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Ist Shopping ein Menschenrecht?

Wir haben gar keinen richtigen Rhythmus. Also ich arbeite meine fünf Tage mit jeweils ein paar Stunden und habe meine Montags- bis Freitagsarbeitszeit und wenn er am Dienstag frei hat, nützt mir das gar nichts, weil ich dann arbeiten muss. Das heißt, ich sitze dann am Wochenende, mache Kinderdienst, er kann natürlich durch seine flexible Tagesgestaltung auch ein bisschen Kinderdienst übernehmen, das erspart uns dann auch was an professioneller Kinderbetreuung. Aber wir haben nicht das Gefühl, so, jetzt ist mal Wochenende und jetzt können wir auf jeden Fall uns mal zwei Tage nur um die Familie kümmern, sondern es ist dann ein Tag dazwischen, da geht man einkaufen und Sachen erledigen, es ist nicht so der Abschluss einer Woche, den man gemeinsam feiern kann.

Renate Faerber-Husemann | 07.12.2002
    Wir haben gar keinen richtigen Rhythmus. Also ich arbeite meine fünf Tage mit jeweils ein paar Stunden und habe meine Montags- bis Freitagsarbeitszeit und wenn er am Dienstag frei hat, nützt mir das gar nichts, weil ich dann arbeiten muss. Das heißt, ich sitze dann am Wochenende, mache Kinderdienst, er kann natürlich durch seine flexible Tagesgestaltung auch ein bisschen Kinderdienst übernehmen, das erspart uns dann auch was an professioneller Kinderbetreuung. Aber wir haben nicht das Gefühl, so, jetzt ist mal Wochenende und jetzt können wir auf jeden Fall uns mal zwei Tage nur um die Familie kümmern, sondern es ist dann ein Tag dazwischen, da geht man einkaufen und Sachen erledigen, es ist nicht so der Abschluss einer Woche, den man gemeinsam feiern kann.

    Der Lebensgefährte der jungen Frau arbeitet bei der Kripo und seine Schichtzeiten bestimmen den privaten Terminkalender. So wie ihm geht es rund 20 Prozent der Arbeitnehmer, die am Wochenende, auch am Sonntag arbeiten. Viele tun das gerne, weil es zusätzliches Geld gibt oder weil sie die Blockfreizeiten während der Woche schätzen. Je mehr Menschen ein langes freies Wochenende genießen, das oft schon am Freitagmittag beginnt, desto mehr Arbeitnehmer werden auch gebraucht, um die Freizeitgesellschaft zu unterhalten und zu versorgen.

    Die wachsende Zahl sehr alter und gebrechlicher Menschen braucht auch am Wochenende professionelle Betreuung. Auch die Globalisierung hat Folgen, die durchschlagen bis in die deutsche Provinz. Firmen mit internationalen Kontakten müssen für ihre Partner auch sonntags erreichbar sein. Händler werben mit 24-Stunden-Service . In den Call-Centern gibt es häufig keine Wochenendpausen mehr. Und selbst die international operierenden Börsen diskutieren, ob sie sich die Sonntagsruhe noch leisten können. Sie verweisen darauf, dass der heilige Tag der Muslime der Freitag ist, für die Juden ist es der Samstag und für die Christen eben der Sonntag, der den ungebremsten Geldfluss stört. Professor Hermann Schäfer, Wirtschaftshistoriker und Leiter des Museums "Haus der Geschichte” in Bonn, zu den vielfältigen Versuchen im Laufe der Zeiten, den Sonntag den Arbeitsabläufen untertan zu machen.

    Wir kommen auch mit einem Wirtschaftsteil montags aus, der keine Aktienkurse hat, die neu sind, weil am Sonntag die Aktienbörsen geschlossen sind und ich glaube nicht, dass die globalisierte Gesellschaft auch am Wochenende geöffnete Aktienbörsen braucht. Insofern meine ich, dass man sich auch, was das Wirtschaftsleben betrifft, nicht beugen muss der Rundum-Arbeit und der Rundum-Kapitalisierung. Ich meine, dass man weiter auch im Sinne der menschlichen Werte für einen Tag mindestens in der Woche kämpfen muss, der dann frei ist von solchen Beschäftigungen.

