind und ihr Leben lang mit diesem Trauma vermutlich werden leben müssen. Die Politik hat die Aufgabe, in sachlicher Form die Konsequenzen daraus zu diskutieren und eine echte Umkehr auch einzuleiten hinsichtlich zu Mut zur Erziehung, zu wirklicher ernsthafter Auseinandersetzung auch über die Ursachen, über das Umfeld, in dem Kinder und Jugendliche groß werden. Was sich allerdings am Wochenende in Hamburg zugetragen hat, das finde ich nun wieder empörend, wenn ein Wahlkampfmanager einen Saal verlässt unter dem Gepfeife der Journalisten, unter völligem Unverständnis, dass er versucht, aus solchen Vorgängen der letzten Tage Wahlkampf abzuleiten. Ich glaube, dass hier auch die SPD gefordert ist, sich von dem Wochenende abzusetzen und zu distanzieren, denn das ist gerade keine vorbildhafte Form von Auseinandersetzung, wenn die SPD einen Saal verlässt und die Journalisten ungläubig und staunend davor sind, die eingeladen wurden, um sachlich zu diskutieren. Ich glaube solche Fälle sollten sich nicht wiederholen.

    Heinlein: Deshalb die Frage an Ihre Partei, Herr Wulff: Warum hat Edmund Stoiber in seinem Interview am Samstag Gerhard Schröder als Show- und Medienkanzler bezeichnet und sehr gewagt mit Verona Feldbusch verglichen, ohne ein Wort über die Opfer von Erfurt zu verlieren?

    Wulff: Edmund Stoiber hat am Freitag alles Notwendige und Erforderliche und dann auch die Tage darauf gesagt. Er konnte und kann davon ausgehen, dass dies auch in allen deutschen Medien berichtet wurde und berichtet wird. Dass es eine inhaltliche Auseinandersetzung um den Kurs in Deutschland geben wird, das ist dabei ja auch letztlich unberührt, nur dass im Moment der Mittelpunkt die Konsequenzen aus Erfurt sein muss. Ich selber sage Ihnen aber auch offen und mache aus meinem Herzen keine Mördergrube, dass manche Politiker immer dann mit klugen Ratschlägen daherkommen, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Einige Politiker, die jetzt in den ersten Reihen der ökumenischen Gottesdienste sitzen, haben noch vor Wochen anderen Bürgern in unserem Land ein Jesuskreuz zurückgeschickt, weil dafür im Kanzleramt kein Platz sei. Einige, die jetzt über Werte diskutieren, haben uns, die wir immer Werte hochgehalten haben, als konservativ, als gestrig abgestempelt. Nicht die Union war es, die Autoritäten wie Eltern und Lehrer in Frage gestellt hat, und nicht wir graben gerade den freien und kirchlichen Schulen in Berlin das Wasser ab, die sich besonders um Werteerziehung bemühen, sondern das sind andere. Natürlich kann man hier jetzt gegenseitig sich jeweils angreifen; man sollte das aber nicht tun in diesen Tagen.

    Heinlein: Aber Herr Wulff, Ihr Kanzlerkandidat hat die Betroffenheit und die Zurückhaltung, die Sie gerade für die Partei angemahnt haben, mit diesem Interview doch ein wenig vermissen lassen. Warum hat er sein Interview nicht zurückgezogen? Hat sein politischer Instinkt versagt oder ihn seine Berater schlecht informiert?

    Wulff: Ich halte diese Campagne der SPD, Herr Heinlein, wenn Sie es gestatten, für allzu durchsichtig. Es findet politische Debatte und Diskussion - und das waren ja Äußerungen, die seit Wochen in aller Munde sind und die auch allen bekannt sind, diese besondere Unterschiedlichkeit zwischen Gerhard Schröder und anderen in der Politik - für wirklich an den Haaren herbeigezogen und finde es gut, dass Edmund Stoiber sich am Wochenende entschieden hat, die heutige Sitzung der Union abzusagen, statt dessen nach Erfurt zu fahren. Ich finde was dort der Oberbürgermeister von Erfurt und Bernhard Vogel an Trauerarbeit mit den Beteiligten und den Betroffenen leisten, vor allem auch den Hilfsorganisationen, der Polizei, das ist vorbildlich. Die Menschen in Deutschland sind froh über diese Zurückhaltung und diese Art der Trauerarbeit und des verbunden seins, des Innehaltens, des gemeinsamen Innehaltens, um hiermit gemeinsam langfristig Folgen zu ziehen. Es kann nicht sein, dass wir nach dem 11. September und nach dem ICE-Unglück in Eschede, nach dem Concorde-Absturz dann jeweils eine kurze Zeit zum Nachdenken kommen und in Trauer verfallen und uns nachdenklich machen über Technisierung unserer Zeit, Individualisierung unserer Lebensstile, dann aber wieder in alten Trott zurückverfallen.

