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Italien: Einzelkämpfer statt Protestfront

Wären die schweren Unruhen und Proteste von Griechenland auch anderswo in Europa möglich? Welche Bedingungen müssten zusammenkommen, damit der Funke in Italien zündet? Auch dort sind die Zukunftsperspektiven der jungen Generation düster. Wenn man sich an die Fernsehbilder von den Demonstrationen gegen die Kürzungspläne der Regierung bei Schulen und Universitäten erinnert, könnte man meinen, auch Italien stehe kurz vor der Revolte. Der Schein trügt.

Von Kirstin Hausen | 16.12.2008
    Gegen die Sparpläne der Regierung im Bildungssektor gingen in Italien in diesem Jahr hunderttausende Schüler und Studenten auf die Straße. Wochenlang hielten sie Medien und Öffentlichkeit in Atem, auch die eine oder andere Fensterscheibe ging dabei zu Bruch.

    Die Regierung hat die Schulreform jetzt verschoben. Erst ab 2010 soll es Kürzungen geben. Die Proteste haben gewirkt. Es freuen sich: die Schüler und die Studenten. Und die Lehrer, Eltern, Hochschuldozenten und Professoren, die sich an den Protesten beteiligt hatten. In vielen Fällen waren sie es sogar, die die Initiative ergriffen hatten, während Italiens Schüler gar nicht so genau informiert waren, wogegen sie da eigentlich demonstrierten. Der Schriftsteller Umberto Eco verweigerte ihnen deshalb seine Unterstützung, weil er fand, die Jungen würden sich vor den Karren der Alten spannen lassen. Dass in Italien ein Generationen-Ungleichgewicht besteht, bestätigt der Soziologe Emilio Reyneri.

    "Das Verhältnis der Generationen zueinander ist wichtig. Das politische System in Italien bevorzugt die alte Generation und vernachlässigt die junge. Das ist derzeit das größte Problem."

    Aber die alte Generation ist zahlenmäßig überlegen. Beinahe jeder fünfte Italiener ist älter als 65 Jahre. Die Rentner sind damit eine wichtige Wählergruppe und werden von den Parteien, egal welcher politischen Ausrichtung, umworben. Ihre Interessen haben politisches Gewicht. Deshalb tut sich Italien so schwer mit der Reformierung seines Rentensystems. Deshalb wird der Arbeitsmarkt dort liberalisiert, wo es die Berufseinsteiger trifft und nicht die, die schon lange im Job sind.

    "In unsicheren Arbeitsverhältnissen verdient man im Allgemeinen weniger als ein Festangestellter. Es existiert kein Ausgleich wie in anderen Ländern. In den letzten Jahren sind die Gehälter von jungen, gut ausgebildeten Arbeitnehmern sogar noch gesunken. Also genau von denen, die besonders häufig in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen arbeiten. Es gibt also keinen finanziellen Ausgleich für diese Unsicherheit."

    Die Reaktionen der jungen Generation auf die schlechten Zukunftsaussichten erstaunen Soziologen wie Emilio Reyneri von der Mailänder Universität Bicocca. Statt sich zusammenzutun und gemeinsam gegen das System aufzulehnen, schlagen sich die meisten als Einzelkämpfer durch. So wie Fiorella Mattio, 28 Jahre alt, studierte Kunsthistorikerin. Nach dem Diplom betreute sie zwei Jahre lang ein Digitalisierungsprojekt in der Universitätsbibliothek. Als das abgeschlossen war, stand sie auf der Straße. Nun jobbt sie als Museumsführerin, Nachhilfelehrerin und stundenweise in einer Kunstgalerie. Ihren ehemaligen Kommilitonen geht es nicht viel anders. Trotzdem erzeugt der gemeinsame Leidensdruck keinen gemeinsamen Protest.

    "Die Schwierigkeit besteht darin, dass es sich um ganz verschiedene Arbeitsbereiche handelt. Es handelt sich nicht um eine homogene Gruppe wie in den 70er Jahren die Arbeiter, die eine Klasse für sich bildeten. Heute gibt es in jedem Beruf und auf jeder Stufe das "Prekariat", also unsichere Arbeitsverhältnisse. Es sind viele, aber vereinzelte Personen in verschiedenen Büros. Die Situation ist ähnlich, aber oft kennen sie sich gar nicht untereinander."

    Die italienische Jugend ist stark zersplittert, auch politisch. Es gibt eine lebendige, aber isolierte alternativ-linke Szene, die sich mit marxistisch-leninistischen Idealen identifiziert, im Parlament aber keine Repräsentanz hat. Und es gibt eine erstarkende rechte bis rechtsextreme Bewegung, die sich nach faschistischer Ordnung und Arbeit für alle sehnt. Die Mehrheit hängt irgendwo dazwischen. Statt Wut und Rebellion beherrschen Resignation und Apathie das Grundgefühl dieser Generation. Der ehemalige Callcenter-Mitarbeiter Stefano Obino beschreibt seine Erfahrung so:

    ""Du musst es schaffen, und zwar ganz allein. Das ist ein falscher amerikanischer Traum, importiert nach Italien und ein bisschen berlusconisiert. Es ist unglaublich traurig, denn damit trägst scheinbar du die Schuld und nicht die ungerechten Umstände.”"