    Früher wurde am Wochenende vor allem in der Schwerindustrie gearbeitet, in den achtziger Jahren forderte die Wirtschaft längere Maschinenlaufzeiten, vor allem in der Chip-Produktion und in der Automobilindustrie. Heute ist es vor allem der Dienstleistungsbereich, in dem Millionen von Menschen auch am Wochenende arbeiten. Das reicht von den Verkehrsbetrieben bis zu den Gesundheits- und Pflegeberufen, von Tourismus und Gastronomie bis zum Einzelhandel. Nach geltendem Ladenschlussgesetz ist am Samstag ab 16 Uhr Ruhe an den Kassen, zusätzlich dürfen die Kommunen für vier verkaufsoffene Sonntage im Jahr Sondergenehmigungen erteilen.

    Vor allem den Großen der Branche reicht das nicht. Im Jahre 1999 haben sie in Berlin und einigen ostdeutschen Städten gegen Recht und Gesetz die Kaufhäuser geöffnet und anschließend ungerührt die Bußgelder gezahlt. So charmante touristische Anziehungspunkte wie Chemnitz oder Hoyerswerda erhielten den amtlichen Stempel Kurort oder Wallfahrtsort – eine Voraussetzung für offene Läden für den touristischen Bedarf am Sonntag. Shopping, so wird argumentiert, sei heute keine lästige Pflicht mehr sondern ein Event, das zum Wochenende gehöre. Nach neueren Untersuchungen fordern 46 Prozent der Verbraucher die ersatzlose Streichung des Ladenschlussgesetzes, 45 Prozent wünschen sich, dass die Läden über den Brötchenverkauf hinaus auch am Sonntag einige Stunden öffnen dürfen. Da der Mensch aber zur Unlogik neigt, wundert nicht, dass gleichzeitig 77 Prozent am sonntäglichen Ruhetag festhalten wollen.

    Im Bonner "Haus der Geschichte” läuft unter dem Titel "Der 7. Tag” bis Ende April 2003 eine Ausstellung zur Geschichte des Sonntags. Kaum eine andere abendländische Tradition habe sich so zäh und erfolgreich allen Abschaffungs- und Umdeutungstendenzen widersetzt, sagen die Historiker. Bis heute sei dies kein Tag wie jeder andere für die Menschen, so Professor Schäfer, und diese Kultur gelte es zu verteidigen, auch gegen jene, die Einkaufen zu einem Menschenrecht stilisieren:

    Wer sonntags einkaufen muss, der kann das ja im Grunde genommen heute schon tun. Jede größere Tankstelle bietet fast alles an, was man so zum täglichen Bedarf braucht. Und dass man darüber hinaus noch am Wochenende größere Einkäufe machen muss, meinetwegen Rasierapparate, Fernsehapparate oder Kleidung kaufen muss, das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Ich persönlich meine nicht, dass der Sonntag zu einem Öffnungstag für die Geschäfte werden muss, die heute geschlossen sind. Ich meine auch nicht, dass man sich der amerikanischen Kultur so weit beugen muss, dass man sagt, da ist es so und da ist Tag und Nacht geöffnet und das muss in Europa auch so sein. Ich meine, dass wir mit unserer abendländisch-christlich geprägten Kultur doch noch Werte haben, die sich zu verteidigen lohnt.

    Selbstverständlich teilen die Kirchen – gemeinsam mit den Gewerkschaften – diese Meinung, auch wenn die Zahl der Kirchgänger seit den 60er Jahren von damals rund 50 Prozent der Bevölkerung auf heute höchstens 15 Prozent zurückgegangen ist. Sie wehren sich gegen eine Entwicklung, in der die Ökonomie zur neuen Religion wird und die Kaufhäuser zu ihren Kathedralen. Pater Hans Langendörfer, Generalsekretär der Deutschen Bischofskonferenz:

