Die Debatte zwischen Hirnforschern und Geisteswissenschaftlern braucht neue Anstöße. Das war die Ausgangsidee der Bonner Tagung, die gemeinsam von der Abteilung für Medizinische Psychologie der Bonner Universitätsklinik und dem Bonner Institut für Wissenschaft und Ethik durchgeführt wurde. Mitveranstalter Stephan Schleim kritisierte, dass bisher viel zu abstrakt über die Determiniertheit oder die Freiheit des Menschen diskutiert worden sei. Schleim, der als Philosoph selbst neurowissenschaftlich am Bonner Klinikum forscht, forderte daher eine "zweite Welle der Diskussion", die viel konkreter als bisher geführt werden müsse.
"Unsere Tagung ist ein Versuch, einen Beitrag dazu zu leisten. Man darf aber jetzt bei dem Titel ‚Von der Neuroethik zum Neurorecht?’ nicht vergessen, es handelt sich ja um eine Frage und wir fragen uns ganz im Einklang mit dieser zweiten Welle der Diskussion, die ich Ihnen hier prophezeit habe, was denn nun wirklich die Konsequenzen sind, die wir für die Ethik, für das Menschenbild und die wir auch für das Recht ziehen können, vielleicht sogar auch ziehen müssen."
In Bonn wurde jedenfalls eine eindrucksvolle Liste von Themen vorgelegt, mit denen die Hirnforschung rechtlich brisantes Gelände berührt. So wies der Bonner Neuropsychiater Henrik Walter darauf hin, dass in den USA bereits im Jahr 2001 eine Methode patentiert worden ist, mit der man die Hirnstrommuster von Schizophrenen erkennen kann. Das habe nur deshalb nicht für große Aufmerksamkeit gesorgt, weil die Methode nicht besonders gut sei. Zukünftig werde es aber eine Debatte darüber geben müssen, ob Wissenschaftler, die Hirnmuster für bestimmte geistige Zustände entdeckt haben, diese tatsächlich patentieren dürfen.
Eine lebhafte Kontroverse entstand in Bonn über die Forderung mancher Hirnforscher, das deutsche Schuldstrafrecht zu reformieren. Ihr Argument: Man könne vor Gericht nicht mehr wie bisher davon ausgehen, dass Menschen im Prinzip normal und daher voll verantwortlich seien. Vielmehr sei jeder immer schon durch zahlreiche Determinanten bedingt, die seine Verantwortlichkeit und Schuldfähigkeit beschränken. Dem widersprach unter anderem der Düsseldorfer Philosoph Dieter Birnbacher: Zwar können und sollen die Hirnforscher dazu beitragen, das Ausmaß menschlicher Verantwortungs- und Schuldfähigkeit zu bestimmen, indem sie Störungen im Gehirn untersuchen. Aber man dürfe nicht auf die grundsätzliche Norm verzichten, anderen Menschen im Normalfall Verantwortlichkeit zu unterstellen.
Birnbacher: "Der Spielraum darf nicht eingeebnet werden, weil wir ja sonst von der sozialen Praxis von Lob und Tadel, Strafe und Belohnung völlig absehen müssten. Das können wir nicht und das wollen wir vor allen Dingen nicht, weil wir ja auch an den nützlichen Folgen einer solchen Sanktionspraxis interessiert sind. Außerdem ist es Teil unseres Lebens in Beziehungen – denken sie an den familiären Bereich oder an den Intimbereich –, solche Verantwortlichkeits-Zuschreibungen zu pflegen und wir können davon nicht abgebracht werden durch eine neurowissenschaftliche Theorie, die uns sagt, dass jemand nichts dazu konnte, dass er so gehandelt hat wie er gehandelt hat."