    Heinlein: Was wäre denn eine angemessene Reaktion für Nachdenklichkeit der Parteien und ein Verzicht auf allzu lautes Getöse in diesem Wahlkampf?

    Wulff: Mir wäre sehr recht, wenn man über Strukturen in unserem Land nachdenken würde, wenn man mal Konsequenzen daraus zieht, dass der große Ökonom Friedrich-August von Hajek sich Jahrzehnte mit Gesellschaften beschäftigt hat und zu dem Ergebnis kam, die Gesellschaften sind besonders friedfertig, besonders freiheitlich, besonders erfolgreich über lange Zeit, die Eigentum, Familie, Aufrichtigkeit praktizieren und hochhalten, dass wir uns des großen Ostpreußen Kant erinnern, der gesagt hat, was du nicht willst, was man dir tut, das füge auch keinem anderen zu. In dem Sinne sollte erzogen werden zur Toleranz, zur friedlichen Konfliktlösung. In dem Sinne sollten wir begreifen, dass auch Politiker Vorbilder sind und dass wir vielleicht häufig auch die falschen Vorbilder haben, die Rambo-Typen, dass 15jährige Kinder und Jugendliche heute mehr Zeit mit Medien allein in ihren Kinderzimmern zubringen als in der Schule insgesamt mit anderen, älteren wie gleichaltrigen. Das sind Fehlentwicklungen, die uns total bedrücken müssen. Wir diskutieren jeden Morgen auch im Deutschlandfunk über alles mögliche. Ich empfehle uns: wir sollten mal diskutieren über Zeit, Zutrauen, Zuversicht, Zuwendung, Zukunft, Zivilcourage, vielleicht mal über alle Begriffe mit dem Anfangsbuchstaben Z, und zwar dauerhaft und nicht immer nur nach solchen schrecklichen und grausamen Ereignissen.

    Heinlein: Herr Wulff, Toleranz und Friedfertigkeit, sind das Tugenden, mit denen dann die Union in ihrem Wahlkampf auch werben wird und diese Tugenden auch pflegen wird?

    Wulff: Wir sind ja vor Jahren, als wir eine große Erklärung mit Pädagogen, Eltern, Erziehungswissenschaftlern verkündet haben, die überschrieben war "mut zur Erziehung", angefeindet worden, beschimpft worden, das sei doch nun wirklich nicht Sache, man sollte nicht so viel vorgeben. Kinder werden aber nur Orientierung finden, sie werden nur Halt finden, sie werden sich nur zurecht finden, wenn Erwachsene bereit sind, einen Schritt von sich selbst preis zu geben, ihren Mann, ihre Frau zu stehen und auch eine Position zu beziehen. Es ist eben in unserem Land so, dass viele für sich einsam allein gelassen worden sind. Ich vermute auch bei dem Täter in Erfurt war ein hohes Maß an allein gelassen sein, an Einsamkeit, wenn Nachbarn, Freunde, Verwandtschaft eben nicht die Rolle spielt, zuzuhören, da zu sein, Vertrauen zu geben, Zutrauen zu vermitteln, wenn jemand sich verzweifelt zeigt, weil er die Schule verlassen musste und nicht weiß, wo er Platz in seinem Leben findet. Ich will hier nicht interpretieren, wie Psychologen das machen können, aber wir wissen aus der Vergangenheit gerade über Amokläufer und solche Tätergruppen, dass hier ein großes Stück an allein gelassen sein ist. Das dürfte sich unsere Gesellschaft nicht leisten, sondern wir müssen Strukturen haben, die strauchelnde auffangen und neue Perspektiven geben.