    Wir vertreten ganz dezidiert die Meinung, dass der Sonntag etwas ist, das für die Menschen gut ist und dass es wichtig ist, einmal in der Woche einen Tag zu haben, wo man gemeinschaftlich, allgemein, nicht nur persönlich individuell über eine freie Zeit, einen Gestaltungsraum verfügt. Wenn wir eine Gesellschaft würden, die niemals einmal innehält, die niemals einen Ruhetag gemeinsam hat, dann hätten wir wahrscheinlich etwas verloren. Ich glaube, dass auch politisch betrachtet zur Bedingung einer freien Gesellschaft gehört, dass irgendwo gemeinsam kollektiv spürbar wird, wir stehen nicht nur unter dem Druck des Produzieren Müssens. Das Leben ist nicht nur etwas, das abgearbeitet werden muss, sondern das Leben ist auch, frei zu sein, Muse zu haben, wie immer man sie gestaltet , nicht produzieren , nicht Leistung erbringen zu müssen. Ich glaube, das ist ein Freiheitsimpuls des Christentums, und den werden wir politisch, rechtlich einklagen.

    Klagen wird aber zunächst die Kaufhofgruppe. Sie hat Verfassungsbeschwerde gegen das Ladenschlussgesetz eingelegt, argumentiert mit Wettbewerbsverzerrungen durch die 24-Stunden-Händler und bemüht sogar die Berufsfreiheit. Die Verfassungsrichter werden entscheiden müssen, welches Gut höherwertig ist, das des grundgesetzlich verbrieften Sonntags, der nach dem Text des Artikels 140 "als Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt” ist oder das Recht, sieben Tage in der Woche rund um die Uhr kaufen und verkaufen zu dürfen.

    Selbst innerhalb der Wirtschaft sind die Meinungen dazu durchaus gespalten. Michael Swoboda, Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Rhein/Sieg sagt zum Thema Ladenschluss:

    Die Stimmung innerhalb des Handels ist derzeit uneinheitlich. Die letzten mir bekannten Meldungen und Mitteilungen aus den Handelsverbänden gehen dahin, dass sie sagen, wir wollen eine Verlängerung der Öffnungszeiten an den Samstagen, wir wollen aber keine Verlängerung an den Sonntagen. Das heißt, es soll nach wie vor die Möglichkeit bestehen, an bis zu vier Sonntagen im Jahr die Geschäfte offen zu halten. Was sich in der Tat nicht nur aus Sicht des Handels, sondern aus Sicht der Wirtschaft als misslich erwiesen hat, ist, wenn am Sonntag die Geschäfte geöffnet werden dürfen, am Samstag davor die Geschäfte um 14 Uhr statt um 16 Uhr, und der Handel möchte hier 18 Uhr haben, geschlossen werden müssen.

    Auch wenn der Sonntag weitgehend einkaufsfrei bleiben wird, geht Swoboda davon aus, dass in Zukunft mehr Menschen am Wochenende arbeiten werden:

    Wir sind eine Gesellschaft mit mehr Freizeit, wir wollen diese Freizeit gestaltet wissen und zum Gestalten brauchen wir eben nicht nur Maschinen und Roboter und PCs, sondern wir brauchen auch Menschen, die Dienstleistungen erbringen, so dass wir auf Dauer gesehen sicherlich auch an den Sonntagen verstärkt im Dienstleistungsbereich den Einsatz von Arbeitskräften benötigen.

    Und das wird sich vermutlich nicht beschränken auf Theater und Spaßbäder, auf Ausflugsorte und Verkehrsbetriebe. Wer will auf Dauer Banken, Zahnärzten, Autowerkstätten verwehren, was anderen erlaubt ist? Und wie weit wird eine Bundesregierung dem Druck auf Dauer widerstehen und nicht doch – nur als Beispiel – das gesamte Landenschlussgesetz kippen? Schon einmal , vor knapp vier Jahren war es fast so weit. Doch dann hat sich die rot-grüne Koalition auf einen Deal mit den protestierenden Gewerkschaften verständigt, der so aussah: Die Arbeitnehmer-Lobby gibt Ruhe bei der Rentenreform, die Regierung beim Ladenschluss.

    Immer wieder im Laufe der Geschichte des Sonntags waren es die Kirchen oder die Gewerkschaften – und inzwischen Allianzen der ungleichen Organisationen – die mehr Freizeit am Wochenende erkämpft haben. Noch im 19. Jahrhundert wurde in den Fabriken ohne Sonntagpause geschuftet, selbst Kinder hatten Arbeitszeiten bis zu 100 Stunden in der Woche. Erst als das Militär erklärte, mit diesen durch Kinderarbeit ausgemergelten Gestalten ließen sich keine Kriege führen, reagierte der Staat 1839 mit einer gesetzlichen Beschränkung der Sonntagsarbeit.