Ein weiteres heisses Eisen sprach Stephan Schleim an: das Thema "Lügendetektoren vor Gericht". 1998 hatte der Bundesgerichtshof festgestellt, dass herkömmliche Lügendetektoren, die den Herzschlag oder den Blutdruck von Menschen messen, nicht sicher genug sind. Sie dürfen daher bei Strafprozessen nur zur Entlastung eines Angeklagten eingesetzt werden, wenn dieser es will. Gleichzeitig müssten die Richter einem solchen unsicheren Test in der Regel keine übergroße Bedeutung zuschreiben. Der Bundesgerichtshof hatte allerdings auch festgestellt, dass die herkömmlichen Lügendetektoren nicht ins Innerste des Menschen eindringen und nicht die Menschenwürde verletzen.
Schleim: "Nun hat diese Rechtssprechung sozusagen eine Tür geöffnet, dass vielleicht, wenn man empirisch zuverlässigere Methoden hat, diese eines Tages im Strafprozess durchaus eine Rolle vor Gericht spielt. Schwierig wird das nun aber, wenn vielleicht diese Methoden so gut werden, dass sie dann doch wieder in das Innerste des Menschen eindringen und dann vielleicht doch verfassungswidrig sind."
Der Bielefelder Neuropsychologe Hans Markowitsch gab in Bonn einen Überblick darüber, was auf diesem Gebiet zukünftig zu erwarten ist. Markowitsch selbst hat mit bildgebenden Verfahren verglichen, was im Gehirn passiert, wenn Versuchspersonen mit Geschichten konfrontiert werden, die sie wirklich erlebt oder die sie frei erfunden haben. Die Unterschiede, so Markowitsch, waren erstaunlich:
"Insofern zeigt also die Untersuchung, dass man, wenn man sich die Aktivierung auf Hirnebene anschaut, man eine klare Differenzierung bekommt zwischen den wirklich erlebten Episoden, die – vereinfacht gesagt - rechts frontal, einschließlich Emotionen verarbeitende Regionen Aktivitäten zeigten, und den fiktiven Erinnerungen, die lediglich die Region aktivieren, die für bildhaftes Vorstellen bedeutend ist."
Wahre Geschichten aktivieren vor allem Regionen im Gehirn, die für das autobiographische Gedächtnis verantwortlich sind, bei erfundenen Geschichten sind Regionen tätig, die mit Einbildungs-und Vorstellungskraft zu tun haben. Hans Markowitsch nutzte das bereits in einem Gerichtsverfahren, um die Glaubwürdigkeit einer Mordzeugin zu überprüfen. Allerdings verwendete er den neurowissenschaftlichen Lügendetektor in Kombination mit anderen Verfahren, die etwa mit Hilfe bestimmter Fragetechniken untersuchen, ob jemand zur Täuschung neigt. Markowitsch plädierte in Bonn dafür, neurowissenschaftliche Verfahren auch künftig nur in Kombination mit anderen Methoden einzusetzen. Auf einen Hirnscan allein könne man sich in absehbarer Zeit bei der Frage nach Wahrheit und Lüge nicht verlassen – denn ihre Sicherheit liege weit unter 90 Prozent.
Markowitsch: "Die andere Seite, die man beachten muss, ist aber, dass die Forschung natürlich in diese Richtung geht, dass es also praktisch monatlich ein, zwei Artikel gibt, die zeigen, hier haben wir die und die Verbesserungen vorgenommen und sind damit konkreter bei der Differenzierung Wahrheit - Lüge. Und wenn man das extrapoliert, kann man sagen, in 5 Jahren wird man so weit sein, dass man auf 90 Prozent kommen kann. In Amerika wird es zum Teil schon routinemäßig vor Gericht eingesetzt und von daher denke ich, in 5 bis 10 Jahren wird man auch bei uns in Deutschland vor der Problematik stehen: Wann und unter welchen Bedingungen setzt man bildgebende Verfahren ein?"
