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Italien bebt ob mangelnder Hilfe für L'Aquila

Im Süden Europas rutschen immer häufiger ganze Landstriche unter den Fluten des Regens ab - ähnlich wie auf der portugiesischen Atlantik-Insel Madeira. Solche Katastrophen sind in den italienischen Wintern zur traurigen Gewohnheit geworden: das Ergebnis menschlicher Fehlplanung.

Von Karl Hoffmann | 22.02.2010
    Bilder, die sich häufen: verzweifelte Bürger vor ihren beschädigten Häusern. In dem Ort San Fratello in der Nähe von Messina hatten die ungewöhnlich starken Regenfälle der letzten Wochen, einen ganzen Berg ins Rutschen gebracht:

    "Entweder der Staat hilft uns jetzt, oder wir stehen auf der Straße. Das Geschäftsleben ist völlig zusammengebrochen. Schlimmer wär es gewesen, wenn es Tote gegeben hätte. Wenigstens haben wir überlebt. Unser einziger Wunsch ist, dass es jetzt nicht endlose Diskussionen gibt, sonst verlieren die Leute den Mut und verlassen das Dorf für immer. Und dann können wir gleich den ganzen Ort dem Erdboden gleichmachen."

    Nur wenige Monate nach dem dramatischen Erdrutsch nur ein paar Kilometer südlich von Messina, bei dem Anfang Oktober 37 Menschen starben, hat sich das Drama wiederholt. Wenn es stärker regnet als sonst üblich, dann saugen sich die steilen Berghänge in Süditalien voll Wasser und das Erdreich beginnt zu rutschen. Weil in den letzten Jahrzehnten auch in gefährdeten Lagen zügellos gebaut wurde, häufen sich folglich die Hiobsbotschaften. Auch der Ort Maierato in der gegenüberliegenden Region Kalabrien geriet vor einer Woche nach heftigen Niederschlägen ins Wanken. 2500 Bewohner mussten tagelang ihre Häuser verlassen. Seit es zu regnen aufhörte, scheint die Gefahr gebannt. Die Schuld an der Beinahe-Katastrophe trägt auch hier der Mensch, wie Luisa Latella, die zuständige Polizeipräfektin, auf einer eilig einberufenen Bürgerversammlung einräumt:

    "Leider gibt es jedes Jahr in Kalabrien solche Unglücke. Dafür tragen alle Kalabresen Verantwortung, weil die Bauvorschriften missachtet werden und die Landschaft vom Menschen missbraucht wird."

    Die Betroffenen üben sich in Geduld und Selbstkritik:

    "Wir sind grade noch mal an der Katastrophe vorbeigekommen, jetzt warten wir mit der Rückkehr in unsere Häuser, damit am Ende nicht doch noch etwas passiert. Erdrutsche hat es immer bei uns gegeben und nie hat man geeignete Maßnahmen dagegen ergriffen. Daran tragen wir alle miteinander Schuld."

    Nach dem Erdbeben im vergangenen April in den Abruzzen nahm die ganze Welt Anteil am Bemühen der römischen Regierung, den Betroffenen so schnell wie möglich zu helfen. Silvio Berlusconi und der von ihm massiv geförderte Chef des Zivilschutzes, Guido Bertolaso, wurden zu Helden der Nation. Noch vor wenigen Tagen sollte Bertolaso in den Ministerrang erhoben werden. Da kam die Nachricht, dass die Staatsanwaltschaft gegen ihn ermittelt. Bertolaso zeigte sich erschüttert.

    "Das hat mich richtiggehend überrollt, schlimmer als ein Tsunami oder ein Erdbeben. Jeden Tag aufs Neue werden ich und meine Familie von Zeitungen mit Schlamm beworfen."

    Tatsache ist, dass beim von Bertolaso geleiteten Wiederaufbau in den Abruzzen und bei der Ausrichtung des ursprünglich auf Sardinien geplanten G-8-Gipfeltreffens offenbar jede Menge Korruption betrieben wurde, in die auch Bekannte und Verwandte von Bertolaso verwickelt waren. Bekannt wurde auch, dass sich der Zivilschutzchef kostenlos Callgirls vermitteln ließ. Seine Reputation ist an-, und in L'Aquila ist die Geduld der leidgeprüften Bevölkerung in puren Zorn umgeschlagen:

    "Das ist zu einem einzigen Fiasko ausgeartet und die Verantwortlichen müsste man mit Fußtritten davonjagen. Sie haben einige wunderschöne Häuser außerhalb der Stadt gebaut und die ganze Welt glaubt, L'Aquila sei nun wiederaufgebaut worden. Aber in unserer Stadt hat sich seit dem Erdbeben überhaupt nichts verändert. Hier ist nichts wieder in Gang gekommen. Das Herz der Stadt schlägt nicht mehr, sie ist tot. Und wir sind zutiefst bestürzt über das, was nach dem Erdbeben geschehen ist."

    800 Millionen Euro sind ausgegeben worden, um insgesamt 19 kleine Trabantenstädte aus dem Boden zu stampfen - ein Riesengeschäft für die beteiligten Baufirmen, eine fatale Entscheidung für den historischen Stadtkern. Er ist seit dem Erdbeben abgeriegelt, auch leicht beschädigte Häuser können nicht restauriert werden. Die Bewohner sind ausgesperrt und fürchten, dass sie nie wieder zurückkönnen.

    Den Klüngel aus Politik, Bauwirtschaft und dem einst angesehenen Zivilschutz nennt die Staatsanwaltschaft ein gelatineartiges Gebilde. Und prompt ist der altbekannte Begriff "Mani Pulite" für die Korruptionswelle Anfang der 90er-Jahre von dem Wort Gelatine abgelöst worden, mit dem die Geschäftemacherei auf dem Rücken der leidgeprüften Bevölkerung in den italienischen Katastrophengebieten bezeichnet wird.