    Für Männer und Frauen aber gab es den freien Sonntag in der Industrie erst 1891. Allmählich sank auch die tägliche Arbeitszeit . Aber erst als die Sonntagsruhe in der Weimarer Republik Verfassungsrang erhielt, veränderte sich das Leben auch für Arbeiter und Dienstpersonal von Grund auf. Denn nun gab es Zeit für Bildung, für Sport, für Freizeitaktivitäten. Mit Beginn der Nazizeit war es vorbei mit dem blühenden Vereinsleben. Der Sonntag wurde – wie später in der DDR – ideologisch vereinnahmt. Wer sich den ewigen Aufmärschen und NS-organisierten Freizeitvergnügen entziehen wollte, musste sich private Nischen suchen.

    Nach dem zweiten Weltkrieg hatten die Deutschen zunächst andere Sorgen als Freizeit. Erst als die Grundbedürfnisse nach Essen und Wohnen erfüllt waren, erinnerten sich die Menschen wieder daran, dass es ein Leben jenseits der Arbeit gab. In einer erfolgreichen Kampagne erkämpften die Gewerkschaften nun auch den freien Samstag. Aus einem Werbefilm der IG Metall von 1955:

    Der eine liebt das Federspiel. Der andere bastelt gern und viel. Ein dritter weiß, wie viel es nützt, wen er im Hörsaal manchmal sitzt. Der vierte kann es kaum erwarten, das Wochenende im Blumengarten. Der fünfte fährt mit Rad und Zelt und mit Familie in die Welt. Kurzum, es wird auf alle Fälle, das Wochenende zur Jungbrunn-Quelle. Genau gesagt heißt das Panier: Samstags gehört der Vati mir! Und dieses Ziel, allüberall erstrebt es die IG Metall.

    In der DDR ging es weniger gemütlich und zivil zu. Zwar galt auch dort schon sehr früh der Slogan: "Ab Freitag um eins macht jeder seins”. Doch zumindest an den Sonntagen sorgte die Partei dafür, dass die Menschen sich nicht langweilten – zum Beispiel durch die verordneten sogenannten Arbeits- und Aufbausonntage.

    Die FDJ ist wie überall in der Zone auch beim Berliner Arbeitssonntag vorne dran. Studenten, Professoren beweisen, dass alle Schichten unserer Bevölkerung sich einig sind: die Trümmer der Vergangenheit müssen fort. Im Schatten der Ruine des Französischen Doms gingen 800 Teilnehmer an dieser Sonntagsunternehmung mit Elan und heiterer Miene an die Arbeit. In sieben Stunden wurde der historische Platz vor dem ehemaligen Schauspielhaus freigeschippt. Ein Beweis dafür, dass eine gemeinsame Tat Berge versetzen kann, wenn es auch nur Schuttberge sind.

    Die Menschen im Westen hatten mehr Glück: Wie sie ihr Wochenende verbrachten, war ihre Privatsache. Jeder und jede konnte nach eigener Facon selig werden. Aus einem Wochenschaubericht von 1959:

    Nach einer Umfrage, die die Grundlage für diesen Bericht über den freien Sonnabend bildet, beschäftigen sich 31 Prozent mit ihren Kindern. Einige machen sich im Garten nützlich, aber manche pfeifen auf die Erholung und arbeiten wie an anderen Tagen. Sozusagen schwarz...Viele Ärzte halten übrigens das verlängerte Wochenende für Unsinn. Sie plädieren für einen zweiten Urlaub. Doch so weit sind wir noch nicht.

    Das alles ist erst einige Jahrzehnte her und die Wochenendrituale haben sich gar nicht so sehr verändert. Zwar zieht sich kaum noch jemand fein an, weil Sonntag ist, der Braten am Mittag, der bei den Kindern verhasste Sonntagsspaziergang, der Nachmittag mit Verwandtschaftsbesuch, mit Kaffee und Kuchen vom feinen Geschirr – das gibt es immer seltener. Der größte Teil der Bevölkerung faulenzt in Jeans und genießt es, nach dem eigenen Rhythmus zu leben.