Ab dem Jahr 2009 wird es bildgebende Apparate geben, die bis auf 0,2 Millimeter genau erkunden können, welche Hirnregionen bei Zeugen oder Angeklagten aktiv sind, wenn sie ihre Aussagen machen. Die Bonner Tagung war daher ein Plädoyer dafür, heute schon mit einer öffentlichen Debatte darüber zu beginnen, ob solche Methoden nicht doch das Innerste des Menschen und seine Menschenwürde berühren.
"Unsere Tagung ist ein Versuch, einen Beitrag dazu zu leisten. Man darf aber jetzt bei dem Titel ‚Von der Neuroethik zum Neurorecht?’ nicht vergessen, es handelt sich ja um eine Frage und wir fragen uns ganz im Einklang mit dieser zweiten Welle der Diskussion, die ich Ihnen hier prophezeit habe, was denn nun wirklich die Konsequenzen sind, die wir für die Ethik, für das Menschenbild und die wir auch für das Recht ziehen können, vielleicht sogar auch ziehen müssen."
In Bonn wurde jedenfalls eine eindrucksvolle Liste von Themen vorgelegt, mit denen die Hirnforschung rechtlich brisantes Gelände berührt. So wies der Bonner Neuropsychiater Henrik Walter darauf hin, dass in den USA bereits im Jahr 2001 eine Methode patentiert worden ist, mit der man die Hirnstrommuster von Schizophrenen erkennen kann. Das habe nur deshalb nicht für große Aufmerksamkeit gesorgt, weil die Methode nicht besonders gut sei. Zukünftig werde es aber eine Debatte darüber geben müssen, ob Wissenschaftler, die Hirnmuster für bestimmte geistige Zustände entdeckt haben, diese tatsächlich patentieren dürfen.
Eine lebhafte Kontroverse entstand in Bonn über die Forderung mancher Hirnforscher, das deutsche Schuldstrafrecht zu reformieren. Ihr Argument: Man könne vor Gericht nicht mehr wie bisher davon ausgehen, dass Menschen im Prinzip normal und daher voll verantwortlich seien. Vielmehr sei jeder immer schon durch zahlreiche Determinanten bedingt, die seine Verantwortlichkeit und Schuldfähigkeit beschränken. Dem widersprach unter anderem der Düsseldorfer Philosoph Dieter Birnbacher: Zwar können und sollen die Hirnforscher dazu beitragen, das Ausmaß menschlicher Verantwortungs- und Schuldfähigkeit zu bestimmen, indem sie Störungen im Gehirn untersuchen. Aber man dürfe nicht auf die grundsätzliche Norm verzichten, anderen Menschen im Normalfall Verantwortlichkeit zu unterstellen.
Birnbacher: "Der Spielraum darf nicht eingeebnet werden, weil wir ja sonst von der sozialen Praxis von Lob und Tadel, Strafe und Belohnung völlig absehen müssten. Das können wir nicht und das wollen wir vor allen Dingen nicht, weil wir ja auch an den nützlichen Folgen einer solchen Sanktionspraxis interessiert sind. Außerdem ist es Teil unseres Lebens in Beziehungen – denken sie an den familiären Bereich oder an den Intimbereich –, solche Verantwortlichkeits-Zuschreibungen zu pflegen und wir können davon nicht abgebracht werden durch eine neurowissenschaftliche Theorie, die uns sagt, dass jemand nichts dazu konnte, dass er so gehandelt hat wie er gehandelt hat."
Ein weiteres heisses Eisen sprach Stephan Schleim an: das Thema "Lügendetektoren vor Gericht". 1998 hatte der Bundesgerichtshof festgestellt, dass herkömmliche Lügendetektoren, die den Herzschlag oder den Blutdruck von Menschen messen, nicht sicher genug sind. Sie dürfen daher bei Strafprozessen nur zur Entlastung eines Angeklagten eingesetzt werden, wenn dieser es will. Gleichzeitig müssten die Richter einem solchen unsicheren Test in der Regel keine übergroße Bedeutung zuschreiben. Der Bundesgerichtshof hatte allerdings auch festgestellt, dass die herkömmlichen Lügendetektoren nicht ins Innerste des Menschen eindringen und nicht die Menschenwürde verletzen.