    Heinlein: Herr Wulff, werden Sie denn die Zeit bis zur kommenden Woche nutzen, dem kommenden Montag, wenn Sie dann Ihr Wahlprogramm vorstellen, um dann in Ihrem Programm von Union, von CDU und CSU auf die Ereignisse von Erfurt zu reagieren? Wenn ja in welcher Form?

    Wulff: Bei aller Liebe ist das nicht notwendig, weil in unserem Wahlprogramm bereits der Bereich der Erziehung, der Werte, der Toleranz, des friedlichen Zusammenlebens, im Inneren wie im Äußeren, ausführlich angesprochen ist. Ich warne auch davor, dass man jetzt wieder vorschnell Schuldige, die Schule, die Lehrer oder die Schützenvereine in Deutschland ausmacht. Wir haben uns ja auch mit dem Waffenrecht verantwortlich auseinandergesetzt in Deutschland und dabei festgestellt in den letzten Monaten, als wir es beraten haben, dass der Anteil erlaubnispflichtiger legaler Waffen an Straftaten immer weiter zurückgeht und dass im Jahr 2000 hier nur 0,013 Prozent aller Fälle bei Verwendung legaler Schusswaffen vorgekommen sind. Die Gewerkschaft der Polizei sagt, die privaten legalen Waffen stellen kein besonderes Problem aus polizeilicher Sicht dar.

    Heinlein: Werden Sie dennoch die Forderung von Ministerpräsident Vogel aus Thüringen aufgreifen nach einer weiteren Verschärfung des Waffenrechtes oder einer Anhebung der Altersgrenze auf 21 Jahre, um Waffen dann auch innerhalb von Schützenvereinen zu besitzen?

    Wulff: Die Anhebung der Altersgrenze auf 21 Jahre scheint mir auf jeden Fall sinnvoll zu sein, insbesondere beim Verwenden und Mitnehmen der Waffe außerhalb der entsprechenden Einrichtungen, der Schützenvereine. Das hat glaube ich alle überrascht und da sieht man eine Gesetzgebungslücke. Ich halte aber nichts davon, jetzt generell Schützenvereine oder andere pauschal an den Pranger zu stellen und jetzt kurzfristig Änderungen vorzunehmen, die quasi populistisch sind oder den Eindruck von Aktivität vorweisen sollen. Ich glaube wenn wir das, was wir seit Jahren vertreten und wollen, intensiver tun und dazu auch die Möglichkeiten und Mehrheiten haben, würde sich vieles positiv verändern. Man muss nicht ad hoc den Eindruck erwecken, man habe vorher geschlafen.

    Heinlein: Sie werden nicht im Wahlkampf für die Anhebung der Altersgrenze auf 21 Jahre kämpfen?

    Wulff: Doch, diese Forderung halte ich für vernünftig. Wir haben im Jugendstrafrecht bei 18- bis 21jährigen Sonderregelungen. Die werden in der Regel nach Jugendrecht behandelt. Dann müssen auch Sportschützen in dem Bereich wie Jugendliche behandelt werden und nicht wie Erwachsene. Die Forderung halte ich für vernünftig, aber die pauschale Forderung nach Verschärfung des Waffenrechts, nach genereller Infragestellung des Bereichs der Sportschützen sehe ich nicht. Wir haben uns vor Wochen noch über unsere Biathleten gefreut und die Goldmedaillen. Wir freuen uns im Sommer über die Goldmedaillen bei olympischen Spielen im Bereich der Schützen und sollten da eben auch dann ein bisschen langzeitlich anlegen. Sonst werden wir auch unglaubwürdig, weil es heißt, mal vertreten die Politiker dieses und mal jenes. Der Bundestag hat am Freitag insgesamt ein Waffenrecht verabschiedet, was den Anforderungen der inneren Sicherheit und den Anforderungen derer, die hier im Bereich der Vereine ganz unproblematisch mit Waffen umgehen, getroffen. Ich warne halt vor Schnellschüssen.

    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der stellvertretende CDU-Chef Christian Wulff. - Herr Wulff, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Hannover.

    Link: Interview als RealAudio