    Und doch halten viele Sozialwissenschaftler das so mühsam erkämpfte und verteidigte Wochenende für gefährdet: Wochenendpendler setzen sich schon am Sonntagnachmittag ins Auto oder in den Zug, um montags pünktlich am Arbeitsplatz zu sein. Viele Chefs erwarten Wochenendpräsenz von ihren Mitarbeitern, die es nicht mehr wagen, das Handy auszuschalten. Freiberufler und Handwerker sitzen samstags und sonntags am Computer. Schwarzarbeit am Wochenende gilt fast schon als normal. Wenn aber die berechenbare zusammenhängende freie Zeit verschwindet, dann wird vieles verkümmern, was heute zur Wochenend-Kultur gehört: Treffen mit Freunden, ehrenamtliches Engagement, Nachbarschaftshilfe, gemeinsamer Sport. Wenn ein Teil der Fußballmannschaft am Samstag arbeitet, ein anderer am Sonntag, dann wird man irgendwann resigniert aufgeben. Für regelmäßige Wochenendarbeiter wie etwa den Kripobeamten Thomas Lehnert sind Aktivitäten mit Freunden, selbst mit der Familie nur nach genauem Terminkalenderabgleich möglich:

    Man muss schon schauen, wann sind Zeiten da, insbesondere, wenn man seine Sozialkontakte pflegen will am Samstag, Sonntag. Man möchte abends mal rausgehen, das muss man planen. Das sind teilweise Vorlaufzeiten von drei, vier Wochen, weil eben Spät- und Nachtdienste es nicht zulassen, dass man sich mit den Freunden trifft.

    In dem Buch "Ohne Sonntag gibt es nur noch Werktage" hat der Zeitforscher Jürgen Rinderspacher die Folgen so beschrieben:

    Gegen den Rhythmus der anderen zu leben ist, solange der Anspruch sozialer Eingebundenheit besteht, nicht ohne Gefahr für die Selbsteinschätzung. Der Kern der Gesellschaft, mit Ausnahme einiger gehobener Berufe, lebt grundsätzlich innerhalb des Wochenrhythmus zwischen sach- und sozialbezogenen Tätigkeiten. Im Zwang zum regelmäßigen Vertauschen von sach- und sozialbezogenen Tätigkeiten ist eine soziale Unsicherheit angelegt, welche die gegen den Rhythmus der Mehrheit lebenden Beschäftigten vom Zentrum der Gesellschaft, zu dem jeder gehören will, nach außen rückt.

    Von Sonntagsgewinnlern und Sonntagsverlierern spricht deshalb Pater Langendörfer von der Deutschen Bischofskonferenz:

    Wenn wir dieses auseinander laufen lassen, wenn wir einen immer größeren Prozentsatz von Beschäftigten in den Dienstleistungsberufen haben, die für die anderen dann am Sonntag arbeiten müssen, sind die auf jeden Fall die Verlierer. Das mögen einzelne nicht so empfinden, ich betrachte nicht den Einzelnen sondern die Gesellschaft. Und wir müssen uns fragen: Welche Gesellschaft wollen wir haben, welche Signale gehen von dieses Gesellschaft aus, welche Grundstimmung bestimmt diese Gesellschaft?

    Zur Zeit sieht es so aus, als könnten diejenigen siegen, die alles, auch gesellschaftspolitisch wichtige Fragen, den Bedürfnissen der Wirtschaft unterordnen wollen. Wer selbst den regelmäßigen Wechsel zwischen Arbeit und Ruhepausen nicht mehr kennt, wie etwa Politiker, die mit ihren 7-Tage-Wochen geradezu kokettieren, wird kaum einen so weit wie möglich arbeitsfrei bleibenden Sonntag verteidigen. Früher mussten auch ganz der Ökonomie verpflichtete Führungskräfte des Landes noch Rücksicht nehmen auf die Bedenken von Kirchen und Gewerkschaften. Doch deren Einfluss schwindet in einer säkularisierten und individualisierten Gesellschaft gleichermaßen. Und mit ihm vielleicht eines nicht fernen Tages der Sonntag.