Schleim: "Nun hat diese Rechtssprechung sozusagen eine Tür geöffnet, dass vielleicht, wenn man empirisch zuverlässigere Methoden hat, diese eines Tages im Strafprozess durchaus eine Rolle vor Gericht spielt. Schwierig wird das nun aber, wenn vielleicht diese Methoden so gut werden, dass sie dann doch wieder in das Innerste des Menschen eindringen und dann vielleicht doch verfassungswidrig sind."
Der Bielefelder Neuropsychologe Hans Markowitsch gab in Bonn einen Überblick darüber, was auf diesem Gebiet zukünftig zu erwarten ist. Markowitsch selbst hat mit bildgebenden Verfahren verglichen, was im Gehirn passiert, wenn Versuchspersonen mit Geschichten konfrontiert werden, die sie wirklich erlebt oder die sie frei erfunden haben. Die Unterschiede, so Markowitsch, waren erstaunlich:
"Insofern zeigt also die Untersuchung, dass man, wenn man sich die Aktivierung auf Hirnebene anschaut, man eine klare Differenzierung bekommt zwischen den wirklich erlebten Episoden, die – vereinfacht gesagt - rechts frontal, einschließlich Emotionen verarbeitende Regionen Aktivitäten zeigten, und den fiktiven Erinnerungen, die lediglich die Region aktivieren, die für bildhaftes Vorstellen bedeutend ist."
Wahre Geschichten aktivieren vor allem Regionen im Gehirn, die für das autobiographische Gedächtnis verantwortlich sind, bei erfundenen Geschichten sind Regionen tätig, die mit Einbildungs-und Vorstellungskraft zu tun haben. Hans Markowitsch nutzte das bereits in einem Gerichtsverfahren, um die Glaubwürdigkeit einer Mordzeugin zu überprüfen. Allerdings verwendete er den neurowissenschaftlichen Lügendetektor in Kombination mit anderen Verfahren, die etwa mit Hilfe bestimmter Fragetechniken untersuchen, ob jemand zur Täuschung neigt. Markowitsch plädierte in Bonn dafür, neurowissenschaftliche Verfahren auch künftig nur in Kombination mit anderen Methoden einzusetzen. Auf einen Hirnscan allein könne man sich in absehbarer Zeit bei der Frage nach Wahrheit und Lüge nicht verlassen – denn ihre Sicherheit liege weit unter 90 Prozent.
Markowitsch: "Die andere Seite, die man beachten muss, ist aber, dass die Forschung natürlich in diese Richtung geht, dass es also praktisch monatlich ein, zwei Artikel gibt, die zeigen, hier haben wir die und die Verbesserungen vorgenommen und sind damit konkreter bei der Differenzierung Wahrheit - Lüge. Und wenn man das extrapoliert, kann man sagen, in 5 Jahren wird man so weit sein, dass man auf 90 Prozent kommen kann. In Amerika wird es zum Teil schon routinemäßig vor Gericht eingesetzt und von daher denke ich, in 5 bis 10 Jahren wird man auch bei uns in Deutschland vor der Problematik stehen: Wann und unter welchen Bedingungen setzt man bildgebende Verfahren ein?"
Ab dem Jahr 2009 wird es bildgebende Apparate geben, die bis auf 0,2 Millimeter genau erkunden können, welche Hirnregionen bei Zeugen oder Angeklagten aktiv sind, wenn sie ihre Aussagen machen. Die Bonner Tagung war daher ein Plädoyer dafür, heute schon mit einer öffentlichen Debatte darüber zu beginnen, ob solche Methoden nicht doch das Innerste des Menschen und seine Menschenwürde berühren.